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# taz.de -- Neues Album von Bad Breeding: Die Band mit dem Communiqué
> Die britische Punkband Bad Breeding inszeniert sich mit „Exiled“ als
> zornige Anarchogilde. Ihre Botschaften wirken aber unkonkret.
Bild: Mit ihrem dritten Album veröffentlichen Bad Breeding auch eine Verlautba…
New Towns heißen die Planstädte, die im Umland britischer Städte nach 1945
aus dem Boden gestampft wurden: Nicht-Orte in Beigegrau, autofreundliche
Konglomerate aus Mietskasernen, Mall und Gewerbepark. Aus Stevenage, einer
solchen Schlafstadt, stammen Bad Breeding. Aktuell wird die Noise-Punk-Band
wegen ihres dritten Albums „Exiled“ wieder als „the best new punk band in
Britain“ gefeiert. Da ja schon so manche Rocksau über die Insel getrieben
wurde, um Gitarrenmusik zu reanimieren, stimmen derartige Superlative
jedoch eher skeptisch.
Hört man dem brachialen Gedresche von Bad Breeding zu, weicht die Skepsis
Ratlosigkeit: nicht über die ungefilterte Wut, die darin steckt. Die
manifestiert sich derzeit vielerorts. Eher darüber, dass die Band solche
Aufmerksamkeit generiert. Ihr frenetisches Gekloppe erzeugt zwar Energie,
auf der Bühne entwickelt das sicher kathartisches Potenzial. Doch mit Musik
allein lässt sich das mediale Interesse kaum erklären.
Obwohl 2013 gegründet, klingen Bad Breeding nämlich eher nach 1982. Oder,
böse zugespitzt: Ähnlich, wenn auch weniger versiert, hört es sich auf dem
Stadtteilfest an, wenn der Hardcorenachwuchs seinen Slot hat. Sänger
Christopher Dodd erschloss sich den Sound übrigens durch die Alben seines
Vaters; neben Crass gab es in seinem Schrank viel vom Anarcho-Punk-Label
Spiderlegs. Mittlerweile sind Bad Breeding bei One Little Indian unter
Vertrag; das Indie-Label entstand als Spiderlegs-Nachfolger; in den
neunziger Jahren verdiente man dank Björk viel Geld.
Als relevant gilt offenbar eher, was die Band zu sagen hat. Verstehen tut
man Dodds Gebell jedoch nicht, man muss die Texte mitlesen. Hölzern werden
mangelnde gesellschaftliche Solidarität und mediale Repräsentation der von
der britischen Austeritätspolitik gebeutelten Schichten aufgespießt.
Weil die Songtexte vermutlich kaum jemand liest, wurde „Exiled“ mit einer
Verlautbarung veröffentlicht, an der nicht vorbeikommt, wer die Band
googelt. Dieses Communiqué strotzt nur so vor Pathos-trächtigen Formeln:
„Gegen die Brutalität regt sich Widerstand. Die stille Würde, mit der die
Gemeinschaft diese Gewalt ertrug und versuchte, die Blutungen wo immer
möglich zu stoppen, ist eins. Die unartikulierten Ausbrüche von Wut,
kollektiv und fortschrittlich oder isoliert und reaktionär, bedeuten etwas
anderes. (…) Die festgefahrene Logik des Kapitals und die Herzlosigkeit,
die es in uns hervorruft, liegen wie ein erstickender Smog über unseren
Städten, der die Sonne und die Schreie der Säuglinge über unseren
Bestrebungen erstickt.“ Konkretere Beobachtungen über ihre Lebenswelt haben
Bad Breeding keine anzubieten.
Ihre Diagnose mag ja im Kern richtig sein, aber sie wirkt paternalistisch
und zugleich unterkomplex. Wohlweislich schieben Bad Breeding hinterher:
„Weil niemand das Offensichtliche sagt, bedeutet das nicht, dass es nicht
gesagt werden sollte. Wenn die gemäßigte Mitte in einer abgetrennten Blase
der Medienklasse ‚Likes‘ und ‚Retweets‘ sammelt, um damit ‚radikal‘…
zu wirken, um Dinge zu sagen, die jeder anständige Mensch
selbstverständlich fühlen sollte, ist klar, dass andere Stimmen wichtig
sind.“
Zum Glück gibt es diese anderen Stimmen längst, auch ohne Bad Breeding. Der
Journalist Owen Jones lieferte 2011 mit „Chavs: The Demonization of the
Working Class“ eine überzeugende Analyse. Letztes Jahr wurden die Memoiren
des Glasgower Rappers Darren McGarvey alias Loki zum Bestseller; kürzlich
erschien „Armutssafari“ auf Deutsch. Die gerade in Großbritannien offenbar
noch verbreitete Sehnsucht nach einer Gesellschaftserzählung durch Pop:
beim Hype um Bad Breeding treibt sie seltsame Blüten.
25 Sep 2019
## AUTOREN
Stephanie Grimm
## TAGS
Großbritannien
Punk
Hardcore-Punk
Popmusik
Punk
Post-Punk
Punk
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