# taz.de -- Tragikomödie mit Sänger Voodoo Jürgens: Ein Herz für Egoisten | |
> Lebenskünstler oder Tagedieb? Adrian Goigingers Tragikomödie „Rickerl – | |
> Musik is höchstens a Hobby“ zeigt Voodoo Jürgens als sympathischen | |
> Antihelden. | |
Bild: Eine komplexe Vater-Sohn-Beziehung zwischen Dominik (Ben Winkler) und Ric… | |
Früher nannte man solche Leute „Lebenskünstler“. Oder, etwas abfällig, | |
„Tagediebe“ – weil sie sich faul durch den Tag stehlen, anstatt zu | |
„schaffen“. Ein Verhalten, auf das im fleißigen Deutschland von jeher | |
herabgeschaut wird. | |
Im ebenso fleißigen Österreich ist das ähnlich. Der Wiener Kettenraucher | |
Rickerl (Voodoo Jürgens) beschäftigt sich mit Musik, anstatt einem | |
Geldberuf nachzugehen, der ihn sowieso nicht interessieren würde. Er | |
verweigert oder verliert sämtliche Jobs, versäuft den Großteil seiner | |
knappen Kohle, die digitale Welt, überhaupt jede Form modernen Lebens, | |
lehnt er ab und die Texte seiner Außenseiter-Bänkellieder tippt er in eine | |
analoge Schreibmaschine. Solche Menschen haben gesellschaftlich nicht viel | |
zu melden. | |
Als Filmsujets eignen sie sich dagegen erstklassig: In der Tradition von | |
charismatisch-arbeitsscheuen Taugenichtsen wie Werner Enkes Figur Martin in | |
„Zur Sache, Schätzchen“, Rudolf Nadlers Max in „Tagediebe“ (sic) und v… | |
generischen Jim-Jarmusch-, Coen-Brothers- („Inside Llewyn Davis“) und | |
Paul-Auster-Charakteren gibt sich die Hauptfigur in Adrian Goigingers | |
Tragikomödie „Rickerl – Musik is höchstens a Hobby“ als Drückeberger a… | |
Schule in passenden 70s-Hemden samt Koteletten. | |
Dass der mittellose Wiener Beisl-Musiker sogar von seinem Friedhofsjob | |
gefeuert wird, weil er Totenköpfe „putzen“ wollte, dass seine Ex-Frau Viki | |
(Agnes Hausmann), Mutter seines Sohnes Dominik (Ben Winkler), einen reichen | |
Piefke ihm vorzieht und dass er es auch auf freundlichen Druck eines | |
„Produzenten“ nicht schafft, Songs für eine Platte aufzunehmen, nimmt ihm | |
nichts vom nikotinvergilbten Charme. | |
## Komplexes Vater-Sohn-Verhältnis | |
Nicht mal Viki kann ihm lange böse sein: Als Rickerl sie doch mal wieder in | |
die Stammkneipe lockt, wo die üblichen Verdächtigen rund um die Uhr | |
Schnäpse trinken und dem Müßiggang frönen, endet der Abend mit einem Kuss. | |
Rickerl steht sich vor allem selbst im Weg – er versäumt es immer wieder, | |
sein entschleunigtes Leben nachhaltig aufzumotzen. Zudem setzt er die | |
falschen Prioritäten: Der Gelegenheitsvater nimmt das Söhnchen mit zum | |
Aushilfsjob im Sexshop und lässt es Pornos gucken, um sich nicht kümmern zu | |
müssen. Später vergisst er die Verantwortung für den Achtjährigen vollends, | |
weil seine Gitarre in Gefahr ist – und lässt ihn allein im Park zurück. | |
Viki ist not amused, Dominik ebenfalls nicht. | |
[1][Goiginger, dessen Film „Die beste aller Welten“] bereits eine durch die | |
Drogenabhängigkeit der Mutter belastete Eltern-Kind-Beziehung schilderte, | |
stellt auch in „Rickerl“ das komplexe Verhältnis zwischen dem von | |
[2][Voodoo Jürgens] mit (laut Regisseur) viel Authentizität und wenig | |
Verstellung verkörperten Musiker und dessen Sohn in den Mittelpunkt. | |
Das ist bezaubernd absurd und wird durch den warmen Dialekt der | |
