| # taz.de -- Feministischer Art-Punk von Beißpony: Wenn die Pferde wild werden | |
| > Feminismus ohne Zeigefinger: ein Besuch bei dem britisch-bajuwarischen | |
| > Duo Beißpony in seiner Münchener Wunderkammer. | |
| Bild: Laura Theis und Stephanie Müller sind Beißpony | |
| München taz | Wunderkammern waren die Vorgänger heutiger Museen. Und ihr | |
| Gegenteil obendrein: Nicht öffentlich zugänglich, sondern den Fürsten | |
| vorbehalten. Statt Bilder an karge Wände zu hängen, stopfte der Adel Zimmer | |
| mit Preziosen voll, dass den BetrachterInnen schwindelig wurde. | |
| Eine Wunderkammer anderer Art findet, wer heute in einem Münchner | |
| Industrieviertel das Atelier betritt, das sich Stephanie Müller mit drei | |
| anderen Künstlern teilt. Auf wenigen Quadratmetern, ungezählt: Bücher, | |
| Platten und Kleider aus Kunstseide. Handpuppen, Glitzerschuhe, ein zur | |
| Gitarre umfunktioniertes Skateboard. Dinomaske, Xylophon. Und dann ist da | |
| das Pferdchen aus Stoff, rosafarben auf der einen, blau auf der anderen | |
| Seite, das ein spitzes Horn und noch spitzere Zähne trägt. Stephanie Müller | |
| muss lachen, wenn sie sagt: „Das ist es, das Beißpony.“ | |
| Der Band, die Müller vor elf Jahren mit Laura Theis gegründet hat, gab das | |
| Tier ihren Namen. Beißpony sind eine kleine Institution im Münchner | |
| Underground, eine klassische Band aber waren sie nie. Sondern eher: ein | |
| zwei Frauen und viele KomplizInnen starker Thinktank für Off-Kultur. Ein | |
| klangforschendes Performancekunst-Duo. Oder: ein interdisziplinäres Projekt | |
| zweier Freundinnen, bestehend zwischen München und England, seit Laura | |
| Theis vor sieben Jahren zum Studium nach Oxford gegangen ist. | |
| Beißpony veröffentlichen Alben und Filme, sie machen Hörspiele, vernetzen | |
| und stellen aus. Ihren DIY-Pop mit Punkhaltung spielen sie mal auf der | |
| Gitarre oder am Klavier, mal auf der Nähmaschine; vor allem aber an allen | |
| Orten, an denen Menschen sich Zeit für ihre Musik nehmen. Müller und Theis | |
| sind schon in Italien und Belgien aufgetreten, bei Vernissagen und in | |
| Punkschuppen, auf Ladyfesten und auf dem SXSW-Festival in Austin, Texas. Im | |
| April tourte Müller mit der Künstlerin Lisa Silveira Caneiro durch | |
| Indonesien, auf Einladung des Goethe-Instituts. | |
| ## Nicht nur was vorscheißen | |
| „Ich mag es, die direkte Reibung mit dem Publikum zu haben. Wenn es diesen | |
| Moment gibt, in dem ich wild werde“, sagt Stephanie Müller. Eine Denk- und | |
| Spielwiese für alle soll die Bühne sein. Oder, wie sie es sagt: „Ich will | |
| den Leuten nicht nur was vorscheißen.“ | |
| Müller trägt ihre roten Locken zur Hochsteckfrisur und einen Rock, der bei | |
| jeder Bewegung schwingt. Wenn sie von WegbegleiterInnen erzählt, die sich | |
| in Münchner Szenelokalen wie dem Kafe Kult treffen, spricht sie von „der | |
| Mira“ und „der Veronica“. Ganz so, als hätte man mit Mira Mann von der | |
| Münchener Postrock-Band Candelilla oder Veronica Burnuthian, die bei den | |
| KrachmacherInnen von Friends of Gas spielt, schon selbst bei Wein und | |
| Zigaretten gemeinsame Projekte geplant. Wie blasiertes Namedropping kommt | |
| das trotzdem nicht rüber, eher, als wolle sie ihre Gesprächspartnerin als | |
| Verbündete adressieren. | |
| ## Ursuppe Kafe Kult | |
| Viele Menschen, denen der Zugang zu Pop sonst verwehrt bleibt, haben schon | |
