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# taz.de -- Robert Wyatt feiert Geburtstag: Gegen die Endlichkeit des Daseins
> Eigenwillige Kompositionen, absurder Humor und eine sanfte Stimme: Robert
> Wyatt, Mitgründer der Band Soft Machine, wird 70 Jahre alt.
Bild: Aufnahme von 1967: Robert Wyatt während eines Auftritts im niederländis…
Er ist nicht der einzige Große des Rock, der den Junimond besungen hat; das
wissen wir hier in Deutschland ganz gut. Robert Wyatt schrieb diesen Song
für den Himmelskörper 1968, nachdem seine Band, Soft Machine, eine US-Tour
mit Jimi Hendrix abgebrochen hatte. Wyatt war ein Becken auf den Fuß
gefallen, es konnte nicht weitergehen. Nun saß der Schlagzeuger in New York
und traf sich mit anderen Musikern, während der Rest der Band nach England
zurückgekehrt war. Aus dem Lied, das er komponierte, sollte eines der
tollsten der Bandgeschichte werden: „Moon in June“.
Robert Wyatt, in mancher Weise dem anderen „Junimond“-Sänger Rio Reiser
ähnlich, entwarf eine kleine Rock-Eskapade, sang voller Sehnsucht von
seiner Heimat und der geliebten Hippie- und Rockszene Londons, von seiner
damaligen Freundin und seinem Sohn: „Living can be lovely, here in New York
State / Ah, but I wish that I were home / And I wish I were home again,
back home again …“
Ein Song wie ein Epos, auch fast so lang wie ein Epos, erst nach 19 Minuten
und acht Sekunden nimmt das Lied, das swingt, rockt, manchmal sachte und
balladesk vor sich hinträumt, ein Ende. Es klingt, als wolle Wyatt gegen
die Endlichkeit des eigenen Daseins anspielen.
Wyatt wird am Mittwoch 70 Jahre alt. Der Multiinstrumentalist, der heute
einen weißen, fast marxschen Bart trägt, hat über 40 Jahre lang
bemerkenswerte, eigenwillige Songs komponiert. Den größten Bekanntheitsgrad
erreichte er früh mit Soft Machine, die neben Pink Floyd zu den
aufregendsten Bands des psychedelischen Rock gehörten. 1971 verließ er Soft
Machine 1971, gründete die Band Matching Mole (nach machine mole, der
französischen Übersetzung von soft machine). Parallel begann er eine lange
Solokarriere. Sein letztes Studioalbum, zusammen mit dem israelischen
Saxofonisten Gilad Atzmon und der Violinistin Ros Stephen aufgenommen, ist
von 2010.
## „Näher an Gott“ als alles andere
Wyatt hat eine aufregende, zum Teil erschütternde Biografie, die der
britische Musikjournalist Marcus O’Dair gerade niedergeschrieben hat.
Parallel erscheinen zwei Doppelalben mit den wichtigsten Stücke Wyatts. Das
Buch wie die Alben würdigen einen Künstler, der immer ein wenig randständig
blieb.
Geboren wird Wyatt am 28. Januar 1945 in Bristol. Der Sohn einer
Journalistin und eines Arbeitspädagogen verlebt zunächst eine idyllische
Kindheit, wie er selbst sagt. Er wächst sehr frei auf, sein Vater, der
später an multipler Sklerose erkrankt, bringt ihm Klassik und Jazz nahe.
Noch zu Schulzeiten erlebt er Charles Mingus und Sonny Rollins live – die
beiden Jazzer sind für den Atheisten Wyatt „näher an Gott“ als alles
andere, das er bis dahin gesehen hat.
Mit seinen Eltern wohnt er auf einem alten Gutshof in Lydden, Kent. In dem
Haus treffen viele Leute aufeinander, die später die berühmte Musikszene
des nahe gelegenen Canterbury bilden sollen („Canterbury Sound“). Bands wie
Gong oder Khan zählen neben Soft Machine, die sich nach Burroughs’ Roman
benannten, dazu.
Diese frühe Zeit, in der er auch seine wichtigsten Soft-Machine-Mitstreiter
Kevin Ayers und Daevid Allen trifft, prägt Wyatt. Für ihn ist es die Zeit
der Bebop-Platten, des Marxismus, der Beat-Literatur, des Entdeckens eines
absurden Humors, der sein Werk begleiten soll. Wyatt besitzt zeitweilig nur
einen Koffer mit Klamotten, einer Zahnbürste und einer Schallplatte von
Miles Davis und Gil Evans. „Ich weiß nicht, was man mehr braucht“, erzählt
er seinem Biografen O’Dair.
Die existenzielle Unsicherheit teilt Wyatt mit den Beatniks, er berichtet
von Selbstmordversuchen in seiner Biografie. Eine Begegnung, die ihm das
Leben rettet, findet im Januar 1972 statt. Da trifft er auf „Alfie“:
Alfreda Benge, Schauspielerin, Lyrikerin und Illustratorin. Zwei Jahre
später wird sie seine Frau. Bis heute sind beide verheiratet. Noch vor der
Heirat ereignet sich die größte Katastrophe in Wyatts Leben: Auf einer
Party stürzt er betrunken aus dem vierten Stock. Seither ist er hüftabwärts
gelähmt und sitzt im Rollstuhl.
## Aufgehört, Musik zu machen
Er kehrt schnell auf die musikalische Bühne zurück. „Rock Bottom“, sein
zweites Soloalbum von 1974, ist eines seiner besten. Er schreibt es noch im
Krankenhaus. Fortan widmet er sich mehr dem Klavier oder der Gitarre,
spielt aber weiter auch ein nun jazziges Schlagzeug ohne Bassdrum. Seinen
Humor verliert er genauso wenig wie seine politische Haltung: Er hegt
Sympathien für die Nonsenstheorien der Pataphysiker um Alfred Jarry, für
die Freaks und für die unorthodoxen Kommunisten. Das Cover der zweiten
Matching-Mole-Platte zeigt die Band als maoistische Kämpfer. Das erste
Stück heißt: „Starting in the Middle of the Day We Can Drink Our Politics
Away“. Später, in den Achtzigern, kommt der Ex-Hippie mit den Indies in
Berührung – er arbeitet mit dem Rough-Trade-Label zusammen.
Wyatt teilte kürzlich mit, er habe aufgehört, Musik zu machen. Schade wäre
das. Blickt man jetzt auf sein Werk zurück, so bleiben große Solostücke wie
„Sea Song“ (1974), Matching-Mole-Klassiker wie „Signed Curtain“ oder die
vielen tollen Coverversionen – etwa „Strange Fruit“ von Billie Holiday
(1982). Seine Stimme, die er selbst mal als „Jimmy Somerville on Valium“
bezeichnet hat, klingt darin verletzlich, brüchig und sanft. So wie auch in
seinem vielleicht größten Stück, in dem er den Junimond besingt.
28 Jan 2015
## AUTOREN
Jens Uthoff
## TAGS
Musik
Rockmusik
Rock
Homosexualität
Dokumentarfilm
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