| # taz.de -- Ilgen-Nur beim „Pop-Kultur“-Festival: Merkt euch diesen Vorname… | |
| > Ihre Songs sind wie ein offenes Tagebuch: Die Hamburger Musikerin | |
| > Ilgen-Nur kommt zum Berliner Festival „Pop Kultur“. | |
| Bild: „Schwer, selbstbewusst zu sein, wenn man nicht gemacht ist fürs Cover … | |
| Da tut man alles, um akzeptiert zu werden, und fühlt sich trotzdem wie ein | |
| Idiot. „I’m just trying to be cool/But I feel like a fool“. Die Zeilen aus | |
| Ilgen-Nurs garagig heruntergerocktem Song „Cool“ kann man sich sofort | |
| merken. Auch die Musik ist eingängig: Verpackt als charmant verwackeltes | |
| DIY-Video, gibt der Song ein altes Teenager-Dilemma perfekt wider: | |
| minimales Selbstbewusstsein, maximales Geltungsbedürfnis. | |
| Ilgen-Nur verwendet viele Anglizismen, aber „cool“ ist ihr Lieblingswort. | |
| Es ist abends halb sieben, die 21-jährige Wahl-Hamburgerin zündet sich eine | |
| Mentholzigarette an und erzählt in einem Café von den Musiker*innen, die | |
| sie cool findet. Kate Nash zum Beispiel, deren Album „Made of Bricks“ sie | |
| als Elfjährige hörte und das in ihr den Impuls auslöste, sofort mit dem | |
| Komponieren zu beginnen. | |
| Oder Mac DeMarco, der „einen Scheiß“ darauf gebe, was andere von ihm | |
| denken. „Es ist schwer, selbstbewusst zu sein, wenn man nicht gemacht ist | |
| wie fürs Cover von In-Style“, sagt die Sängerin und bestellt eine Limonade. | |
| „Und es ist ein langer Prozess, sich zu sagen: Ich bin cool, ich mache | |
| gutes Zeug. Auch wenn es nicht das ist, was andere von mir erwarten.“ | |
| Dabei gibt es noch nicht viel Material von der jungen Frau, die mit | |
| komplettem Namen Ilgen-Nur Borali heißt. 2015 brach sie ihr Studium ab und | |
| zog vom Ländle an die Elbe. Im Mai erschien auf dem Leipziger | |
| Kassetten-Label Sunny Tapes ihre Debüt-EP mit fünf Songs. Produziert hat | |
| Max Rieger, Gitarrist von Die Nerven, der schon für den Punk-Sound von | |
| Karies und Friends of Gas verantwortlich zeichnete. | |
| ## Himbeerhose | |
| Ilgen-Nurs Sound ist rauer Indie-Rock, weder glattpoliert noch gewollt | |
| dilettantisch daherkommend. Der EP-Titel „No Emotions“ ist Programm. „Wer | |
| mich nicht kennt, denkt, ich sei distanziert und arrogant“, erklärt | |
| Ilgen-Nur. „Reiner Selbstschutz.“ Als Teenagerin haderte sie mit ihrem | |
| deutschtürkischem Background. | |
| Noch immer wird sie gefragt, warum sie keinen anderen Künstlernamen gewählt | |
| hat. „Früher mochte ich meinen Vornamen nicht. Jetzt müssen ihn sich die | |
| Leute merken!“ Oft habe sie zu hören bekommen, sie sehe ja gar nicht so | |
| türkisch aus. „Ich war immer schon die Komische. Nur weil ich einen | |
| alternativen Style habe und Musik mache.“ Im Text von „Cool“ heißt es: �… | |
| like wearing all black/Because it makes me seem mysterious.“ | |
| An diesem lauen Hamburger Sommerabend entspricht Ilgen-Nur höchstens zur | |
| Hälfte dem Bild, das sie von sich zeichnet. Zu nachtschwarzem Top trägt sie | |
| eine weiße Pyjama-Hose mit Himbeer-Muster. Vor dem Interview hat sie ein | |
| Nickerchen gemacht. Sie lässt es gerne entspannt angehen. | |
| Ihr Gesang jedenfalls ist lässig genug; US-Sängerinnen wie Courtney Barnett | |
| sind ihr hörbares Vorbild. „Man hat behauptet, ich würde nur auf Englisch | |
| singen, um zu klingen wie diese Bands aus Kalifornien. Sicher inspirieren | |
| mich Ariel Pink und Cherry Glazerr, aber ich habe eigentlich schon immer | |
| auf Englisch getextet. Selbst mit dem eingeschränkten Wortschatz einer | |
| Elfjährigen.“ | |
| ## Ungefilterte Probleme | |
| Ilgen-Nur mag den Teenager-Jahren entwachsen und während der Sinnkrise nach | |
| dem abgebrochenen Studium innerhalb kürzester Zeit gereift sein. Ein | |
| gewisses Selbstbewusstsein ist ihr anzumerken; doch sie kann sich nicht | |
| gänzlich frei machen von den Erwartungen anderer. „Ich kann mich auf | |
| Deutsch nicht gut ausdrücken. Ich bin zweisprachig aufgewachsen und konnte | |
| mich nie hundertprozentig mit der deutschen Sprache identifizieren.“ | |
| Ilgen-Nur besingt auf „No Emotions“ schwierige Freundschaften, die | |
| Schönheit von Augenringen und Spaß am Radfahren. Und immer wieder das Thema | |
| Unsicherheit. Mit ihrer Band, in der Paul Pötsch von Trümmer Schlagzeug | |
| spielt, covert sie live zuweilen „Creep“ von Radiohead, die alte | |
| Außenseiter-Hymne. Ilgen-Nur fingert nach ihren Zigaretten. „Schon komisch: | |
| Du erzählst, was dich beschäftigt, und die Leute hören dir dabei zu. Als | |
| wäre ich ein offenes Tagebuch. Manchmal frage ich mich, ob ich in einem | |
| Song zu viel gesagt habe. Wissen die jetzt alles über mich?“ | |
| Dann checkt Ilgen-Nur ihr Smartphone. Auch mit Zeilen wie „I am | |
| emotional/In a way I can’t handle myself“ wirkt Ilgen-Nur unbekümmert. Ihre | |
| Stärke: Probleme ungefiltert auszusprechen und in glaubwürdige Songs zu | |
| verwandeln. Dann verabschiedet sich Ilgen-Nur Borali, um noch mit einer | |
| Freundin abzuhängen. Echtes Slackertum eben. | |
| 24 Aug 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Jan Paersch | |
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