| mit Beißpony Musik gemacht. Bei einer Aufnahme-Session im Club | |
| Import-Export stießen Menschen mit Sprachbehinderung zu Müller, Theis und | |
| anderen professionellen MusikerInnen. In Indonesien musizierte und nähte | |
| Müller gemeinsam mit Mädchen, die sexuelle Gewalt durchlebt haben. Und bei | |
| einem Konzert in München ließen Beißpony zwei Schulkinder, die sich als | |
| Fans des Duos outeten, auf ihre Instrumente los. | |
| Fast zu schön, um nicht als Mythos enttarnt zu werden, erzählt sich die | |
| Gründungsgeschichte des Duos. Doch es stimmt, dass sich Müller und Theis | |
| bei einem Konzert der Antifolk-Heldin Kimya Dawson kennengelernt haben. Es | |
| stimmt auch, dass Müller an jenem Abend eine Kunstaktion machte mit Dawson, | |
| die sie kurz zuvor im Kafe Kult kennengelernt hatte: Müller nähte Gästen | |
| Patches mit von Dawson entworfenen Comicfiguren auf die Kleidung. Laura | |
| Theis, Konzertgast an diesem Abend, wollte eine Giraffe. Man kam ins | |
| Gespräch. | |
| Und bald darauf lag im Briefkasten des Kafe Kult ein Demo-Tape mit Songs | |
| von Theis, adressiert an Müller. Was sonst noch stimmt: Besagtes Beißpony | |
| war Müllers und Theis’ erstes Instrument. Weil keine von beiden damals | |
| Schlagzeug spielen konnte, nutzten sie das Stofftier, in dessen Bauch | |
| kaputte Spielzeugautos steckten, als Percussion. | |
| ## Liebe zum Textildesign | |
| Lange veröffentlichten Beißpony auf dem Label des Performance-Kollektivs | |
| Chicks on Speed. Nun aber haben sie ihr eigenes Label: RagRec. Also so viel | |
| wie Lumpenplatten. Es gibt keine Firma hinter dem Label, sagt Müller, | |
| trotzdem könne sie Platten anmelden und pressen lassen. Mehr als Gema und | |
| Papierkram mag sie das Logo des Labels: eine Nähmaschine, die Vinyl | |
| abspielen kann. | |
| Es ist ein Verweis auf Müllers Liebe zum Textildesign – für sie die | |
| zugänglichste Kunstform. „Textil ist nicht hierarchisch“, sagt sie. „Die | |
| Leute fassen Stoffe gern an, sie haben das Gefühl, sie könnten ihn auch | |
| selbst verarbeiten. Gerade deshalb kann man mit Textil auch harte Themen in | |
| der Kunst angehen.“ | |
| Das Handgezimmerte, das Selbstgestrickte in der Ästhetik von Beißpony ist | |
| auch ein Versuch, den Do-it-yourself-Ethos vor der Musealisierung zu | |
| bewahren. Müller kommt aus einem Dorf in der Nähe von Rosenheim. Sie ist es | |
| gewohnt, wenig Verständnis für alternative Lebensentwürfe zu erfahren. | |
| Bevor sie sich der Kunst verschrieb, studierte sie Soziologie, auch eine | |
| Festanstellung hatte sie mal. Und hasste alles daran. | |
| Theis entschied sich für Theaterwissenschaften, studiert nun visuelle | |
| Künste. Und doch ist sie die Liedermacherin, während Müller fürs Visuelle | |
| zuständig ist. Theis liebt es, einen roten Faden zu finden. Müller liebt | |
| es, den dann zu kappen. | |
| ## Faulheit klingt kokett | |
| „Wir sind die faulste Band der Welt“, sagt Müller. „Wir proben so gut wie | |
| nie. Weil wir immer Lust haben, direkt loszulegen.“ Faulheit klingt kokett, | |
| betrachtet man den gewaltigen Output der Band. Erst im letzten Jahr | |
| veröffentlichten Beißpony die Platte „Alligator Gozaimasu“, die im Zuge | |
| eines KünstlerInnenaustauschs zwischen München und Japan entstand. | |
| Eigentlich war man zusammengekommen, um an „Promise and other failures“ zu | |
