Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Debütalbum von Shari Vari: Einladung zum Fallenlassen
> Absolut gegenwärtiger elektronischer Pop: In „Now“, dem Debütalbum des
> Hamburger Duos Shari Vari, kommen viele verschiedene Klangquellen
> zusammen.
Bild: Haben einen musikalischen Hang zum Enigmatischen: Shari Vari
Charivari sind Schmuckketten, die mit Edelsteinen, aber auch Tierpfoten,
Münzen und ähnlichen Berlocken behängt sind. Das typische Klimpern und
Klappern dieser Ketten korreliert hierbei mit seiner französischen
Wortherkunft: Charivari bedeutet auch Radau, Spektakel oder Katzenmusik.
Gleichzeitig mögen KennerInnen der elektronischen Musikgeschichte an den
Proto-Techno-Track „Sharevari“ von [1][A Number of Names] denken, der 1981
den Übergang vom Disco-Zeitalter zur elektronischen Clubmusik einläutete.
All jene Bedeutungen helfen auch bei der Einordnung des Hamburger Duos
Shari Vari; was die Bedeutung von Songtexten und musikalischen Überlegungen
angeht, wollen die beiden Musikerinnen und Künstlerinnen, Sophia Kennedy
und Helena Ratka, am liebsten alles im Unklaren lassen. Diesen Hang zum
Enigmatischen lassen Shari Vari glücklicherweise ansonsten missen. Sie sind
im persönlichen Gespräch alles andere als hanseatisch-unterkühlt,
gesprächig und für so manchen Witz zu haben.
Eher ungewohnt für die Klangmuster von elektronischer Musik steht der
Gesang Sophia Kennedys in der Musik von Shari Vari im Vordergrund; im
Gegensatz zum Gros der House- und Technoproduktionen ist die Stimme hier
nicht bloß Dekoration. Es geht um mehr als billige „Tonight is the
Night“-Hooklines: Zu hören ist das am ambitionierten [2][Songwriting
Kennedys], es steht in der Tradition von US-Storytelling und europäischen
Chansons und erzählt nicht allein von sich, sondern erschafft Figuren und
ProtagonistInnen, die wiederum über ihr fiktionales Leben, ihre Lage
singen: Es sind Gedankenspiele, Rekapitulationen über das Selbst und die
anderen.
## Die Storys von heute
„Now“ besteht wie ein Erzählband aus acht Kapiteln, die nicht aufeinander
aufbauen oder unbedingt zusammengehören, dennoch eine Geschichte
vermitteln, die sich auch im Namen widerspiegelt: Es sind die Storys von
heute. Das ist gerade in Zeiten von Pop-Retro-Wahn sehr erfrischend, da
sich dieser Ansatz auch musikalisch darlegt. Auf einem schmalen Grad
zwischen Clubsound und Popsong balancieren Ratka und Kennedy fein
avantgardistisch, verwerfen die Trennung der Genres und kreieren so den
Shari-Vari-Sound.
„Wir fusionieren unsere Qualitäten. Ich singe, und Helena baut Beats und
Sounds. Uns liegt da wenig an Tiefenanalyse. Wir fügen unsere Ideen
zusammen, spiegeln, wo wir musikalisch herkommen“, erzählt Kennedy der taz.
Kennengelernt haben sich die beiden Frauen in Hamburg im Umfeld des Pudel
Clubs, zudem studierten beide zeitgleich an der Hochschule für bildende
Künste (HfbK). Seit einiger Zeit gilt Sophia Kennedy als eine der
Pop-Gesangshoffnungen der Hansestadt, produzierte zusammen mit Mense
Reents, Carsten „Erobique“ Meyer und DJ Koze und reüssierte 2017 mit ihrem
Debütalbum. Ratka hingegen arbeitet weiter im Feld der bildenden Kunst, ist
Filmemacherin, gehört aber zum Stammteam des Pudel Clubs und hat dort eine
gemeinsame Reihe mit der Produzentin Nika Son.
## Von der Peakhour ins Wohnzimmer
Vor vier Jahren versammelten die beiden erste Songs auf der EP „Life Should
Be A Holiday“, die auf Richard von der Schulenburgs It’s-Label herauskam.
Sein Debütalbum veröffentlicht das Duo nun beim Berliner Label Malka Tuti.
