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# taz.de -- US-Posthardcore-Künstler Daniel Higgs: Der Flow eines Schamanen
> Daniel Higgs Werk zählt zu den gut versteckten Kapiteln der
> Musikgeschichte. In seinen Stücken klingt er mal wie ein Beat-Dichter,
> dann wie ein Magier.
Bild: Daniel Higgs hat einen neugierigen Blick auf die Absurditäten der Existe…
Seltsam. Sitzt man dem US-Musiker Daniel Higgs gegenüber, entsteht
augenblicklich der Eindruck, als ob dessen Körper Geschichten erzähle. Weil
Daniel Higgs so aussieht, wie er aussieht. Mit seinem wallenden,
waltwhitmanschen Vollbart, den Seefahrer-Tätowierungen auf seinen Händen,
mit diesem stechend klaren, konzentrierten Blick, mit dem er einen
anschaut. Wir treffen uns vor seinem Konzert in Berlin, sitzen am
Neuköllner Club Arkaoda bei einem Kaffee zusammen.
Daniel Higgs ist ein personifiziertes Stück Musikgeschichte, sein Werk
zählt innerhalb jener allerdings zu den gut versteckten Kapiteln. Was es
umso entdeckenswerter macht. Higgs war Sänger der Band Lungfish aus
Baltimore, die zwischen 1987 und 2005 aktiv war. Die Gruppe veröffentlichte
auf dem wegweisenden Washingtoner Punklabel Dischord, war geprägt von
dessen DIY-Philosophie und Klangbild. Doch war sie außergewöhnlich für
diese Post-Hardcore-Szene, weil Lungfish mit ihrem repetitiven Stil, dem
langsamen, bluesigen Tempo und dem hymnischen Gesang einen sehr
eigenwilligen Sound entwickelt hat.
Aufgelöst haben sich Lungfish nie offiziell, aber Higgs glaubt, dass jede
Band ihre Zeit und ihren Ort habe – und diese Koinzidenz im Falle von
Lungfish der Vergangenheit angehöre. „Ich freue mich immer noch, wenn
jüngere Menschen die Band heute entdecken“, sagt er. „Vielleicht würden s…
uns gern mal live sehen, das kann ich verstehen. Aber ich würde auch gern
Jimi Hendrix live sehen, und das wird auch nicht passieren.“
Der heute 54-Jährige widmet sich ohnehin seit Längerem anderen Projekten.
Wie etwa seiner Soloarbeit „The Tribulant Trips“, die er an diesem
Juniabend in Berlin vorstellt und bei der er Banjospiel mit Spoken Word
verbindet. Ein sechssaitiges Banjo ist mittlerweile sein Hauptinstrument,
er spielt damit aber kein Folk- oder Bluegrass-Repertoire, sondern
experimentiert viel. Higgs hat eine sehr eigene Art, das Instrument zu
bedienen: Manchmal grabbelt er mit den Fingern über die Saiten, dann zupft
er sie, dann streicht er mit den Fingernägeln über sie. Dazu stampft er
gelegentlich kräftig im Takt auf den Boden.
Auch bei Fountainsun spielt er Banjo, jener Band, die er gemeinsam mit
seiner Frau betreibt, der japanischen Fotografin Fumie Ishii. Die
Americana-Songs der beiden sind dabei weitaus zugänglicher als die
Soloarbeiten Higgs’. „Ich mochte den Klang des Banjos von Beginn an, weil
er an so viele andere Saiteninstrumente und Lauten aus aller Welt
erinnert“, sagt Higgs, der in den Achtzigern begann, das Instrument zu
erlernen. Zudem setzt er heute manchmal eine Maultrommel ein. Seine
Idealvorstellung: ein universales Klangbild, ein Sound von Welt.
