# taz.de -- Neues Album von Ezra Furman: Ansteckendes Wachstum | |
> Der queere US-Singer-Songwriter Ezra Furman kommt mit seinem neuen Album | |
> „Transangelic Exodus“ für ein Konzert nach Berlin. | |
Bild: Auf irrem Roadtrip durch die USA: Ezra Furman | |
In der Windschutzscheibe spiegeln sich die Scheinwerfer der | |
entgegenkommenden Autos. Ein gehetzter Blick aus kajalumrandeten Augen in | |
den Rückspiegel. Diese Szene in Schwarz-Weiß ist festgehalten auf dem | |
Cover von Ezra Furmans „Transangelic Exodus“. Das neue Album des Chicagoer | |
Songwriters ist ein schlafloser Roadtrip quer durch Amerika, immer entlang | |
der gelben Straßenmarkierungen. | |
Furman, der sich stets von Filmemachern und Schriftstellern hat inspirieren | |
lassen, sieht sein neues Werk mehr als Roman denn als Konzeptalbum, halb | |
Fiktion, halb Autobiografie. In dieser „queer outlaw saga“ geht es um einen | |
Engel, der von der Regierung verfolgt wird. Im Krankenhaus hat er sich | |
wegen seiner neu gewachsenen Flügel behandeln lassen, nun muss er mit | |
seinem Liebhaber fliehen, denn: Die Behörden glauben, das Flügelwachstum | |
sei ansteckend. | |
Natürlich ist dies ein unverhohlener Kommentar auf die momentane | |
Grundstimmung in den USA. Dass Furman das dramatische Wort „Exodus“ für den | |
Titel gewählt hat, ist kein Zufall: Der gläubige Jude fürchtet zwar nicht | |
explizit eine neue Fluchtbewegung, keinen Auszug der Israeliten aus | |
Ägypten, doch die Wut auf die Zustände in den USA ist ihm in jeder Zeile | |
seiner Texte anzumerken. Im Video zu „Love You so Bad“ lässt der 31-jähri… | |
Künstler ein Tableau aus Spielkarten, Zigaretten und seinem Uni-Zeugnis | |
anzünden. „Fire and Fury“ einmal anders. | |
## Feuer und Läuse | |
Furman wünscht diesem „Egypt“, diesem verflucht konservativen Land, Blut, | |
Feuer und Läuse auf den Hals. So weit, Donald Trump als bösartigen Pharao | |
darzustellen, geht Furman dann aber doch nicht. Vermutlich nur, weil dieses | |
bizarre Bild nicht in eine popkulturelle Welt passen würde, die stets am | |
besten funktioniert, wenn sie sich halbwegs sublimer Zeichen bedient. | |
Ezra Furmans Songs klingen aber auch ohne historische Kenntnisse toll: Eine | |
dumpfe, leicht paranoide Grundstimmung zeichnet „Transangelic Exodus“ aus, | |
angereichert mit schrägen Drones und Horrorfilm-Soundeffekten. Mit dem | |
Starrsinn des frühen Solo-John-Lennon deklamiert der Sänger seine Texte: „I | |
am shattered / I am bleeding / But God damn it I’m alive“. | |
Doo-Wop-Prägungen hallen in den Background-Chören nach, aber „Transangelic | |
Exodus“ hat nun viele ätherische Dämpfe aus dem Goldenen Glamrock-Zeitalter | |
der Siebziger eingeatmet. | |
Da sind die Bowie-artigen Gitarren. Und wie sehr Furman durch den queeren | |
New Yorker Rock-’n’-Roll-Misanthropen Lou Reed beeinflusst wurde (im | |
Frühjahr erscheint in der Buch-Reihe „33 1/3“ Furmans Beitrag über dessen | |
Meisterwerk „Transformer“), beweist das morbide „God Lifts Up the Lowly�… | |
Ein Song, leicht verzerrt sprechgesungen, nur untermalt von trockenen Drums | |
und einem düsteren und doch beruhigenden Cello. Der Protagonist ist | |
getroffen und verletzt, aber er bleibt empfindsam. Gottglaube und | |
Homosexualität stehen für Furman nicht im Widerspruch. Angesichts der | |
nächtlichen Verlockungen von Rock ’n’ Roll ist er froh über Beistand von | |
oben. | |
## Wenig Schlaf, viele Drogen | |
Er schlafe wenig und andauernd würden ihm Drogen angeboten, klagte Furman | |
gerade im Radio. Jedoch: „I’m glad to have a little string, tied to the | |
balloon of god.“ Ein ballongleicher Gott, einer dieser typischen, | |
merkwürdigen Furman-Metaphern, die zur Welt des Trans-Engels passt. Er habe | |
keine Angst, denn er lese ja nachts Psalmen, singt der Mann, der nie an | |
Freitagen auftritt, in „Psalm 151“. | |
Bei aller Kritik am System gefällt sich Furman durchaus in der Rolle des | |
Unangepassten: „I’m a queer for life, outlaw, outsider“ heißt es in „I… | |
my Innocence“. Der Song beschließt das Album mit Funk-Gitarren und | |
beschwingtem Saxofon erstaunlich gut gelaunt. Es besteht noch Hoffnung im | |
Land der Pharaonen. | |
15 Feb 2018 | |
## AUTOREN | |
Jan Paersch | |
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