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# taz.de -- Neues Album der Band „Die Nerven“: Alles nur noch falsch
> Das Noiserock-Trio „Die Nerven“ hat ihr zugänglichstes Album
> herausgebracht. Es besteht aus stellenweise toll psychedelischem Krach –
> und viel „Fake“.
Bild: Voll genervt: Die Nerven
Mit dem Klang einer in den Angeln klagenden Tür schleicht sich die Gitarre
an; in ihrer Gegenstimme wächst auf den perlenden und dann zischenden
Becken des Schlagzeugs ein Groll und verschafft sich im Handumdrehen Platz
und Weg. Nur noch Sekunden, und es wird wer aus dieser Tür gehen. Mit einem
Knall fliegt sie ins Schloss: „lass alles los / gib alles frei / nichts
bleibt“, wettert der Sänger und scheint dabei sein Mikrofon verschlucken zu
wollen.
Ein Break, und der Rhythmus erinnert an „Black Betty“, einen zumeist dem
US-Bluesmusiker Leadbelly zugeschriebenen Song aus den frühen Dreißigern
des 20. Jahrhunderts. Weiter im Text: „immer nur dagegen / immer nur
dagegen / nie wirklich da / immer nur dagegen / immer nur dagegen / aber
gegen was?“ Knapp drei Minuten nur, und Schluss ist. Der Sänger atmet, die
Zuhörer halten den Atem an.
„Frei“, der Song, von dem hier die Rede geht, ist das dritte von insgesamt
zwölf Stücken auf „Fake“, dem neuen Album des jungen, 2010 gegründeten
Stuttgarter Noiserock-Trios Die Nerven. Ihr zugänglichstes Album, sagen sie
im Interview, das stilecht im Kreuzberger Ramones-Museum neben der alle
paar Minuten vorbeibretternden Obergrundbahn stattfindet.
Nun ist „zugänglich“ im Noisebereich ein relativer Begriff. Die Nerven
spielen kräftigst geräuschhaltige Songs wie eben „Frei“ oder die sich auf
der zweiten Albumhälfte findenden „Aufgeflogen“ und „Skandinavisches
Design“. Ihr Lärm ist dabei keineswegs formlos, an anderen Stellen gerät er
fabelhaft psychedelisch gedehnt und vertrackt. Anspieltipps dafür sind
Stücke wie „Roter Sand“ und das danach folgende „Alles Falsch“.
## „Die Ideen entstehen beim Improvisieren“
„Fake“ ist bei einer klassischen Spielzeit von 45 Minuten ein Album mit
Dramaturgie. Die Nerven eröffnen es mit den zittrig-pendelnden
Gitarrensounds des Songs „Neue Wellen“ sowie dem regelrecht eingängigen
„Niemals“. Erst dann setzen sie auf ein Wechselspiel von kontrollierter
Raserei und brodelnder Unterschwelligkeit: Da sind das Tryptichon „Dunst“,
der älteste Song des Albums, und die pointillistische Gitarre in
„Explosionen“, einer elegischen Dystopie. Das Album schließt mit einer
bösen Ballade, sie ist auch der Titelsong.
Das Trio arbeitet mit plötzlichen Kontrasten, zwischen den Songs und in
ihnen. Knoth, Gesang und Bass, sagt: „Die Brüche sind bewusst gesetzt,
deshalb wirkt es auch, als würden die Noise-Schübe aus dem Nichts kommen.
Wir wollten schließlich, dass sie das tun.“ Kevin Kuhn, der Schlagzeuger,
ist auf die Reaktionen des Publikums neugierig: „Mit jedem neuen Album
wurde gesagt, die Noise-Attacken kommen immer verhaltener, kontrollierter.
Ich bin gespannt, ob das diesmal auch so sein wird.“
Auf die Frage nach dem Platz von Improvisationen in ihrer Musik fügt er
hinzu: „Die Ideen entstehen beim Improvisieren, dann wird dezimiert und
arrangiert. Auf dem Album hat dann alles seinen Platz. Meine ich
zumindest.“ Die Arbeit an „Fake“ und die Aufnahmen seien ein „Kraftakt
sondergleichen“ gewesen, sagen sie. In der Kompositionsphase hätten sie
sich beinahe aufgelöst und gefragt, ob die Welt denn noch ein Album von
ihnen bräuchte. Sie sind eine Band von Zweiflern für Zweifler. Die Skepsis
trifft auch die schnellen Vergleiche, mit denen HörerInnen ihrer Musik oft
begegnen. Auch, wenn die als Kompliment gemeint sind.
Sonic Youth wären so ein Referenzpunkt, die legendäre New Yorker
Noiserock-Band, bei der die Gitarren schon mal mit dem Schraubenzieher
bearbeitet worden sind und die in den späten Achtzigern zu einer
tendenziell zugänglichen Kratzbürstigkeit fand. Die Antwort der Nerven ist
ein sehr langgezogenes „Jaaaah“. Dann ein kurzes „Aber“ und ein bestimm…
„Wir sind Die Nerven.“
## Textet ein Bot zurück oder ein Mensch?
Ein Eingangsbild wie das der klagenden Tür würden sie sich wahrscheinlich
verkneifen. Die Texte schreiben Max Rieger und Julian Knoth. Beide setzen
auf Reduktion. Rieger, Gesang und Gitarre, hat „Frei“ geschrieben, er sagt:
„Für mich wirkt es eher so, als würden wenige Worte viel mehr aussagen.
Texte sollten so einfach wie möglich bleiben und dabei nicht sloganhaftig
werden.“
Knoth, Texter von „Niemals“: „Mir ist aufgefallen, dass ich zu kompliziert
gedacht habe, zu viel hineinlegen wollte. Ich hatte es mit Storytelling
versucht – das hat nicht funktioniert – und es dann wieder
heruntergebrochen. Dadurch erlangen meine Texte Deutungsoffenheit.“
Es gibt bei ihnen wiederkehrende Textmotive. Eines ist das für eine
Krachcombo bemerkenswerte von der zu lauten Stille, so in „Unersättlich“,
einem Song ihres Debüts „Fluidum“. Aufgegriffen wird es auf dem Nachfolger
„Fun“, ihrem vielleicht metallischsten Album, und dem langsamen, dabei
siedenden Stück „Nie wieder scheitern“, in das sie mit Verve die Zeile
werfen: „Wie ohrenbetäubend muss ich noch werden?“ Angesichts einer „Welt
aus Styropor / Für alles andere waren wir zu feige.“
Da ist er bereits angelegt, „Fake“, der Titel des neuen Albums. Im Grunde
war er es schon im Nerven-Demotape „Asoziale Medien“, einem
LoFi-Konzeptalbum. Julian Knoth: „Was ist wahr, was ist echt, die Frage
wird immer mehr gestellt werden. Textet ein Bot zurück oder ein Mensch?“
20 Apr 2018
## AUTOREN
Robert Mießner
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Punk
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