Geboren ist Higgs in Baltimore, aber schon in seiner Kindheit, als er mit
seinen Eltern immer wieder umzog, war er gewissermaßen Nomade: Er lebte in
Texas, Nebraska, Michigan, Virginia und immer wieder in Baltimore. Auch als
Erwachsenen hielt es ihn nicht an einem Ort, zeitweilig zog es ihn nach San
Francisco, später ins ländliche Kalifornien. Inzwischen hat es ihn mit Frau
und kleinem Kind ins Städtchen Olympia im Bundesstaat Washington
verschlagen, das man musikgeschichtlich kennt, weil die Riot-Grrrl-Bewegung
dort entstand („Ein bisschen was spürt man noch davon“). Higgs schätzt die
Kunstszene dort, kann sich aber auch vorstellen, eines Tages mit seiner
Frau nach Japan auszuwandern.
Nachhaltig geprägt haben Higgs die musikalischen Erweckungserlebnisse
seiner Jugend- und frühen Erwachsenenjahre. „Zwei Dinge lernte ich damals
über die Musik“, sagt er. „Zum einen: Es existiert eine Musik, die nicht im
Radio läuft und die man in kleinen Plattenläden entdecken kann. So stieß
ich auf Hardcore-Punkbands wie etwa Black Flag. Und zum anderen nahm ein
Freund, der Musikethnologie studierte, zwei Mixkassetten mit Musiken aus
aller Welt für mich auf. Inuitmusik, marokkanische und arabische Musik,
alles Mögliche. Ich hatte keine Ahnung, dass es all diese Musik gibt!“
Die indigenen und globalen Stile finden sich in seinen heutigen
Soloarbeiten wieder. Der Nahe und Mittlere Osten, der Balkan, auch
Countrysound mögen einem bei Daniel Higgs in den Sinn kommen; vor allem
aber ist der Ausgangspunkt für seine Arbeit – Lyrik – bedeutender für ihn
geworden. Higgs’ Werke wie „The Fool’s Sermon Pt. I und II“ (übersetzt
etwa: „Idiotenpredigt“) sind in erster Linie vertonte Langgedichte und
Bewusstseinsströme, die inhaltlich geprägt sind von alten Mythen und formal
von spirituellen Praktiken. Im Laufe der Jahre hat Higgs auch vereinzelt
kleine Lyrikbände, zum Teil von ihm selbst illustriert, veröffentlicht.
Nebenbei ist er nämlich noch Zeichner und Tätowierer.
## Wortneuschöpfungen und Mehrfachbedeutungen
Seine Songtexte leben allerdings stark von der Live-Performance, der
Betonung, seinen Stimmtimbres. „Du kannst schreien, du kannst flüstern, du
kannst singen und monoton sprechen, du kannst mit autoritärem Duktus
sprechen“, sagt er, diese Varianz reize ihn. So klingt er in seinen Stücken
mal wie ein Beat-Dichter oder ein Wanderprediger, dann wie ein Magier.
Zudem ist Higgs ein begeisterter Wortspieler. In seinem aktuellen Stück
„The Tribulant Trips“ arbeitet er etwa mit Wortneuschöpfungen („tribulan…
ist abgeleitet von „tribulation“: Drangsal, Trübsal) und
Mehrfachbedeutungen („trips“).
Manches überrascht, was Higgs einem erzählt. Musik höre er zum Beispiel gar
nicht so viel, zu Hause habe er eine Sammlung von 100 Schallplatten, die er
immer wieder auflege. Wenn er mit dem Auto unterwegs sei, dann höre er
alles Mögliche, den HipHop-Sender, die Welle für christlichen Rock. Das
finde er interessant, inzwischen sei er fast eine Art Experte für
christlichen Rock. „Sie singen oft von der Festung des Glaubens, und sie
singen davon, dass sie Angst hatten und dass sie jetzt keine Angst mehr
haben müssen.“
Wenn er zu solchen Themen abschweift, kommt der Humor des Künstlers durch,
ebenso der neugierige Blick auf die Absurditäten der Existenz. All dies
schnappt Daniel Higgs auf. Er sampelt Texte daraus, die er auf fast
schamanistische Art und Weise vorträgt. Und er entwickelt dabei einen
beeindruckenden Flow, dem man sich nur schwerlich entziehen kann.
24 Jul 2018
## AUTOREN
Jens Uthoff
## TAGS
Porträt
Dokumentarfilm
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