Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Doku über Punkszene in Washington D.C.: „Wir gingen uns auf die …
> Die Punkszene in der US-Hauptstadt Washington war integriert und
> unorthodox. Protagonist Jeff Nelson kommt mit der Doku „Punk the Capital“
> auf Tour.
Bild: Ian MacKaye, Sänger von Minor Threat, bei einem Konzert 1981
taz: Jeff Nelson, die Hardcorepunkszene von Washington, D. C., in den
frühen Achtzigern war bereits gut dokumentiert, es gibt diverse Bücher über
diese Zeit. Was bietet der Dokumentarfilm „Punk the Capital“ Neues?
Jeff Nelson: Der Film widmet sich den Anfängen der lokalen Punkszene. Es
gab eine Menge Filmmaterial aus ihrer Frühzeit, Regisseur James June
Schneider hat diese weitestgehend unbekannte Aufnahmen nun zusammengefügt.
Von einigen dieser Bands hatte ich zwar gehört, aber ich hatte sie nie
gesehen. Diese und andere Storys sind auch für mich faszinierend.
Sie haben zwischen 1979 und 1983 Schlagzeug bei den Bands Teen Idles und
Minor Threat gespielt. Schon vorher gab es Punk-/New-Wave-Bands wie The
Slickee Boys in Washington. Hatten Sie einen guten Draht zu denen?
Die [1][Slickee Boys] waren etwas älter als wir, aber wir mochten sie. Sie
hatten einen Sixties-Einschlag, aber auch New-Wave-Elemente. Die meisten
Bands in der Hauptstadt waren untereinander befreundet. Aber irgendwann
mussten wir uns entscheiden: Wir konnten nicht Punk und New Wave zugleich
sein. Also wurden wir Punk. Und zur Zeit von Minor Threat entschieden wir,
dass Punk nicht genug ist. Also machten wir Hardcore-Punk.
Lag beim US-Hardcore die musikalische Innovation darin, Punk schneller zu
spielen?
Die Bad Brains, eine der ersten afroamerikanischen Hardcore-Bands
überhaupt, gründeten sich in Washington. Die haben ordentlich aufs
[2][Gaspedal] gedrückt, das hat uns inspiriert. Aber es ging nie um Tempo
bloß um des Tempos willen.
Brachte die Intensität der Liveshows im US-Hardcore eine neue Qualität mit
sich?
Die [3][Konzerte] waren sicher ein Grund, warum man in einer Band sein und
zur Punkszene gehören wollte. Im Studio haben wir alles getan, um diese
Energie auch auf Konserve einzufangen. Es ist schwierig, hyperschnelle
Musik so kraftvoll aufzunehmen, dass sie richtig gut klingt. Wir hatten nur
einen Vier-Spur-Rekorder zur Verfügung, die erste Minor-Threat-EP haben
wir an einem einzigen Tag aufgenommen. Aber genau diese primitive, simple
Herangehensweise hat wohl den Charme ausgemacht.
Wie heterogen haben Sie die Szene erlebt?
Anfangs war es sehr vielfältig, Schwarze und Weiße kamen zu den Konzerten,
Männer wie Frauen. Als die Bands bekannter und größer wurden, gab es bei
den Shows mehr und mehr Machogehabe. So kamen auch weniger Frauen zu den
Konzerten. Die Segregation spiegelte sich auch in den Musikszenen wider:
Obwohl Washington eine Stadt mit schwarzer Mehrheitsbevölkerung war, hatten
die meisten Schwarzen wohl noch nie von Punk gehört. Dasselbe galt
umgekehrt für die wunderbare Go-Go-Musikszene, die aus der schwarzen
Community stammt. Bei [4][Go-Go-Funk] gab es Songs, die 20 Minuten
dauerten, mit viel Percussion, Call & Response und tollen Grooves. Die
meisten Weißen hatten keine Ahnung davon.
Mitte der Achtziger gab es einen Bruch, Post-Hardcore kam auf. Was war der
Grund?
