# taz.de -- Neues Album von Sophia Kennedy: Diese Frau kann Blut sehen | |
> „Monsters“ heißt das mit Spannung erwartete zweite Album der Hamburger | |
> Künstlerin Sophia Kennedy. Es bietet ultra- eingängigen Pop und morbide | |
> Texte. | |
Bild: Definitiv nicht in der Bubble gefangen: Sophia Kennedy | |
„Grusel finde ich gut“, sagt Sophia Kennedy und muss dabei lachen. Damit | |
keine Missverständnisse aufkommen, schiebt sie noch hinterher: „Ich ziehe | |
aus Horror schon fast perversen Thrill.“ Schon im Kindesalter fand sie | |
Gespenstergeschichten packender als „Conny-wird-eingeschult-Storys“, wie | |
sie das im Interview mit der taz nennt. Folglich hat sie viele Geschichten | |
mit Monstern unterm Bett verschlungen. | |
„Monsters“ heißt nun auch das zweite Album der 1989 in Baltimore im | |
US-Bundesstaat Maryland geborenen, aber in Deutschland aufgewachsenen | |
Künstlerin Sophia Kennedy. Mit ihrem auch in den USA [1][hoch gelobten | |
Debüt], produziert von Mense Reents [2][(Die Goldenen Zitronen)] und | |
erschienen bei Pampa, dem Label von DJ Koze, katapultierte sich Kennedy | |
2017 zu Recht auf viele Jahresbestenlisten | |
Entsprechend groß und vielleicht auch ein bisschen monströs dürfte der | |
Erwartungsdruck nun für den Nachfolger gewesen sein. Die Künstlerin gibt | |
sich dagegen ungerührt. „Als ich ins Studio ging“, bekennt Sophia Kennedy, | |
„kamen mir die Stücke vor wie eine Horde Wildpferde, die erst mal gezähmt, | |
gefüttert und gepflegt werden möchten.“ Einen Eindruck davon bekommt man | |
schon, wer das Cover des Albums betrachtet. Anders als das Debüt mutet es | |
keineswegs bunt-verspielt an, sondern düster und bedrohlich. | |
## Der Flügel als Hai | |
In einem alten Aufnahmestudio reißt ein Konzertflügel seine | |
Scharfzahn-Klappe wie ein hungriger Hai sein Maul auf. Sophia Kennedy, | |
gechillt im androgynen Sakko auf dem Klavierhocker, scheint sich indes mehr | |
für die Ablenkungen auf ihrem Smartphone-Screen zu interessieren. Schon | |
hier klingen einige Kontraste an, die in allen 13 neuen Songs verhandelt | |
werden: Altehrwürdige Vergangenheit trifft auf schnelle neue Postmoderne. | |
Aber eben auch: ein Monster als Weggefährtin, das sich in Schach halten | |
lässt. | |
Vielleicht darf man, nicht zuletzt weil Kennedy immer wieder betont, dass | |
sie Pop macht, auch an US-Superstar [3][Lady Gaga] denken, deren Fans sich | |
neckisch-selbstironisch als „Little Monsters“ bezeichnen. „Als Erwachsene | |
habe ich erkannt, dass an Monstern auch etwas gutes, Comic-haftes ist“, | |
sagt Kennedy. „Da fließen Ängste mit ein – die muss ich aber nicht nur | |
ernst nehmen. Ich finde Humor wichtig als Kontrast zum Pathos.“ | |
Die Horde der Monster-Songs mit ihren je unterschiedlichen Naturellen hat | |
Kennedy auf jeden Fall, wie eine gute Hirtin, fest im Griff – dazu befähigt | |
sie ihre tolle Soulstimme. Kennedys Stimme hält alles zusammen. In einem | |
Song diverse Fliehkräfte auszuhalten ist ein Kunststück, wie es zurzeit | |
vielleicht nur Sophia Kennedy so elegant hinbekommt. | |
## Das Knochenmark auslutschen | |
Den Auftakt des Albums macht der Song „Animals Will Come“, todestrunken und | |
auf wankelmütigen Gitarren – mit Tieren, die das Knochenmark auslutschen. | |
Auweia! Sophia Kennedy singt aus Sicht einer sterbenden Person. Das Stück | |
behandelt Vergänglichkeit und Verwesung. „Ich ziehe keinen Lustgewinn aus | |
dem Morbiden“, unterstreicht Kennedy. Ihr Songtext wirkt | |
fantastisch-psychedelisch – und arrangiert sich mit dem Kreislauf des | |
Lebens. Konfrontiert mit einem Hinweis auf Elton Johns Song „Circle of | |
Life“ aus dem Musical „Der König der Löwen“, der das Gegenstück zu „… | |
Will Come“ bildet, fängt Kennedy zu lachen an. „Genau!“ | |
Vom Morbiden ist es auch nicht mehr weit zu Friedrich Schillers Konzept des | |
Pathetischen – es besagt im Wesentlichen, dass in der Kunst die Darstellung | |
von Leiden nicht Selbstzweck sein sollte, sondern dazu dient, die Freiheit | |
des Menschen zu vergegenwärtigen, der sich als leidendes Wesen den | |
Naturgewalten stellt. Dass der Tod nun so präsent ist auf Sophia Kennedys | |
neuem Werk, hat auch persönliche Gründe: In den letzten Jahren verlor die | |
Künstlerin sowohl ihre Großeltern als auch ihren Vater. Man muss | |
unweigerlich an ein weiteres Betätigungsfeld des Sensenmanns denken: Allein | |
