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# taz.de -- Neues Album von Die Türen: Antifa-Jam in der Schorfheide
> Musik, die sich Zeit nimmt und für die man sich Zeit nehmen muss: Die
> Berliner Band Die Türen und ihr Ausflug in die „Exoterik“.
Bild: Maurice Summen (vorne) und die Band Die Türen
Die Musikkommune auf dem Lande hat sich in Deutschland schon mal als
erfolgreiches Produktionsmodell erwiesen, wenn auch weniger in ökonomischer
denn in ästhetischer Hinsicht. Die Ära des Krautrock – mit Bands wie Faust,
Harmonia, Can, Amon Düül II oder auch den späten Ton Steine Scherben – ist
kaum denkbar ohne die Idee, sich als Kollektiv in die tiefe Provinz
zurückzuziehen und dort vor sich hinzuwerkeln.
Die Berliner Pop-Band Die Türen hat es den Urvätern des Kraut (-mütter
waren ja eher in der Minderheit) nun gleichgetan, allerdings nur eine Woche
lang als „Musikkommune auf Zeit“, wie Die-Türen-Sänger Maurice Summen sag…
Die Gruppe mietete den Saal eines Gasthofs im uckermärkischen Ringenwalde
an und nahm in der Schorfheide insgesamt sieben Stunden improvisierte Musik
auf.
„Wir haben zwar mit Die Türen schon immer auch krautige Ausfahrten
genommen, jetzt wollten wir den Fokus aber voll auf diese Form der Musik
und Musikproduktion legen“, sagt Summen. Das Album, das daraus entstanden
ist, heißt „Exoterik“ – und ist immer noch knapp zwei Stunden lang.
Die Türen standen bislang für klugen Dada-Pop, dessen Qualitäten 2012 mit
dem Album „abcdefghijklmnopqrstuvwxyz“ erstmals auch ein etwas größeres
Publikum erkannte. Gut 15 Jahre gibt es die Band bereits – genauso lange
wie das Label Staatsakt, das damals gegründet wurde, um das Türen-Debüt zu
veröffentlichen und das bis heute von Maurice Summen selbst betrieben wird.
## Berliner Adult-Popszene
Als Trio – mit Gitarrist Gunther Osburg und Bassist Ramin Bijan –
gestartet, spielen heute bei Die Türen auch Gitarrist und Keyboarder
Andreas Spechtl (Ja, Panik) und Schlagzeuger Chris Imler, womit ein
essenzieller Bestandteil der Berliner Adult-Popszene einen
Die-Türen-Mitgliedsausweis mit sich führt (oder zumindest dazu berechtigt
wäre).
Das große Verdienst von „Exoterik“ ist es, dass das Album
Krautrock-Reminszenzen, Postpunk-Angepisstheit und politischen
Gegenwartspop zusammenbringt. Die tagesaktuellen politischen Stücke kommen
dabei mit wenigen Worten aus. „Miete Strom Gas“ etwa erschließt sich als
Gentrifizierungsdreisatz unmittelbar, mit „Fiesta Antifa“ formuliert die
Band den unzweideutigen Appell, dem Rechtsruck mit klarer Kante zu
begegnen.
„In den Nullerjahren haben sich viele Linke der Ravekultur zugewandt und
sind hedonistischer geworden“, erklärt Summen im Gespräch, „damals bewegte
man sich noch in einer Safety-Zone – das ist jetzt vorbei. Jeder, der eine
antifaschistische Haltung hat, sollte sie heute wieder zum Ausdruck
bringen. Da ist auch Zivilcourage gefragt, wenn man zum Beispiel Zeuge von
rassistischen Pöbeleien in der Bahn wird.“
## Die Hundeseele baumeln lassen
Die politische Großwetterlage spiegelt sich auch in
„Selbstverständlichkeit“ wider, ein Stück, das auf die Worte referiert, d…
Heiko Maas häufig in seinen Reden benutzt („keine Selbstverständlichkeit
mehr“). Der Dada-Pop alter Tage wird insgesamt etwas zurückgefahren, dafür
aber eröffnet das Album gleich mit der Kuschel-Wellness-Hymne
„Welthundetag“. Die Verse: „Heute ist Welthundetag/ und wir gehen in den
Park/ lassen uns kraulen/Hundeseele baumeln“.
Das Konzept Landkommune geht auf: Spechtl und Imler waren erstmals voll in
den Songwritingprozess eingebunden, ersterer steuert ausgedehnte
Synthesizer-Arpeggios und Piano-Akkorde bei, letzterer passt mit seinem
perkussiven, verspielten Schlagzeug-Stil bestens zu dem Jam-Ansatz, den Die
Türen hier verfolgen.
„Exoterik“ wird dominiert von repetitiven Gitarren- und Bass-Parts, teils
mit ordentlich Hall, technoiden Teilen („Rave Regime“) und ordentlich
Groove („Lieber Gott“). Zwischendrin finden sich Nummern wie das
Postpunk-Stück „Abgehauen“ oder das jazzig-verfrickelte „Irgendwo
hingelegt“.
Da man dem Krautrock eine gewisse Weltabgewandtheit nachsagt, ist der
Albumtitel klug gewählt – „Exoterik“ ist der Gegenbegriff zur Esoterik u…
bezeichnet das nach außen Gewendete, nicht nur einem erlesenen Kreis
Zugängliche. Dieses Weltzugewandte, der Pop-Aspekt, wenn man so will,
klingt allzudeutlich durch.
„Exoterik“ ist nicht zuletzt auch die Antithese zum flüchtigen Sound des
Streams. Es funktioniert mit all seinen Kehrtwenden, die immer wieder
vollzogen werden, nur in dieser ausgedehnten Form. Es ist Musik wider die
Zerstreuung, wider die Ablenkung. Und zwar auf Produktions- wie auf
Rezeptionsseite: Diese Musik nimmt sich Zeit, und für diese Musik muss man
sich Zeit nehmen. 1 Stunde und 53 Minuten, um genau zu sein.
30 Jan 2019
## AUTOREN
Jens Uthoff
## TAGS
Staatsakt
Berlin
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Post-Punk
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