Weil Musik und Haltung so aggressiv und machomäßig wurden, gingen wir
musikalisch zur Hardcore-Szene auf Distanz. Zum Glück gab es in unserem
Kreis intelligente Leute, die gute Ideen hatten, wie es musikalisch
gewagter und weniger klischeehaft klingen sollte. Die Band [5][Rites of
Spring] ist das beste Beispiel dafür, die hatten einen viel melodischeren
und empowernderen Postpunksound. Die Songtexte wurden politischer. Wir
hatten zwar vorher auch schon unsere politischen Ansichten, aber waren wohl
noch zu jung, um sie in prägnanten Zeilen rüberzubringen.
1985 ereignete sich der „Revolution Summer“ in Washington. Was geschah
damals?
Es gab zum Beispiel Aktionen gegen die Apartheid in Südafrika, wir haben
„Punk-Percussion-Proteste“ vor der südafrikanischen Botschaft veranstaltet.
Sie betreiben bis heute zusammen mit Ian MacKaye das Label Dischord,
musikalisch aber trennten sich ihre Wege nach Minor Threat. Warum?
Ian und ich waren sehr gute Freunde, aber irgendwann wollten wir uns zu oft
gegenseitig an die Gurgel. Wir spielten in einer Band, wohnten im selben
Haus und betrieben auch noch ein Plattenlabel zusammen – das war zu viel
des Guten. Ian spielte dann zunächst bei Embrace und später sehr
erfolgreich bei Fugazi. Ich hatte verschiedene Bands, unter anderem Three
und The High Back Chairs. 2003 zog ich nach Toledo, Ohio. Toledo ist die
Stadt der Autofirma Jeep, ich war besessen vom [6][Jeep Wagoneer]. Ich
renoviere alte Jeeps. In Toledo spielte ich eine Weile mit dem Gitarristen
Tony Lowe in der Band Fast Piece of Furniture. Inzwischen habe ich aber
seit circa 12 Jahren kein Schlagzeug angerührt.
Dischord ist seit Längerem nicht mehr so aktiv. Wie sehen Sie heute die
Rolle des Labels?
Wir veröffentlichen nicht mehr so viele neue Bands wie früher. Ian besucht
weiterhin viele Konzerte und schickt mir Musik. Wir entscheiden dann
zusammen, welche Gruppen wir aufs Label nehmen wollen. Ian hat Hunderte
Bänder und Fotos und alle möglichen Dinge in einem großen Archiv gesammelt,
darunter viel Unveröffentlichtes. Zuletzt haben wir ein Box-Set mit den
ersten sechs Dischord-EPs veröffentlicht. Manche denken wohl, wir kratzen
jetzt noch die letzten Reste zusammen, um sie unters Volk zu bringen. Aber
es gibt auch viele, die das alte Zeug fantastisch finden und sich sehr
darüber freuen.
26 Apr 2022
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=5TB36Us-Cas
[2] https://www.youtube.com/watch?v=9ThoDPP44Hw
[3] https://www.youtube.com/watch?v=-RfnzhWqz1M
[4] https://www.youtube.com/watch?v=K8UtNVmApFM
[5] https://www.youtube.com/watch?v=01opkSVRt38
[6] https://www.youtube.com/watch?v=lefmZBCfjjU
## AUTOREN
Jens Uthoff
## TAGS
Hardcore-Punk
Washington D.C.
Dokumentarfilm
Antirassismus
Gleichberechtigung
taz Plan
Musik
Punk
Dokumentarfilm
## ARTIKEL ZUM THEMA
Neue Musik aus Berlin: Charme und Chuzpe
Wie DAF mit begrenzten Mitteln: Die frühen Tape Recordings des
Einstürzende-Neubauten-Mitglieds Alexander Hacke werden
wiederveröffentlicht.
Punk und Indie in Washington, D. C.: Puritanismus vs. Polemik
Zwei Alben als Abbild einer musikalisch heterogenen Hauptstadt: „Coriky“
von Coriky und die Neuauflage von No Trends „Too Many Humans“
Wozu es Punk gibt: Seit 40 Jahren dagegen
Im Sommer 1976 erschien die erste britische Punksingle. Wie die
Jugendrevolte losging, was sie änderte und warum sie nach wie vor bedeutsam
ist.
Dokumentarfilm über D.C.-Punk-Szene: Gebrochene Herzen waren okay
„Salad Days“ von Scott Crawford ist ein stimmiges Porträt der stilbildenden
und integrierten Hardcore-Punkszene von Washington, D.C.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.