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# taz.de -- Punk-Kino: Die Bilderstürmer
> Die Geschichte einer Rebellion, in Punk-Ästhetik erzählt: Nach 30 Jahren
> ist der Spielfilm „Decoder“ wieder zu sehen.
Bild: Auch mit dabei in "Decoder": Christiane F. in einer für sie maßgeschnei…
HAMBURG taz | In einem Fastfood-Restaurant wird das Tonband ausgetauscht:
Statt Berieselungsmusik erklingt eine Kakofonie aus dissonanten
Industriegeräuschen. Daraufhin kriegen die Kunden ihre Burger nicht mehr
herunter, werden aggressiv und demolieren den Laden. Die Aufnahme
verbreitet sich wie ein Virus – es kommt zu gewalttätigen Demonstrationen
und schließlich zum Aufstand gegen das System.
Diese Wunschfantasie ist der Kern des Films „Decoder“, den eine Handvoll
Hamburger Punks im Jahr 1984 mit viel Energie und Fantasie drehten. Solides
Filmhandwerk war dagegen nicht ihre Stärke, und so sagt der damalige
Drehbuchautor Klaus Maeck heute, dass er sich den Film nur „unter
Schmerzen“ wieder ansehen kann. Zum 30. Geburtstag wird der Salzgeber
Filmverleih nun endlich eine DVD-Ausgabe herausbringen, und am Freitag wird
der Film im Hamburger Kino 3001 im Beisein von Klaus Maeck gezeigt.
Die erste Hälfte des Films ist tatsächlich schwer zu rezipieren, weil es
keine nachvollziehbare Exposition gibt – stattdessen wird gleich mit
Stil-Experimenten wie verfremdeten Kameraeinstellungen und verwirrenden
Schnitten begonnen. Jeder der drei Protagonisten wurde in einer eigenen
Neonfarbe aufgenommen: der Punker in Rot, seine Freundin, die in einer
Peepshow arbeitet, in Grün und ein düsterer Agent des Systems in Blau.
Der rebellische Held versucht an seinem Mischpult die im doppelten Sinn des
Wortes herrschende Musik zu decodieren und seinen klanglichen Gegenschlag
unter die Leute zu bringen. Der Agent bekommt von dunklen Gestalten den
Auftrag, den Punk zu finden und auszuschalten, aber er verliebt sich in
dessen Freundin und gerät in eine Sinnkrise. Die junge Frau gibt dem Punk
schließlich den entscheidenden Tipp bei der Mischung seiner subversiven
Aufnahmen.
Die Mängel des Films mindern das Sehvergnügen heute kaum, denn dreißig
Jahre später hat „Decoder“ eher einen dokumentarischen Wert. Und der ist
beträchtlich, denn der Film ist so etwas wie gelebte Punkkultur: Die Macher
verstanden sich selber als Bilder- und Klangstürmer. Einige Jahre vor MTV
arbeiteten sie mit einer extrem schnellen Schnittfolge und Bildern aus
unterschiedlichen Quellen. So gibt es in „Decoder“ Fragmente aus Fritz
Langs „Metropolis“ und es gibt Fernsehaufnahmen von dem Attentat auf John.
F. Kennedy.
Die verwirrende Erzählstruktur erklärt sich dadurch, dass mit Maeck, Volker
Schäfer und Trini Trimpop zu viele am Drehbuch herumprobierten. Dass dann
mit Mucha ein einzelner Regisseur die Aufnahmen leitete, wurde erst während
der Dreharbeiten entschieden, weil sich herausstellte, dass Dreharbeiten
ohne eine minimale hierarchische Struktur unmöglich waren.
Die Filmemacher wohnten damals in einer Hamburger Wohngemeinschaft
zusammen, zu der auch FM Einheit von den „Einstürzenden Neubauten“ und
Christiane F. („Das Mädchen vom Bahnhof Zoo“) gehörten. Die beiden
verkörpern die positiven Protagonisten und spielen sie meist herzhaft
schlecht, aber da ihnen die Rollen auf den Leib geschrieben wurden, bietet
der Film einen fast dokumentarischen Einblick in ihre damaligen
Lebensumstände.
Aus heutiger Sicht ist es auch interessant, wie in „Decoder“ die damals
neue elektronische Technik gefeiert wird. Ständig wurden Bildschirme
gezeigt und das Filmbild selber wird als Videoaufnahme ausgestellt. Es gibt
lange Einstellungen davon, wie FM Einheit an einem Mischpult arbeitet,
Ton-Kassetten werden fast wie Fetische gefeiert und Ghettoblaster sind die
neuen Waffen in den Händen der Rebellen.
Zur Grundidee des Films wurde Klaus Maeck durch einen kleinen Band mit
Essays von William Burroughs zum Thema „Die Elektronische Revolution“
inspiriert. Burroughs experimentierte in den 1970er-Jahren mit
zerschnittenen Tonbändern und diese Cut-up-Technik wollte Maeck auf den
Film übertragen. Mit dem Auftrag, ein Interview für die Zeitschrift Twen zu
machen, gelang es ihm, Burroughs zu treffen. Dieser erklärte sich dann
sogar zu einem kleinen Auftritt in „Decoder“ bereit.
Bemerkenswert ist auch, wie international das Filmteam für diesen
Low-Budget-Film ist: Zum Beispiel wurde die in New York lebende Kamerafrau
Johanna Herr eingeflogen, weil deren Arbeit in den Avantgardefilm „Subway
Riders“ den Hamburgern gefallen hatte. Herr brachte den amerikanischen
Schauspieler Bill Rice mit, der den Agenten als eine düstere Figur wie aus
einem Film noir spielte und als einziger Profi unter all den Dilettanten
wie ein Fremdkörper wirkt. Der Soundtrack ist mit Songs von Soft Cell,
Psychic TV, The The und Einstürzende Neubauten dagegen so professionell
produziert, dass dies im Vergleich zum Rest des Films schon fast ein
Stilbruch ist.
„Decoder“ wurde 1984 auf der Berlinale gezeigt und fiel beim Publikum und
der Kritik durch. Der Film bekam keinen Verleiher und wurde nicht in den
Kinos, geschweige denn im Fernsehen gezeigt. Langsam entwickelte sich aber
ein Kult-Status: In Japan tauchten VHS-Raubkopien auf und in Mailand gab es
eine Zeit lang eine Zeitschrift mit dem Namen Decoder.
Klaus Maeck zeigte den Film im letzten Jahr beim 30. Chaos Communication
Congress in Hamburg. Inzwischen gilt er als analoger Vorläufer der
Cyberpunk-Bewegung und ist heute mit seiner Grundthese, dass Musik als
Waffe benutzt werden kann, erstaunlich aktuell.
## 15. 8., 21.15 Uhr, mit Klaus Maeck und weiteren Gästen; 16., 22. + 23.
8., 23.30 Uhr, Hamburg, Die DVD ist für rund 16 Euro im Handel erhältlich
13 Aug 2014
## AUTOREN
Wilfried Hippen
## TAGS
Rebellion
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