| arbeiten – einem Filmprojekt, das gesellschaftliche Rituale hinterfragt. | |
| Aber dann beschlossen die Beteiligten, eine öffentlich zugängliche | |
| Aufnahmesession zu veranstalten. Nachdem die Stücke aufgenommen waren, | |
| kursierte das Rohmaterial per Mail, alle bastelten und verfremdeten an | |
| verschiedenen Orten der Welt. Aus Lo-Fi-Stücken wurde Techno, Rap und | |
| Avantgarde-Pop. | |
| Und erst vor wenigen Tagen fand im Münchner Lenbachhaus die Premiere des | |
| Films „Das letzte Loch ist der Mund“ des Regisseurs Klaus Erich Dietl | |
| statt, an dem Müller über Jahre mitgewirkt hat – ohne Förderung. Der Film | |
| über einen jungen Mann, der Morde gesteht, die er nie begangen hat, war | |
| durch alle Finanzierungsraster gefallen. Noch im kommenden Oktober soll | |
| außerdem das neue Beißpony-Album „Beasts & Loners“ erscheinen. | |
| Im Kafe Kult haben Müller und Theis die Songs aufgenommen, zusammen mit | |
| FreundInnen und Zufallsbekannten. Wenn bei Beißpony Samples oder | |
| Spielzeugklimpern auf Gitarrennoise und harte Lyrics auf | |
| Li-la-Launemelodien treffen; wenn sie im Eröffnungssong „Lord of the Wings“ | |
| mit zuckersüßer Stimme singen: „I’m the pick-up king“ – Ich bin der | |
| Aufreißerkönig –, erinnert das an CocoRosie und Bands mit ähnlichem | |
| Irritationspotenzial. Selten aber an Indiebands, wie man sie aus | |
| Deutschland kennt. Beißpony verstehen sich als feministische, widerständige | |
| Band. | |
| ## Der Künstler, das Kasperl | |
| Explizit politisch wird Müller jedoch nur, fragt man sie nach der | |
| Lebenssituation von Kunstschaffenden. Sie kritisiert das „Hofnarrenbild“, | |
| das viele von KünstlerInnen hätten, sagt: „Für zu viele ist der Künstler | |
| das Kasperl an der Leine, das auch mal durchdrehen darf, aber am Ende auf | |
| seine Gage zu verzichten hat. Weil er es doch eh gern macht.“ Freischaffend | |
| zu sein heißt manchmal, auf Kosten von Institutionen nach Fernost fliegen | |
| zu dürfen. Manchmal heißt es, Hartgeld aufzurollen und zur Bank zu bringen. | |
| Trotz klarer Haltung spricht nie politischer Erziehungswille aus den Songs | |
| von Beißpony. „Feminismus war immer ein Motor für mich“, sagt Müller. �… | |
| habe auch Bands wie Bikini Kill gehört. Aber diese Form von Songwriting | |
| interessiert mich nicht. Das ist Feminismus mit Zeigefinger.“ Lieber wolle | |
| sie, der Philosophie Hannah Arendts folgend, Denkprozesse in Gang setzen. | |
| Viele klassische Galerien kann Müller nicht ausstehen. Wenn KünstlerInnen | |
| gefällige Werke an weiße Wände hängen, fragt sie sich: Warum nicht gleich | |
| in den Supermarkt? Für sie sei Formatware, wie sie heute oft in Galerien zu | |
| sehen sei, viel zu vollendet, um Menschen zu bewegen. „Ich mag es, wenn ein | |
| Kunstwerk seine eigene Form wieder verwerfen kann“, sagt sie. | |
| Beißpony ist eine Band, die Arbeit macht. Weil die überbordende Ästhetik | |
| der Band dem Publikum viel Aufmerksamkeit abverlangt. Weil Beißpony | |
| funktionieren wie Hyperlinks, ständig zum Einlesen, Rumdenken und | |
| Weitergucken verführen. So geben die Künstlerinnen die KuratorInnenrolle ab | |
| an jene, die sich hineinwagen in ihre Wunderkammer für alle. | |
| 28 Jul 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Julia Lorenz | |
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