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# taz.de -- Noiserock aus Stuttgart: Wenn der Himmel weint
> Schwaben ist das Kalifornien Deutschlands: Neue
> Pop-Krach-Punk-Gesamtkunstwerke aus dem Umfeld der Band „Die Nerven“
> beweisen das.
Bild: Reicht das schon zum Surfen oder muss der Himmel noch ein bisschen weinen?
Stuttgart, immer wieder Stuttgart. Dass sich rund um die schwäbische
Noiserock-Combo Die Nerven eine hochproduktive Musikszene gebildet hat, die
deutschsprachigem Pop eine frische Farbe gibt, dürfte sich herumgesprochen
haben. Mit welcher Verlässlichkeit dieser Zirkel aber gute Alben aus der
Hüfte schießt, ist erstaunlich.
Zum Beispiel Peter Muffin. Peter Muffin ist der formidable Künstlername von
Nerven-Bassist Julian Knoth, „Ich und meine 1000 Freunde“ heißt das
Mini-Album, das Knoth veröffentlicht hat, ziemlich guter Stoff. Die sechs
Stücke darauf bewegen sich musikalisch zwischen langsamem Lo-Fi-Rock und
Psychedelica, herausragend sind die Texte und ihr Witz. Das ist zum Teil
wörtlich zu nehmen. Denn im Song „Nicht einmal ich“ flicht Knoth einen
Jokus ein: „Wie heißen die Lieblingsfarben von Damien Hirst?“, fragt er da
mit leicht angeödetem Gesang, und antwortet: „Richtig: Blau, Rot – und
Geld.“ Toll wird das, wenn diese Zeile noch mit einem lapidaren „Was haben
wir nicht gelacht“ kommentiert wird, das dann gebetsmühlenartig wiederholt
wird: Was. Haben. Wir. Nicht. Gelacht.
Zynisch kommt „Ich und meine 1000 Freunde“ aber nicht daher. Im Gegenteil,
die Sehnsucht nach dem besseren Leben, nach etwas Vernunft in kranken
Zeiten ist dem Peter-Muffin-Sound eingeschrieben. Etwa im Liebeslied „Die
ganze Nacht schon“, das eingeleitet wird mit den Versen: „Ich sage dir,
dass die Erde nicht mehr rund ist/ Du sagt mir, dass die Sonne nicht mehr
scheint/ Doch wir sind noch nicht verloren/ Siehst du nicht, wie der Himmel
weint“.
Knoths Album ist nicht das erste tolle Werk, das auf dem kleinen
Stuttgarter Label Treibender Teppich erschienen ist. Bereits vor einem
halben Jahr veröffentlichte TT mit „Moony“ von JFR Moon ein Kleinod. JFR
Moon ist das Alter Ego von Human-Abfall-Bassist Fabian Drung. Auf seinem
dritten Album, dessen Cover den Künstler in der Badewanne mit dahinter
drapierter Katze zeigt, klingt eine lässig-verjazzte, bis dato ungeahnte
schwäbische Coolness an: Psychedelic-Folk, Synthie- und Slacker-Pop, der
mal an Grizzly Bear, dann an Pavement erinnert.
## Es flockt leicht vor sich hin
Sowieso scheint sich Schwabenseattle Richtung Kalifornien und Sixties
geöffnet zu haben. Hören kann man das auch bei den Wolf Mountains, einer
der vielen Bands des Die-Nerven-Schlagzeugers Kevin Kuhn. „Superheavy“ ist
das dritte Album des Trios, wobei die 14 Stücke so superheavy gar nicht
sind. Man bewegt sich zwischen Garage und Psychedelic-Rock, auch hier
flocken die Stücke schön leicht vor sich hin. Und mit „For Sure (That’s a
Fact)“ liefern Wolf Mountains einen Hit ab, der im Radio laufen sollte.
Gleiches könnte man für Levin Goes Lightly und dessen Song „Bluescreen“
sagen, einen der Höhepunkte seines bei Staatsakt erschienenen Drittwerks
„Ga ps“. Auch Levin Stadler, wie er mit bürgerlichem Namen heißt, ist mit
dem Nerven-Kreis verbandelt. Auf „Ga ps“ kommt er düster und schummrig
daher, Synthesizer und ein unterkühlter Gesang dominieren das Klangbild.
Stadler hat in seinem Leben viel Bowie, New Wave und Goth aufgesogen – vom
Äußeren wirkt er eher wie die neue Glam-Hoffnung des Ländle.
Noise-Pop aus Stuttgart, das hat sich ausdifferenziert: Sie können weit
mehr als nur Lärm. Sie haben eine Formensprache entwickelt, die den Geist
von Punk sachte in die Gegenwart transportiert. Und sie bilden gemeinsam
den agilen Gegenentwurf zu den starren Gedankenkorsetts, die Politik und
Gesellschaft links wie rechts dominieren. „Die Welt ist voller altkluger
alter Miesepeter“, singt Peter Muffin. Erträglicher machen einem Muffin &
Co. dieses Miesepetertum allemal.
22 Jan 2018
## AUTOREN
Jens Uthoff
## TAGS
Post-Punk
Schwaben
Stuttgart
Indiepop
Neues Album
Die Nerven
Neues Album
Pop-Underground
Postpunk
Post-Punk
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