# taz.de -- Progressive Rocker Wyatt: Gegen die Verblödung | |
> Schlagzeuger, Marxist und Solokünstler Robert Wyatt hat ein neues Album: | |
> "Comicopera". Und sagt: "Die Rückkehr von Werten wie Religion und Nation | |
> kotzt mich an". | |
Bild: Immer schön gegen den Hauptfeind im eigenen Land: Robert Wyatt | |
Es ist leicht, Robert Wyatt zu lieben. Er ist bekennender Marxist. Er ist | |
ungemein intelligent, war Schlagzeuger der legendären Prog-Rock-Band Soft | |
Machine, gründete nach seinem Ausstieg 1971 die Band Matching Mole, die | |
ebenfalls kultisch verehrt wird, die Wyatt aber schon 1972 nach zwei | |
Platten wieder auflöste. Seitdem veröffentlicht er ausschließlich | |
Solo-Platten. Seine erste allerdings erschien schon 1970, als er noch bei | |
Soft Machine trommelte. Er galt einige Zeit lang als der beste | |
Jazzrockschlagzeuger der Welt, ist jedoch, seit er 1973 bei einer Party aus | |
dem Fenster stürzte, auf einen Rollstuhl angewiesen. | |
Andere Ausnahmekünstler wie Fred Frith oder Mike Oldfield lernten von ihm, | |
er arbeitete mit Brian Eno zusammen, coverte Elvis Costello und trat mit | |
David Gilmour auf. Seine Stimme ist schön, er ist Multiinstrumentalist und | |
veröffentlichte seine melancholische Musik auf dem Punk-Label Rough Trade, | |
und stets achtete er vor allem auf den Klang seiner Musik. Die Bands More | |
Extended Versions und Cpt. Kirk &. widmeten ihm das Album "Round About | |
Wyatt", das zu den zehn schönsten Alben zu zählen ist, die je auf deutschen | |
Labels erschienen sind. Kurz: alle Nerds, Spinner und Angeber behaupten, | |
dass sie Robert Wyatt vergöttern, einfach, weil man sich mit seiner Liebe | |
zu Wyatt interessant machen kann. | |
Es ist jedoch ebenso schwer, Robert Wyatt zu lieben. Soeben ist auf dem | |
Label Domino sein neues Soloalbum erschienen, sein achtes, wenn man die | |
Compilations, EPs und Remixe beiseite lässt. Und "Comicopera" - so heißt es | |
- wird wie schon sein vor vier Jahren erschienener Vorgänger "Cuckooland" | |
weithin gelobt werden, jedoch selten zu hören sein, da es aufstört, | |
verschreckt, anstrengt. Die Musik von Robert Wyatt kann man nämlich nicht | |
so einfach weghören, wie sie sich wegloben lässt. | |
"Comicopera" hat wie so oft ein wunderschönes Cover, gemalt von seiner Frau | |
Alfreda Benge und ist von Wyatt selbst produziert, größtenteils "recorded | |
at home" und nahezu im Alleingang eingespielt. Es startet mit einer | |
Coverversion des Stücks "Stay Tuned" von Anja Garbarek, daran schließt sich | |
ein Duett von Wyatt und Benge an, "Just as you are", ein geradezu | |
kitschiges, wegen des klaren Klangs der Instrumente allerdings wieder | |
ergreifendes Liebesduett: "Ive never tried to change a thing about you / I | |
allways love you just as you are." Nach fünf Stücken endet der erste Akt | |
dieser Oper, "Lost in noise", die folgenden sechs Stücke bilden den zweiten | |
Akt "The here and the now". In diesem findet sich der Song "A beautiful | |
war", in dem Wyatt einen Rollenwechsel vornimmt: Er singt aus der | |
Perspektive eines euphorisierten Bomberpiloten. Aber keine Sorge, diese | |
Platte ist eine Antikriegsplatte. Diese merkwürdige Komische Oper nämlich | |
endet mit einem dritten Akt, "Away with the fairies", in welchem Wyatt | |
nicht ein Wort in englischer Sprache singt, sondern auf Italienisch und | |
Spanisch ausweicht. | |
Das Letzte, darauf beharrt Wyatt, was man ihn auf Englisch singen hört, | |
sind die Worte: "youve planted all your everlasting hatred in my heart". Um | |
hernach nicht als Teil der anglo-amerikanischen Kriegsbefürworterszene zu | |
gelten, bedient sich der Brite nun eines fremden Idioms. Dass gerade | |
Spanien und Italien ebenfalls der "Koalition der Entschlossenen" | |
angehörten, scheint Wyatt nicht zu stören. Doch ein Musiker ist kein | |
Politiker, wie Wyatt selbst immer wieder betont, und auch wenn er Kommunist | |
ist, weiß er doch um das Vergebliche der künstlerischen Agitation. Daher | |
ist ihm der Klang seiner Stimme auch wichtiger als der Text. So wird auch | |
das Stück, mit dem er endet, eine Coverversion des berühmten "Hasta Siempre | |
Comandante", bei ihm zu einem Song von unvergleichlicher Schönheit, der den | |
guten alten Che nicht vergöttern hilft, sondern eher Revolutionäre | |
herbeifleht. | |
Auch sein Protest gegen das Englische ist nicht nur ein Statement zum | |
Irakkrieg, sondern ganz allgemein gegen den Hauptfeind im eigenen Land. | |
"Die Rückkehr von Werten wie Religion und Nation kotzt mich an", bekannte | |
Wyatt vor kurzem in einem Interview. Der simplen Verblödung, der | |
permanenten Beleidigung der Menschen durch die Zumutungen des Alltags in | |
einer kapitalistischen Welt setzt Robert Wyatt daher seine komplexe, | |
anstrengende, großartige Musik entgegen, die den Zuhörerinnen und Zuhörern | |
so viel Liebe abverlangt, wie sie sie nur geben wollen. Und wir lieben ja | |
nie die Künstlerinnen und Künstler, wir lieben ihre Kunst. Lieben wir also | |
diese "Comicopera" des Robert Wyatt. | |
Robert Wyatt: "Comicopera" (Domino/Rough Trade) | |
4 Oct 2007 | |
## AUTOREN | |
Jörg Sundermeier | |
## TAGS | |
Musik | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Robert Wyatt feiert Geburtstag: Gegen die Endlichkeit des Daseins | |
Eigenwillige Kompositionen, absurder Humor und eine sanfte Stimme: Robert | |
Wyatt, Mitgründer der Band Soft Machine, wird 70 Jahre alt. |