Beteiligten, in dem sich anscheinend vor allem hervorragend Schimpfen | |
lässt, und die verqualmten Bilder von gemütlich-schmuddeligem Eckkneipen | |
und kleinen, unordentlichen Buden zu einem glaubhaft-fiktionalen | |
Künstlerporträt. | |
Dennoch gerät die Figur des männlichen Tunichtguts zuweilen eindimensional. | |
Zwar versucht der Regisseur, seinem Protagonisten eine Entwicklung in Bezug | |
auf den eigenen, absenten und suchtkranken Vater mitzugeben, die erklären | |
soll, wieso Rickerl vor allem in der Vaterrolle einfach nicht gewissenhaft | |
agiert – das erlernte Muster scheint sich zu wiederholen. | |
Aber Goiginger liebt Rickerl viel zu sehr, als dass er ihm schaden möchte. | |
Auch mithilfe von Klischees malt er stattdessen das Bild des trotz seiner | |
Schwächen sympathischen Künstlers – und das, obwohl dem Mann vermeintliche | |
Freiheit und Kreativität wichtiger sind als das Wohlergehen seines Kindes. | |
## Weniger positiver Held, als misogyner Egoist | |
Dass solche klassischen Verweigerungsväter schlichtweg misogyne Egoisten | |
und damit keineswegs positive Helden sind, bleibt als Erkenntnis | |
verwackelt. Stattdessen scheint der Film das Verhalten seines Protagonisten | |
entschuldigen zu wollen: Trotz klarer Arschlöchigkeit kommt er als Vater, | |
Mann und Musiker gut weg. | |
Ein paar Szenen, in denen das in realitas ebenfalls hochtalentierte | |
Austropop-Unikat Jürgens als Rickerl seine Gefühle musikalisch | |
kommuniziert, geraten darüber hinaus eher kitschig: Ein Rickerl-Song | |
zitiert Sprüche, die der 40-Jährige angeblich als Kind in der Schule um die | |
Ohren gehauen bekam, die aber kaum nach der liberalen Grundschulstimmung | |
der 80er und 90er klingen, sondern wie schwarze Pädagogik der 50er und 60er | |
Jahre („Aus dir wird nie etwas Anständiges werden!“). | |
Sein nicht nachtragender Sohn dagegen schreibt dem geliebten Papa am Ende | |
einen heimatfilmreifen Geliebter-Papa-Song, und singt es ihm großäugig vor. | |
Trotzdem ist „Rickerl“ ein im wahrsten Wortsinn stimmungsvoller Film. Dem | |
selbsternannten Antihelden hätte gleichwohl ruhig mehr echtes Antiheldentum | |
inklusive dementsprechenden Verhaltens und unangenehmer Konsequenzen | |
zugemutet werden können. Seine Wirkung als Hauptfigur im Film hätte das | |
nicht geschwächt: Ambivalenzen sind allemal interessanter als Sympathien. | |
31 Jan 2024 | |
## LINKS | |
[1] /ARD-Film-Die-beste-aller-Welten/!5604030 | |
[2] /Poetischer-Anti-Folk-aus-Wien/!5364044 | |
## AUTOREN | |
Jenni Zylka | |
## TAGS | |
Film | |
Komödie | |
Musiker | |
Österreich | |
Film | |
Drogensucht | |
Wien | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
„The Holdovers“ von Alexander Payne: Trampelpfad durchs Leben | |
Wie eine Zwangsgemeinschaft im Internat zu sich findet: Alexander Paynes | |
Film „The Holdovers“ ist eine Hommage an das US-Kino der 70er Jahre. | |
ARD-Film „Die beste aller Welten“: Weder Sozialstudie noch Problemfilm | |
Adrian Goigingers Debüt über seine Kindheit mit der Sucht ist wahrhaftig | |
und zurückhaltend. Nichts wird dramatisiert oder beschönigt. | |
Poetischer Anti-Folk aus Wien: I wü nur des Beste für di | |
Der junge Bänkelsänger Voodoo Jürgens ist schwer im Kommen. Er singt im | |
Dialekt der Arbeiterbezirke Wiens. |