Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Poetischer Anti-Folk aus Wien: I wü nur des Beste für di
> Der junge Bänkelsänger Voodoo Jürgens ist schwer im Kommen. Er singt im
> Dialekt der Arbeiterbezirke Wiens.
Bild: Voodoo Jürgens war vor seiner Gesangskarriere Konditorlehrling und Fried…
Der Kragen des aus dem Fundus der Siebziger stammenden blauen Hemds steht
spitz über das dunkle Jackett des schlaksigen jungen Mannes; seine Frisur
ist eine Mischung aus Prinz Eisenherz und Vokuhila. Voodoo Jürgens stellt
sein Bier auf dem Oberschenkel ab, die linke Hand lässt er am Flaschenhals.
Mit der Rechten raucht er. Asche, die auf seine Hose fällt, schenkt er
keine Beachtung. Im Berliner Badehaus Szimpla sitzt Voodoo Jürgens vor
seinem Konzert im winzigen Backstageraum auf einem braunen Ledersofa. Die
oberen Hemdknöpfe betont offen, zwei Silberketten kommen so zum Vorschein.
Voodoo Jürgens’ Debütalbum „Ansa Woar“ – also „Einserware“ oder a…
Ware“ – landete sofort nach Veröffentlichung auf Platz eins der
österreichischen Albumcharts, auch seine [1][erste Single „Heite grob ma
Tote aus“] wurde gleich zum Hit; demnächst erscheint wieder eine
hitverdächtige Nummer, „Hansi der Boxer“. Selbst das Konzert in Berlin ist
ausverkauft. Vielleicht, weil er in seinen Liedern glaubwürdige Geschichten
erzählt und ein Klischee verkörpert. Voodoo Jürgens singt im
bedeutungsschwangeren Wiener Dialekt und schlüpft dabei in Rollen.
In „3 Gschichtn ausn Café Fesch“, erzählt er von einem Versager, einem
amputierten Bein und dem goldenen Schuss. Es sind Storys, die er
tatsächlich so gehört hat. Dann ist er [2][die Freundin von „Gitti“,] die
versucht, sie vor einem Vorstadtcasanova zu bewahren: „I bin dei Freindin
Gitti / Und I wü nur des Beste für di / Owa in meine Augen sads es zwa / Ka
guate Partie.“
## Autobiografisch und Anti
Und er erzählt autobiografisch über seine Heimatstadt Tulln. Von den
Tritten im Kindergarten, der verunglückten ersten Liebe, dem
Gefängnisaufenthalt des Vaters und dem Geruch – „Zwischen Zuckerbude und
Kadaverfabrik / Wo’s siaßlat oder nach hinige Viecher riacht“. Es ist ein
Geruch, der seine Jugend begleitet, bevor er mit 16 nach der abgebrochenen
Konditorlehre zu Hause rausfliegt und nach Wien geht und fortan als
Friedhofsgärtner arbeitet.
Voodoo Jürgens macht in seiner Musik sehr deutlich, warum Wien auch als
westlichste Stadt des Balkans bezeichnet wird: Die östlichen Einflüsse sind
nicht zu verleugnen. Der 33-Jährige nennt seinen Sound Anti-Folk oder
Anti-Austropop. Auf der Bühne steht er mit seiner Band, der „Ansa Panier“
(„Einserpanier“ – frei übersetzt „slickes Outfit“), mit Piano, Kontr…
Schlagzeug und der „Quetschn“ – einem Akkordeon also.
Ob er politisch sei? „Nicht direkt“, antwortet er. „Aber ich erschaffe in
den Texten schon Situationen, die politisch interpretiert werden können –
und ich hab ein Antifa-Pickerl auf meiner Gitarre.“ Es hätten ihn deshalb
schon Leute beschimpft. Doch es sei „auch irgendwie schön, wenn man dann
gleich positioniert ist“. Da werfe einem dann keiner Heimattümelei vor, ob
des Dialekts.
## Heimatbezogene Sehnsucht
Die Art des Wienerischen, in der er singt, diente früher der sozialen
Markierung. Es ist ein Dialekt, der sich ein bisschen antik anfühlt, den
man aus Arbeiterbezirken sehr wohl kennt, von Leuten, die sich Sorgen
machen müssen, die unzufrieden sind. In den Innenstadtbezirken Wiens
pflegte man eher „Schönbrunner Deutsch“, bekannt durch langgezogene und
nasale Sprechweise, die einst auch Falco interpretiert hat.
