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# taz.de -- Indie-Pop „Kalender“ von Locas in Love: Pop ist mehr als verton…
> Die Kölner Band Locas in Love hat 2015 drei Alben herausgebracht, mit
> zahlreichen Gimmicks veredelt. Nun geht es auf Wintertour.
Bild: „Man kann zu einem Song drei Minuten tanzen oder 16 Seiten drüber schr…
Berlin taz | „Es gibt kein richtiges Leben im bürgerlichen“, singt Stefanie
Schrank im neuen Locas-in-Love-Album „Kalender“, und stellt damit klar: Die
Locas machen weiter. Neun Platten (es gibt verschiedene Zählungen) in
vierzehn Jahren, zahlreiche Spitzenplätze in Jahresbestenlisten der
Indie-Fachpresse, euphorische Besprechungen ihrer klug verschwurbelten
Texte und eingängigen Indiepop-Melodien. Doch den großen kommerziellen
Erfolg hatten sie nie, sie blieben das uneingelöste Versprechen des
deutschen Indiepop, der verkopft-sympathische Indie-Geheimtipp. Auch ihr
mainstreamiges Seitenprojekt Karpatenhund schlug nicht ein.
Andere Bands hätten längst aufgegeben, sich auf Kinderkriegen und
bürgerliche Karriere konzentriert. Und Locas in Love? Machen 2015 zu ihrem
kreativsten Jahr: Im Frühling kam ihr Doppelalbum „Use your Illusion 3&4“,
im November nun „Kalender“, und im Dezember gehen sie auf kleine
Winter-Tournee. „Popmusik ist die denkbar beste Arena, um Gefühlen wie
Liebe, Schmerz oder Sexualität Ausdruck zu verleihen“, sagt Björn
Sonnenberg, fügt aber schnell an: „Aber Pop ist mehr, nicht nur vertonte
Tagebücher!“
Dem vom Namen wahnwitzigen „Use your Illusion 3&4“ lagen extra gegossene
bunte Dino-Figürchen bei, das [1][Video zur Single „Da ist ein Licht“]
erzählte die Geschichte, wie Locas-Manager Benny die Band durch
Muppet-artige Handpuppen ersetzt. „Kalender“ enthält einen Kalender und ein
16-seitiges Essay über das Zeitmessen in der Popmusik. „Wir suchten eine
Form, die gesamtheitlicher ist, nicht ‚nur‘ Musik, sondern einen größeren
Ausschnitt aus unserem Universum zeigt.“ Der beiliegende Kalender
präsentiert Zeichnungen von Stefanie Schrank, die auch sonst für das
Artwork zuständig ist. „Das ist nicht nur eine Dreingabe zur Musik, sondern
funktioniert auch für sich allein“, sagt Björn Sonnenberg.
So sind die 12 Songs auf „Кalender“ keine Vertonung der 12 Monatsmotive aus
dem beigefügten Kalender. Sie stehen auch nicht für die einzelnen Monate.
„Der Bezug liegt weniger in konkreten Motiven, mehr in unserer
künstlerischen Vision von Musik und Kunst. Opener der Platte ist „All meine
Großeltern“, ein ruhiger Song, eine Standortbestimmung auf einer
persönlichen Zeitachse: Großeltern sterben, Läden schließen, Gebäude werden
abgerissen. Zeit vergeht, Dinge verändern sich, und man steht machtlos
daneben. „Мanchmal fühlt man sich wie Pantoffeltierchen in einem riesigen
Experiment“, sagt Björn Sonnenberg. „Ich kann beeinflussen, wie meine Haare
oder Kleider aussehen, aber sonst sehr vieles im Leben nicht.“
## Reim und Versmaß sind flexible Größen
Mit „Alphabet“ und „Ultraweiß“ enthält das Album geradezu typische
Locas-Songs: Flockiger Gitarrenpop, Schnörkel in Gesangslinie und Musik
gern gesehen, Reim und Versmaß werden flexibel gehandhabt. „Ich brauche
neue Wörter“, singt Björn Sonnenberg in „Alphabet“, Stefanie Schrank
ergänzt: „Um Bedeutungen herzustellen“. Sonnenberg raunt zeitweise warm und
tief ins Mikrophon, als kauere er im Lautsprecher, ganz dicht an der
Membran und damit ganz dicht am Herz der Zuhörer. Dass ein Lied wie
„Ruinen“ als Liebesschmonzette gänzlich unpeinlich funktioniert (“Und we…
wir wieder auseinandergehen / kannst du mich nicht einfach mitnehmen“),
liegt auch an Sonnenbergs unprätentiösen Gesang.
In Songs wie „Оh!“ und „Ich bin eine Insel“ entdecken Locas In Love
elektronische Sounds für sich, erweitern ihre popkulturelle Aktionsfläche.
„Als Rocksongs wirkten diese Lieder geheimnislos agitatorisch und platt“,
erklärt Björn Sonnenberg, „in diesem Sound erst begann es zu swingen und
die Parolen ambivalenter, vielschichtiger, interessanter zu werden.“
Über Ambivalenz und Vielschichtigkeit geht es auch im der Platte
beigefügten Essay „Aufsatz über das Wesen und das Messen der Zeit,
Kalender, Popsongs und meine Band Locas In Love“. Björn Sonnenberg:
„Popmusik ist für uns Ausgangspunkt für alles Mögliche. Man kann zu einem
Song drei Minuten tanzen oder 16 Seiten drüber schreiben.“ So ist es. In
der Best-Of-Indiepop-Liste 2015 stehen Locas In Love ganz oben. Mal wieder.
4 Dec 2015
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=r3iBEqWArmI
## AUTOREN
Malte Göbel
## TAGS
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