# taz.de -- Dokumentarfilm über D.C.-Punk-Szene: Gebrochene Herzen waren okay | |
> „Salad Days“ von Scott Crawford ist ein stimmiges Porträt der | |
> stilbildenden und integrierten Hardcore-Punkszene von Washington, D.C. | |
Bild: Guy Picciotto (Fugazi): Am Boden, aber nicht zerstört. | |
Mit einer Lüge ging’s los. Für Ian MacKaye, Sänger der Hardcore-Punkband | |
Minor Threat, hörte der Selbstbetrug auf den Namen „Salad Days“. Diesen | |
Shakespear’schen Ausdruck für den Aufruhr der Jugend wendete er im Text für | |
den gleichnamigen Song gegen sich selbst. „We called those the Salad Days / | |
[…] I call it a lie“, sang MacKaye 1983. Minor Threat standen nicht nur für | |
Aufruhr, sie wurden prägend für den „Hardcore“ genannten Stil der | |
Frühachtziger. Mit Bad Brains und The Faith bildeten sie den kreativen Kern | |
der Punkszene in Washington, D. C. | |
Ihr Verdienst: Sie war immer darauf aus, sich neu zu erfinden. Ihre | |
konstante Weiterentwicklung bildet der Dokumentarfilm „Salad Days. A Decade | |
Of Punk in Washington, D. C.“ gut ab. Regisseur Scott Crawford beschreibt | |
darin einen Wendepunkt, der Mitte der Achtziger erreicht war. Der bratzige | |
Hardcoresound der Frühzeit bekam neue Impulse von anderen Stilen, denn | |
Moshpits waren zu Orten machistischen Gebarens geworden, und die Musiker | |
waren zerstritten. | |
So spielt der „Revolution Summer“ – zu einem solchen wurde der Sommer 1985 | |
in Washington auserkoren – eine entscheidende Rolle. Fortan war Hardcore in | |
D. C. heterogener: Waren zuvor schon schwarze Musiker im Punk der | |
US-Hauptstadt gut repräsentiert (die Musiker waren etwa von Go-go-Funk | |
beeinflusst, dem lokalen R&B-Sound in Washington, D. C.), so drängten nun | |
vermehrt Frauen in die Szene und Rechte von Homosexuellen wurden | |
thematisiert. | |
Nicht nur der Sound änderte sich, auch die Körpersprache war anders. Rites | |
of Spring um den späteren Fugazi-Sänger und -Gitarristen Guy Picciotto etwa | |
standen für sehnsuchtsvolle Gitarrenklänge und persönliche Texte. „Es war | |
eine radikale Sensibilität“, sagt der Schlagzeuger Dave Grohl (später | |
Nirvana), der aus Washington stammt. „Man musste nicht mehr über Ronald | |
Reagan singen – gebrochene Herzen waren okay als Thema.“ Mit Gründung der | |
Aktivistengruppe Positive Force wurde die Punkszene zudem repolitisiert. Es | |
kam etwa zu Protesten gegen die Apartheidpolitik vor der südafrikanischen | |
Botschaft. | |
## Vorbild für Riot Grrrls | |
Neben MacKaye als prägender Figur der Szene – er betreibt bis heute das | |
unabhängige Label Dischord – kommen auch befreundete Künstler wie Thurston | |
Moore zu Wort. Mit Amy Pickering, Fire-Party-Sängerin und Nicky Thomas, die | |
afroamerikanische Drummerin der Band, berichten Protagonistinnen über ihre | |
weibliche Sichtweise. Waren Frauen im „Revolution Summer“ Teil der Szene? | |
„Wir wollten als Musikerinnen wahrgenommen werden“, sagt Thomas. | |
Das strahlte weiter bis in die Neunziger hin zu Riot Grrrls um Kathleen | |
Hanna, die die weiblichen Identitätszuschreibungen offensiv thematisierten. | |
„Sie stellten das Ganze auf den Kopf“, erklärt Thomas. Gerade deshalb, so | |
zeigt „Salad Days“ sehr anschaulich, war D.-C.-Punk eine wichtige | |
Voraussetzung für die Riot-Grrrl-Bewegung. „Salad Days“ ist Teil einer | |
Welle der Historisierung dieser Zeit. Auch über die Arbeit von Positive | |
Force ist gerade eine Dokumentation entstanden, ein Porträt von | |
Bad-Brains-Sänger H.R. ist bereits fertiggestellt. „Salad Days“ zieht seine | |
Faszination aus dem Sujet. | |
Die konträren Aussagen der Musiker bilden den Erzählstrang, dazwischen | |
werden Fotos und Filmsequenzen von Konzerten geschnitten. Mit der | |
Fokussierung auf den „Revolution Summer“ und dessen Folgen erzählt der Film | |
eine andere, kaum bekannte Geschichte von D. C. , das den Salattagen | |
entwachsen war. | |
16 Mar 2015 | |
## AUTOREN | |
Jens Uthoff | |
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