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# taz.de -- Hamburger Poptalent Sophia Kennedy: Einfach mal die Welt wechseln
> Größeren Willen zum Stil gab es hierzulande in diesem Jahr noch nicht.
> Die junge Hamburgerin Sophia Kennedy veröffentlicht ein glorreiches
> Debütalbum.
Bild: Sophia Kennedy im Art-Blakey-Studio, Hamburg
I long to see the water“ singt sie und ihr dunkles Timbre klingt dabei
nicht die Spur rührselig: Sophia Kennedys Songtext-Ich wirkt unbehaust.
Auch wenn es, wie in dem Song „Kimono Hill“, comicmäßig verfremdet mit
„Bicycle Weather“ zu kämpfen hat. Manchmal kämpft es mit existenziellen
Problemen. „If there’s something wrong with me/There might be something
wrong with you too“ heißt es in einem Song, der mit der Zeitangabe „3:05“
karg betitelt ist.
Die Sehnsucht nach Wasser in „Build me a House“ hat einen autobiografischen
Hintergrund. Kennedy fand in Hamburg ihre dritte Heimat. Geboren ist sie in
Baltimore an der US-Ostküste, aufgewachsen in einem Kuhdorf nahe Göttingen.
Seit acht Jahren lebt Kennedy in der Hansestadt, besuchte dort die
Kunsthochschule, versuchte sich zeitweilig im Metier Film und wurde Teil
der Hamburger Subkultur. Nach einer Single, „Angel Lagoon“ (2013), und der
kühl groovenden 12-inch „Life should be a Holiday“ unter dem Namen Shari
Vari (im Duo mit der Filmemacherin Helena Ratka) im Januar veröffentlicht,
ist nun ihr Debütalbum erschienen. Mitreißenden unaufdringlichen Pop gibt
es da zu hören.
Psychedelischer Barock, was die Arrangements anbelangt, und zugleich
elektronisch unterfüttert mit subsonischen Bässen und anderen raffinierten
Klangdetails. Größeren Willen zum Stil und elegantere Reduktion gab es
hierzulande in diesem Jahr noch nicht.
## Festbeißen wie Zecken
Kennedys elf Songs klingen auch deshalb so umwerfend, weil sich ihre
Melodien und Textzeilen erst allmählich festbeißen wie Zecken. Getragen
wird ihr Sound von ihrer spröden, aber reizvollen Stimme und einer
sparsamen musikalischen Möblierung. Bisweilen reichen ein, zwei Akkorde auf
dem Klavier und klickende Percussion, um die Songs über die Ziellinie zu
bringen. Sei es durch etwas Hall auf der Stimme, Kennedy vermag stets
surreale Atmosphäre zu erzeugen. Man fühlt sich an die frühe Nico erinnert.
Für ihren Sound durchlief Sophia Kennedy einen langen Findungsprozess: „Als
ich angefangen habe, Musik zu machen, hatte ich noch kein Bewusstsein
dafür, was Akkorde bedeuten und wo ich mit meiner Stimme hingehen kann. Ich
habe eine Weile gebraucht, bis ich sie gefunden habe“, erklärt die
27-Jährige der taz.
Dazu muss man sich Hamburger Schietwetter vorstellen, es regnet wie
bestellt: Nicht in Strömen, es nieselt bloß, man wird trotzdem nass,
feuchter Sand kriecht in die Schuhe. Da fühlt sich das fensterlose
Art-Blakey-Studio, in einem Hinterhof nahe dem Fischmarkt gelegen, gleich
behaglicher an. Dort probt Kennedy für ihre Tour.
Erst als genug Material zusammengekommen war, entschied sich Kennedy, mit
Mense Reents (Goldene Zitronen) Musik für ihr Debüt einzuspielen. „Zunächst
habe ich unbedarft rumprobiert. Welche Stimmung in der Stimme eher stören
würde, ob sie kraftvoll klingen soll oder zart. Mittlerweile setze ich sie
dosierter ein.“
Damit skizziert Kennedy die Charaktere in ihren Songs mit prägnanten
Textzeilen und Wortspielen. Banale Alltagswendungen, auch bizarre
Begebenheiten ereignen sich da: Eine Uhr steht kopf und wird zu Schaum
(„Foam“). „Hello, yellow Helicopter / Take me to the Mental Doctor“: Man
will sofort wissen, wie es im dazugehörigen Song „Dizzy Izzy“ weitergeht.
## Starke Fliehkräfte
Ähnlich den Helden von TV-Serien ziehen starke Fliehkräfte an den
ProtagonistInnen der Songs. „Ich habe mir dabei das Personal von
Warhols-Factory vorgestellt. Auf einer größeren Ebene geht es um den
Zwiespalt zwischen Kunst und Arbeit. Zwei Welten, die man miteinander
verbinden muss. Mit leicht wahnsinnigen Menschen, die versuchen, in einer
Realität klarzukommen, die vielleicht gar nicht für sie ausgerichtet ist.“
Geld verdient Kennedy durch Auftragsmusik fürs Theater.
Starthilfe hat sie vom Keyboarder Carsten „Erobique“ Meyer bekommen. Ihr
Debüt veröffentlicht DJ Koze auf seinem Label Pampa, wo auch Mense Reents
als Weirdo-House-Duo Die Vögel mit Jakobus Durstewitz Platz firmiert.
Hamburg ist überschaubar, was Vor- und Nachteile hat, findet die Künstlerin
und erklärt sich solidarisch mit den Musikerinnen und DJs der Stadt, von
Helena Hauff über Schnipo Schranke und Die Heiterkeit, bis Tellavision.
„Die klassischen Indierocker geraten momentan an den Rand. Komischerweise
merke ich aber eher im Theater, dass Frauen in einer besonderen Position
sind. Wenn ich von Auftragsarbeit erzähle, denken die Leute meist, ich sei
Schauspielerin. Sie können sich keine Komponistin vorstellen.“
Kennedy, die etwa für Stücke der Regisseurin Mirja Biel komponiert hat,
lernt aus dieser Dienstleistung für ihre eigene Musik. „Als Kind hatte ich
die naive Vorstellung, von einer Welt einfach in die andere wechseln zu
können. Wie Dorothy in 'Wizard of Oz’, die die Tür aufmacht und woanders
landet.“
22 May 2017
## AUTOREN
Julian Weber
## TAGS
Hamburg
Sophia Kennedy
Goldene Zitronen
Erobique
DIY
Konzert
David Bowie
Theater
Synthie-Pop
House
Festival
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