# taz.de -- Gelungener Diskurspunk: Saboteure am Werk | |
> Trümmer aus Hamburg haben genug vom Zynismus ihrer Generation. Die Band | |
> will den Diskurspop-Altvorderen auf die Pelle rücken. | |
Bild: Die Hamburger Band Trümmer: Maximilian Fenski, Paul Pötsch, Tammo Kaspe… | |
Manchmal bricht Paul Pötsch seine Sätze kurzerhand ab. Dann hält er kurz | |
inne, sucht nach einem anderen Dreh seiner Worte. „Ja, es muss doch | |
irgendwie …“, „Nein, das kann doch nicht …“ lauten diese Fragmente et… | |
Alles auf Anfang. Noch mal neu erfinden. Sich. Uns. | |
Pötsch, Sänger der jungen Hamburger Band Trümmer, sitzt gemeinsam mit | |
Bassist Tammo Kasper auf der Außentreppe eines Kulturzentrums im Berliner | |
Stadtteil Tempelhof, wo die Band gerade aufgetreten ist. Die beiden Musiker | |
nippen am Post-Gig-Bier. Im Gespräch gelangen sie schnell zur Frage, um wen | |
es sich denn bei Trümmer eigentlich handelt: Die einen erklärten das Trio | |
schon zu legitimen Blumfeld-Erben, während andere ihnen vorwerfen, einen | |
entsprechenden Habitus etwas zu offensiv nach außen zu tragen. | |
„Wichtig ist, dass wir eins zu eins meinen, was wir singen“, erklärt | |
Pötsch. Er scheint einen Punkt am frühabendlichen Himmel zu fixieren, | |
überlegt, ascht die Selbstgedrehte ab. „Wenn wir auf der Bühne stehen, dann | |
sind wir das.“ | |
Der schmale 25-Jährige – Sakko, labbriges T-Shirt, rötliche Strähne, die | |
ihm ins Gesicht hängt – bricht die Authentizitätsdebatte, die nun | |
einzusetzen droht, so schnell wieder ab, wie er sie begonnen hat, um über | |
den zu stark ausgeprägten Zynismus der Generation der Twentysomethings zu | |
lamentieren, einer Generation, der er und seine Mitmusiker angehören. Und | |
fängt dann unvermittelt an, vom Gestus eines Rio Reiser zu schwärmen: „Der | |
muss doch auch irgendwie auf heute übertragbar sein.“ Wo doch an jeder Ecke | |
die Kacke am Dampfen sei, fügt Bassist Kasper sinngemäß hinzu. | |
## Der Glaube an sich selbst | |
Man kann über Trümmer viel sagen, aber nicht, dass die Hamburger Band es | |
sich einfach machen würde. Unterhält man sich mit ihnen, wirkt es, als | |
kreise die Frage nach dem eigenen Kunst- und Politikverständnis ständig | |
über ihrer Musik. Hört man die 13 Songs ihres nun erscheinenden | |
gleichnamigen Debütalbums „Trümmer“, verstärkt sich dieses Bild: Hier ist | |
eine Band auf der Suche nach ihrem Weg. Sie bringt dabei eine wichtige | |
Eigenschaft mit: den unerschütterlichen Glauben an sich selbst. | |
Das Trio – neben Pötsch und Kasper ist der Schlagzeuger Maximilian Fenski | |
fester Bestandteil, live werden Trümmer zusätzlich vom Band-Produzenten | |
Helge Hasselberg unterstützt – gilt bereits seit Bandgründung 2012 als | |
hoffnungsvoller Kandidat, wenn die Zukunft des deutschsprachigen Diskurspop | |
verhandelt wird. | |
Zweifelsohne profitieren Trümmer davon, dass sich im deutschsprachigen | |
Indiepop eine riesengroße Leerstelle ausgebreitet hat, unterhalb von | |
Institutionen wie Tocotronic oder Mutter klafft eine Lücke. Wo | |
Letztgenannte aber stets Metaebenen einbauen und Brüche spürbar werden | |
lassen, wollen Trümmer nun einen sehr viel direkteren Weg einschlagen. | |
Einen zu direkten vielleicht. | |
Aber bitte: Man sollte nun nicht erwarten, dass Trümmer, das noch | |
entwicklungsfähige Hamburger Trio, diese Lücke mit links ausfüllt. Aber, | |
wie zuletzt auch Messer oder Die Nerven, legen sie ein Debütalbum vor, das | |
überhaupt erst mal wieder Lust auf deutschsprachige Popmusik macht. Mit den | |