Dieses wird betrieben von den Tel Aviver DJs Asaf Samuel und Katzele; es
machte sich in der Technoszene einen Namen mit sprödem, krautigem
Wave-Sound. Eine ungewöhnliche Wahl bloß auf den ersten Blick. Labelmacher
Katzele sagt: „Uns geht es nicht nur um die Peakhour auf einer Party. Wenn
unsere Alben im Wohnzimmer laufen, ohne zu nerven, dann haben wir unser
Ziel erreicht.“
Für die beiden Shari Varis ergab es auch Sinn: „Wir finden es gut, dass wir
ein Werk bei einem Berliner Label veröffentlichen.“ Die Frage, ob das ein
Statement gegen die von außen manchmal insular wirkende Hamburger
Musikszene sei, verneinen die Künstlerinnen ausdrücklich. Hätten beide denn
das Gefühl, dass Input von außen zu mehr Diversität und weniger
Idiosynkrasien führe? Dies bejahen Kennedy und Ratka erst zögerlich, dann
bestimmt. Und es erklärt vielleicht auch, wie Shari Vari es schaffen, weit
ab von Trends, einen unverwechselbaren Sound zu kreieren. Am ehesten
erinnert „Now“ noch an die eleganten Entwürfe von Grand Dames des
ambitionierten elektronischen Pop, so wie sie die Irin Roisin Murphy
hinbekommt. Auch beim wiederholten Durchhören zelebriert das Debütalbum von
Shari Vari getreu seines Titels „Now“ eine schlaue Feier der Gegenwart.
So überzeugt schon der Auftakt mit Flötenintro, bloß um langsam das
Soundspektrum des Projekts aufzufächern. [3][„Out of Order“] reiht digitale
Drums, Stringsynths, die Stimme Kennedys und verschiedenste
Percussionklänge nacheinander auf, so als wolle man seinem Namen gerecht
werden und eine musikalische Charivari den HörerInnen umhängen. Es klimpert
wild, beide Musikerinnen gehen über zum Kontergesang, während nun auch das
Piano seinen Platz einfordert.
Das ist ein ganzer Haufen an verschiedenen Klangquellen, die auf 3:33
Minuten zusammengeworfen werden; so mancher Track wäre über der Bürde
zusammengebrochen, doch gekonnt findet hier alles seinen Platz. Dasselbe
lässt sich auch für andere Tracks vorbringen: Aufmerksamkeitsökonomisch
arbeiten Shari Vari an der Grenze zum Burn-out. Es ist Musik, die nicht
seziert werden möchte, sondern zum fallen lassen einlädt. „Now“ ist
formidable Dance-Music im Songgewand.
18 Oct 2019
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=DmJf22w8Cr0
[2] https://www.youtube.com/watch?v=8qHrh3JaRXY
[3] https://www.youtube.com/watch?v=8qHrh3JaRXY
## AUTOREN
Lars Fleischmann
## TAGS
Sophia Kennedy
Helena Ratka
Shari Vari
Hamburg
Sophia Kennedy
Klangkunst
Musik
Feminismus
Konzert
Hamburg
## ARTIKEL ZUM THEMA
Neues Album von School of Zuversicht: Zweifeln als Fulltime-Job
Das neue Album des Hamburger Indie-Kollektivs School of Zuversicht bietet
Agnostic Pop vom Feinsten. Und verbindet den Dancefloor mit der Wahl.
Neues Album von Sophia Kennedy: Diese Frau kann Blut sehen
„Monsters“ heißt das mit Spannung erwartete zweite Album der Hamburger
Künstlerin Sophia Kennedy. Es bietet ultra- eingängigen Pop und morbide
Texte.
Neues Album von Bérangère Maximin: Feuer im Unterholz
Die französische Klangkünstlerin Bérangère Maximin macht auf ihrem neuen
Album „Land of Waves“ die Stadt als Tropenwald voller Insekten hörbar.
Album „African Paradigm“ von Mr Raoul K: Pionier der Afrobeats
Raoul K kam mit 16 aus Côte d’Ivoire nach Lübeck und machte eine Lehre.
Heute produziert er House: Das Album „African Paradigm“ erzählt sein Leben.
Frauen in der elektronischen Partyszene: Where’s that girl?
Weibliche DJs sind selten im Techno – dabei hat die Musik eine
emanzipatorische Tradition. Nur langsam machen die Männer hinterm Pult
Platz.
Sophia-Kennedy-Konzert in Berlin: Wie an der Schnur gezogen
Eine eigentümliche Klangmischung aus Vertrautem und Verfremdetem: Sophia
Kennedy zeigt ihr Charisma beim Konzert im Berliner Monarch.
Hamburger Poptalent Sophia Kennedy: Einfach mal die Welt wechseln
Größeren Willen zum Stil gab es hierzulande in diesem Jahr noch nicht. Die
junge Hamburgerin Sophia Kennedy veröffentlicht ein glorreiches Debütalbum.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.