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# taz.de -- Indiepop-Sampler „Keine Bewegung“: Halt, Hände hoch, zuhören!
> „Keine Bewegung“, compiliert von Staatsakt aus Berlin und Euphorie aus
> Hamburg, ist eine schlaue Bestandsaufnahme des Pop-Underground.
Bild: Bester Bandname wo gibt: Erregung öffentlicher Erregung
Viele schlaue Menschen haben sich an der Frage aufgearbeitet, warum die
Zukunft des Pop verloren ist. Der vor wenigen Monaten verstorbene britische
Theoretiker Mark Fisher etwa vertrat die kulturpessimistische These, die
Entwicklung sei trotz rasanter technologischer Fortschritte zum Stillstand
gekommen; wie, bitte schön, soll in der Gegenwart mit all ihren Zumutungen
Neues entstehen?
Die beiden Labels Staatsakt (Berlin) und Euphorie (Hamburg) wollen
beweisen, dass die Welt sich weiterdreht. Und dass nicht nur HipHop und
Techno Innovationsmotoren für interessante Popmusik sein können.
Gemeinsam veröffentlichen die beiden Multiplikatoren bereits zum zweiten
Mal einen Sampler, den sie als Statusbericht aus dem hiesigen Underground
verstehen. Ihre Compilation „Keine Bewegung“ zu nennen ist doppelt und
dreifach klug. Als Aufforderung – stehen bleiben, Hände hoch, zuhören! –
kann man die Werkbezeichnung deuten.
Oder als ironische Bankrotterklärung: keine Veränderung, keine Bewegung
eben. Versteht man „Bewegung“ im Sinne einer Strömung, trifft der Titel die
Sache am besten. Denn ein Sound der Stunde mag sich hier nicht abzeichnen –
anders als 2014 , als die erste Ausgabe von „Keine Bewegung“ erschien.
Damals waren mit Messer und Die Nerven zwei Bands vertreten, die man zu
Protagonisten der teutonischen Post-Punk-Renaissance zählen sollte.
## Nord-Süd-Konflikte
Mit den Münchner Bands Candelilla und Friends of Gas sind zwar zwei der
interessantesten Postpunk-Bands nun dabei, sonst aber tönt es nicht nur
frostig im Underground: Paul Pötsch, Sänger der Band Trümmer, und Labelchef
Mathias Modica von Gomma aus München präsentieren als Pötsch & Munk eine
lakonische Nord-Süd-Mischung aus NDW und Disco, und die Hamburger Musikerin
Ilgen-Nur führt vor, wie Slacker-Rock-’n’-Roll aus weiblicher Perspektive
klingen kann.
Einige der auf dem Sampler versammelten Bands sind längst Konstanten in der
urbanen Popszene – Drangsal etwa und Gurr, die mit ihren wunderbar
unverkopften Songs Garagenrock als Energiequelle des Pop rehabilitiert
haben. Andere Gruppen, wie die tollen Hamburger Erregung Öffentlicher
Erregung, wollen erst noch entdeckt werden.
Wenig wird hier neu erfunden, dafür umso genialer geklaut, neu vermessen
und kühn verleimt. Die Gegenwartsstudie der Stunde kommt dabei von der Band
International Music aus dem Ruhrgebiet, die in leicht veränderter Besetzung
die ebenfalls auf dem Sampler vertretene Inkarnation Düsseldorf Düsterboys
bildet. „Mama, warum kriege ich es immer so, wie ich es bestellt hab?“,
fragen sie in ihrem Song „Mama, warum?“: Die Wehklage einer Generation, die
auf so vieles sauer sein könnte – und die Wut dann doch nur gegen sich
selbst richtet.
## Hellwach und lethargisch zugleich
Der Tenor ihres Songs klingt hellwach und lethargisch zugleich; für
wütendes Aufbegehren ist man sowohl zu erschöpft als auch zu altklug.
Schöner fasste lange keine Band mehr das Lebensgefühl ihrer ZeitgenossInnen
zusammen.
Ob International Music das Versprechen dieses Hits einlösen, wird sich
zeigen. Einer anderen Gruppe jedenfalls hatte der erste „Keine
Bewegung“-Sampler vor drei Jahren den Durchbruch beschert: dem Hamburger
Duo Schnipo Schranke. Nun sind sie, zwei Alben später, erneut vertreten,
diesmal mit einem Song über das berühmte „Erste Mal“. Und ja, noch immer
ist es irritierend, wenn zwei Frauen derart explizit das Unbehagen am Sex
besingen, das Unperfekte, Peinliche, Hässliche.
Spätestens dann fragt man sich, ob der Pop sich nicht doch schneller bewegt
als alles andere.
27 Dec 2017
## AUTOREN
Julia Lorenz
## TAGS
Pop-Underground
Mark Fisher
Ostwestfalen
Post-Punk
Post-Punk
Pop
DIY
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