Es liegt heimatbezogene Poesie und Sehnsucht in „Ansa Woar“, die sich
vielleicht nur einem Wiener komplett offenbart. Ob man ihn in Berlin
überhaupt versteht? „In den Texten beziehe ich mich auf einen Dialekt, den
meine Eltern gesprochen haben – davon verstehen auch junge Wiener heute
nicht mehr alles. Die meisten wissen aber sofort, worauf ich hinauswill.
Wer sich mit den Texten auseinandersetzt, versteht sie auch.“
Früher hat Voodoo Jürgens mit seiner Band Die Eternias auf Englisch
gesungen. Das sei eher Ziegenpeterenglisch gewesen, sagt er. „Es war zwar
kein Geheimplan, irgendwann den Dialekt rauszuholen, ich wollte das schon
früher machen. Ich liebe Phrasen und Alltagsgebräuche, aber mit 20 hätte
man sie mir nicht abgenommen.“ Sein Künstlername ist übrigens ein
Überbleibsel der letzten Band, in der die Mitglieder wechselnde Pseudonyme
hatten. Dieses war schlicht sein letztes.
Voodoo Jürgens – sein Vorname ist eigentlich David, seinen Nachnamen will
er nicht so gern in der Zeitung sehen, nicht weil er etwas zu verbergen
hat, sondern weil er meint: „Wozu nimmt man sich denn dann einen
Künstlernamen?“ –, geht Vergleichen mit Stefanie Sargnagel und Wanda
elegant aus dem Weg: „Wir sind schon lange befreundet, und jeder macht sein
Ding. Ich muss da vorsichtig sein, weil die Leute mir sonst ein Image
anhängen.“
Was er damit meint, ist die weit verbreitete Haltung in der
österreichischen Musikszene, alles, was erfolgreich ist, runterzumachen.
„Die Wiener sudern viel herum. Städte haben immer ihre Eigenheiten und das
Granteln ist schon etwas spezifisch Wienerisches – das merkt man sofort,
wenn ich im Ausland unterwegs bin.“
10 Dec 2016
## LINKS
[1] http://www.youtube.com/watch?v=PvJ9L9gmJSs
[2] http://www.youtube.com/watch?v=XksAiqFyuuE
## AUTOREN
Saskia Hödl
## TAGS
Wien
Österreich
Musik
Postpunk
Präsidentschaftswahlen Österreich
Wien
Musik
## ARTIKEL ZUM THEMA
Tragikomödie mit Sänger Voodoo Jürgens: Ein Herz für Egoisten
Lebenskünstler oder Tagedieb? Adrian Goigingers Tragikomödie „Rickerl –
Musik is höchstens a Hobby“ zeigt Voodoo Jürgens als sympathischen
Antihelden.
Neues Album von Martha Wainwright: Wenn es Kaugummis regnet
Die kanadische Singer-Songwriterin inszeniert ihr Album „Goodnight City“
ungewohnt elektronisch. Und doch bleibt der Wainwright-Kosmos klassisch.
Postpunk-Schwaben-Musik: Keine Zeit für Zärtlichkeit
Schon wieder Postpunk aus Stuttgart: Die Band Karies und ihr anstrengendes,
aber auch schönes Album „Es geht sich aus“.
Nachlese zur Wahl in Österreich: Die andere Hälfte des Landes
Norbert Hofer hat die Wahl verloren, dennoch haben viele für den
FPÖ-Kandidaten gestimmt. Was hat sie dazu veranlasst? Drei Porträts.
Autorin Stefanie Sargnagel: Urarg, urschlecht, urschade
Die Alltagsbeobachterin hat Humor mit Sprengkraft und Erfolg. Den einen
gilt sie als „Ekelfeministin“, den anderen als „Lena Dunham von Wien“.
Die österreichische Band Wanda: Ich sauf einen Pistolenlauf
Die Rampensäue von Wanda können auch zärtlich sein. Das zeigen sie bei
ihrem Konzert in Potsdam. Wild, barsch und doch liebenswürdig. Amore!
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.