| # taz.de -- Kolumne Geschöpfe: Der T-Shirt-Tycoon | |
| > Wie ich einmal vielleicht fast eventuell dem großen Revolutionär begegnet | |
| > wär. | |
| "Wenn ich neben dir stand hab ich's leise geahnt, dass die Revolution ihre | |
| Kinder frisst und mich sicher nicht vergisst. Und ich liebte dich, so wie | |
| Comandante Che Guevara die Revolution, und träumte all die guten Träume und | |
| von einem T-Shirt mit deinem Gesicht" | |
| (Locas In Love, "Comandante") | |
| Seit Stunden schon regnete es diesen beharrlichen Nieselregen, wie ihn nur | |
| die Pyrenäen kennen. Das abendliche Barcelona lag lange hinter mir, die | |
| Provence in weiter Ferne noch. Ich war durchnässt bis auf die Unterhosen | |
| und hielt bereits Ausschau nach einer Pension, als in einer kniffligen | |
| Spitzkehre hoch über dem Mittelmeer im zitternden Scheinwerferkegel | |
| unvermittelt und bläulich der Chrom der Krümmer einer alten Norton | |
| aufblitzte. Ich bremste scharf ab und ließ meine Maschine neben der des | |
| havarierten Kollegen ausrollen. | |
| Eine Norton! | |
| Aufgebockt stand sie da auf dem Schotter des Seitenstreifens, und im Dunkel | |
| dahinter hantierte fluchend eine gebückte Gestalt mit einem | |
| Schraubenschlüssel. "Kann ich helfen?", fragte ich auf Französisch und, als | |
| er nicht reagierte, vorsichtshalber gleich noch auf Englisch. Da erst hob | |
| der fremde Fahrer den Kopf: der markante Schädel, die Zornesfalte, die | |
| eigentlich eher eine Entschlossenheitsfalte war, der leicht verdrossene Zug | |
| um das Kinn, die erloschene Zigarre zwischen den Lippen, klar, das war ja: | |
| Che Guevara! Um Jahrzehnte gealtert zwar, weiß der Bart, irgendwie ledrig | |
| die Haut, aber doch noch recht, na ja, fidel. "Alemán? Deutscher?", fragte | |
| er und richtete sich, als ich nickte, unter bedenklichem Knacken seiner | |
| Gelenke zu voller Größe auf. "Schrott", sagte er dann, verpasste seinem | |
| Motorrad einen Tritt und wiederholte: "Absoluter Schrott. Schon immer. Hast | |
| du Feuer? Fuego?" | |
| Es stellte sich heraus, dass Che, in seiner Jugend ein leidenschaftlicher | |
| Rugby-Spieler, gerade auf dem Weg zur WM in Frankreich war. Mit dem Schiff | |
| war er aus Buenos Aires gekommen, in Valencia an Land gegangen, und nun | |
| hier liegengeblieben: "Wäre damals, in den Fünfzigern, nicht auch meine | |
| Norton verreckt", ärgerte er sich, "dann hätte ich weiter bequem damit | |
| durch Südamerika tuckern können. Ich hätte nicht per Anhalter fahren | |
| müssen. Ich hätte nie das Elend der Landbevölkerung erfahren. Ich wäre nie | |
| diesem Castro aufgesessen! Ich hätte der kleine Playboy bleiben können, der | |
| ich war. Ich hätte nie auf dieser verlausten Yacht angeheuert! Ich wäre nie | |
| kubanischer Industrieminister geworden. Ich, der Sohn eines argentinischen | |
| Mate-Bauern? Ich wäre nie auf die schiefe Bahn geraten!", schimpfte der | |
| rüstige Greis und zwinkerte mir zu: "Revolution, stimmt's? Spreche ich das | |
| richtig aus? So hat's die Tamara Bunke mir beigebracht, das dumme Ding, | |
| immer voll auf Koks die Alte, damals, bevor ich in Bolivien meinen eigenen | |
| Tod inszenierte." | |
| Fassungslos stammelte ich drauflos: "Deinen Tod? Inszeniert? Aber | |
| Comandante!", doch er rollte nur mit den Augen: "Hast du da ein Problem | |
| mit? Get real, boy: Ich bin Unternehmer! Un-ter-neeehmer! Kein Krieger! | |
| Mao, ja, DAS war ein GuerillaKämpfer! Aber ich doch nicht! Hey, ist mir | |
| doch alles in die Hose gegangen, damals. In Kuba, das war schon knapp, da | |
| ging mir durchaus die Düse. Und später, im Kongo, da hätte ich mir fast den | |
| Tod geholt, bei diesen stinkfaulen Negern! Comandante? Comandante | |
| Dünnschiss! Ich lach mich schlapp!", sagte er und lachte sich schlapp. | |
| Ich nutzte die Gelegenheit, ihm Paroli zu bieten: "Und all die Leute, die | |
| an dich glaubten und noch immer glauben?" - "Du meinst meine Kunden? Die | |
| meine Poster kaufen, ja? Die Aufnäher, Autoaufkleber, Plakate, aber vor | |
| allem die T-Shirts mit meinem Gesicht? Ein Riesengeschäft, diese fetten, | |
| weißen, pickligen Sprösslinge der bürgerlichen Mittelschicht, die sich mit | |
| meinem Konterfei auf der Brust für ein paar Jahre in romantische | |
| Stalinisten mit Dreadlocks verwandeln! Seit Jahrzehnten lebe ich von den | |
| Tantiemen! Elvis übrigens auch, ein netter Kerl, er joggt und ist ziemlich | |
| fit für sein Alter", erzählte Che, bevor er seine Pistole durchlud und mir | |
| in den offenen Mund steckte, mit dem ich ihm zugehört hatte: "Du wirst | |
| sicher verstehen, dass ich dich jetzt umlegen musst. Du weißt zu ", und | |
| schon hatte er abgedrückt, sodass ich glücklicherweise rechtzeitig vor Ende | |
| der Spitzkehre wieder zu mir kam. | |
| Che, netter Kerl. Sekundenschlaf, teuflische Sache. | |
| 9 Oct 2007 | |
| ## AUTOREN | |
| Arno Frank | |
| Arno Frank | |
| ## TAGS | |
| Che Guevara | |
| Indiepop | |
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