Chartsradio- und Talentshow-Universen haben Trümmer nichts zu schaffen. | |
Mit ihrem Debüt ist ihnen einfach ein gut rumpeliges Punk-Album gelungen. | |
Thematisch setzt es sich vor allem mit dem Erwachsenwerden auseinander. | |
Trümmer-Texte handeln viel von Anderssein und Distinktion, Zuständen, die | |
als existenziell empfunden werden. „Emanzipation“ sagt Pötsch dazu. | |
Es dominiert dabei ein Verständnis von der hiesigen Gesellschaft, das man | |
„Wir gegen sie“ nennen könnte und das etwas zu schlicht gerät. „Unsere | |
Lügen sind wahrer / Als das, was ihr uns auftischt / Wir sind wie | |
Geisterfahrer / Alles ist so, wie es ist.“ Oft finden sich in den | |
Songtexten Momente des Werdens: „Wir suchen etwas, das es nicht gibt / Wir | |
suchen etwas, denn wir sind verliebt / Vor uns ein Land wie ein Mosaik / | |
Wir spüren etwas, das noch nicht geschieht“, singt Paul Pötsch in dem Song | |
„In all diesen Nächten“. | |
## Schutt und Asche | |
Musikalisch findet sich auf dem Debüt etwas mehr als nur gewöhnlicher Punk, | |
es gibt Anleihen an Noiserock, Stücke mit Rockabilly-Einschlag und auch | |
schlichte Rocksongs wie „Papillon“ – allein diese Bandbreite unterscheidet | |
Trümmer von vielen deutschen Bands. Und damit gelingen ihnen auch geniale | |
Hooklines: „Der Saboteur“ hat nicht nur im Titel eine schöne | |
Beastie-Boys-Referenz, es ist denkbar straighter Punk, wie ihn die Beastie | |
Boys zu Anfang ihrer Karriere ja selbst gemacht haben. | |
Mit [1][„Wo ist die Euphorie?“ wagen Trümmer gar] eine Ballade, ein Format, | |
das man anderen Bands gerne per Dekret untersagen würde, bei Trümmer wird | |
daraus ein Hit. Ein Hit, den Kitsch elegant umschiffend, dafür mit | |
Joy-Division-artigem Pathos. Von der Stimmung her erinnert das Stück an | |
„Never let me down again“ von Depeche Mode. | |
Für einen Moment blitzt da etwas auf, ein Versprechen – besser: eine | |
Täuschung –, die nur ein Popsong erzeugen kann: das Gefühl, es gäbe kein | |
Morgen. Besser noch, ein anderes Morgen. Wie es sich für ein Punkalbum – | |
und für eine Band dieses Namens – gehört, sie will eben auch, zumindest | |
rhetorisch, zerstören. Von „Schutt und Asche“ ist gleich im Auftaktsong zu | |
hören, und in „Nostalgie“ textet Pötsch: „Ja, ich weiß, alles wird zug… | |
gehen / Nein, ich habe damit gar kein Problem“. | |
Trümmer geht es darum, Gegenentwürfe zu konzipieren. „Unsere Musik soll | |
Aufbruchsstimmung erzeugen“, sagt Pötsch. Ziemlich sicher sind sie sich, | |
dass der eingeschlagene Weg der richtige ist: Texte und Sound sind | |
tatsächlich sehr eigenständig, am besten funktioniert die Musik da, wo sie | |
eigene Geschichten erzählt, die keine simple Moral haben – siehe „Der | |
Saboteur“. Mit den etwas zu stark romantisierenden Songs („Morgensonne“) | |
tut man sich als Hörer hingegen schwer: Ein Zurück zu Rio Reiser ist zwar | |
möglich, aber man lässt es lieber bleiben – es sei denn, man zitiert ihn. | |
Auch musikalisch sind einige Trümmer-Songs noch zu beliebig, man hätte sie | |
gar nicht mehr unbedingt gebraucht auf dem Album („Zurück zum Nichts“). Das | |
ändert nichts daran, dass Trümmer mit ihrem Debütalbum einen spezifischen | |
Sound gefunden haben, musikalisch wie textlich, der einen gespannt erwarten | |
lässt, was daraus noch wird. | |
15 Aug 2014 | |
## LINKS | |
[1] http://www.youtube.com/watch?v=01t24hTCMT4 | |
## AUTOREN | |
Jens Uthoff | |
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