in Deutschland sind durch die Coronapandemie bisher mehr als 84.000 | |
Menschen gestorben. | |
## Starker Tobak | |
Textlich also, aber auch musikalisch ist „Monsters“ starker Tobak: Kam beim | |
Debütalbum das Songwriting offenkundig entspannt vom Klavier her, wird man | |
bei „Monsters“ auf allen Frequenzen klangbefeuert. Gerade „Animals Will | |
Come“ besticht gerade als Kontrapunkt, bei dem das Songwriting offenkundig | |
von Kennedys Gesang her aufgefädelt wird. Mense Reents, der wieder mit ihr | |
produziert hat, improvisiert die Gitarren. | |
Wenn man mal, etwa beim Interview, erlebt hat, wie die beiden sich | |
Schlagworte wie Pingpong-Bälle hin und herspielen, bekommt man eine Ahnung | |
davon, wie sich das Duo auch im Studio perfekt ergänzt. „Vermeintliche | |
Fehler und schiefe Töne haben wir drin behalten“, sagt Sophia Kennedy. Ein | |
guter Einstieg, um in den Sound des Albums zu finden. | |
Stilistisch klingt es vielfältiger als noch das Debüt. „Ich habe inzwischen | |
viel HipHop gehört“, schmunzelt Kennedy. „Tyler, the Creator mag ich. Dann | |
aber auch den dunklen verspulten Folk von Jessica Pratt.“ Wenn man es nicht | |
besser wissen würde, könnte man meinen, in Sophia Kennedys Popsongs | |
begegnen sich per Zeitmaschine Ella Fitzgerald, Tracy Chapman und Erykah | |
Badu in der Zukunft. Kennedy hat diese mitunter fast schon varietéhafte | |
Jazznote. Trotzdem wirkt sie nie nostalgisch – eben weil sie keine alten | |
Emotionen aufwärmt, sondern remontiert. | |
„Mir ist Chaos wichtig: Wie kriege ich Welten und Zeiten, die vermeintlich | |
nicht zusammengehören, doch zusammen? Ich reiße Dinge aus dem Zusammenhang | |
und stelle sie in neue Kontexte. Und gestalte sie dann elektronisch, | |
ambienthaft oder avantgardistisch.“ All dies, wohlgemerkt, unter dem | |
Deckmantel des Pop. | |
## Das Unpassende aushalten | |
Da das Monströse traditionell verstanden wird als das Unpassende, | |
Unstimmige, sagt Kennedy mittels ihrer Musik auf der Meta-Ebene auch: Das | |
scheinbar Unpassende lässt sich sehr wohl aushalten; es kann sogar | |
zauberhaft schön sein. Auch wenn Kennedy Versatzstücke aus der | |
Vergangenheit verwendet, ist sie doch vor aller Retromanie gefeit, vor der | |
auch der jüdische Soziologe Zygmunt Bauman („Retrotopia“) oft warnte. Auch | |
Kennedy scheint zu wissen: Die Antworten auf die Fragen der Gegenwart sind | |
nicht die von gestern. | |
Im Song „Orange Tic Tac“ fällt sogar der Begriff Science-Fiction. Kennedy | |
liebt die dystopische BBC-TV-Serie „Black Mirror“. Kein Wunder, dass auf | |
„Monsters“ öfter Raketen steigen – in den Texten und auch als | |
industriell-noisige Sounds. Vieles hebt in die Luft ab oder stürzt aus der | |
Luft ab. Ein geradezu filmisches Leitmotiv auf dem Album. Und tatsächlich | |
kam Sophia Kennedy ja einst auch nach Hamburg, um dort an der HFBK Film zu | |
studieren. „Schon als Kind hab ich mir Drehbücher ausgedacht und mein | |
Zimmer in Filmkulissen umgewandelt. Das sah aus wie ein wildes Labor. Ich | |
hab Comic-Städte auf Backpapier gezeichnet und an die Wände gepinnt. Es gab | |
auch Regenszenen, zum Leid meiner armen Mutter. Das war eine schmierige | |
Angelegenheit.“ | |
## Schmierige Sprachbilder | |
Nicht weniger schmierig sind die Sprachbilder auf dem neuen Album | |
„Monsters“ nun – etwa wenn ein Reh auf die Windschutzscheibe eines Autos | |
knallt. Diese Frau kann Blut sehen. Ihre Songs eignen sich prächtig zum | |
Tanzen. Tanzen ist geeignet, um den Zumutungen des Lebens, den Monstern | |
eben, zu trotzen. „Als Teenagerin dachte ich, man müsste besonders schön | |
sein, um zu tanzen.“ Mittlerweile tanzt sie in der Wohnung und auf der | |
Bühne. | |
Sie hat eigene Dance-Moves auf Lager – „die ich auch nicht mehr | |
zurückhalte. Ich finde wichtig, Frauen im Pop anders zu inszenieren: wie | |
sie aussehen; wie sie sich bewegen. Dass ich Style auf eine seltsame Ebene | |
heben kann, gefällt mir.“ Bis sie sich das zugetraut hat, war es jedoch ein | |
harter Kampf: „In Musik und Videos erschaffe ich ein anderes Frauenbild. | |
Frauen müssen in ihrem unterschiedlichen Wesen in Musik viel komplexer | |
gezeigt werden!“ Konventionen sind Monster, die sich nicht aushalten | |
lassen: Kennedy erteilt ihnen mit ihrer Musik eine deutliche Absage. | |
7 May 2021 | |
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## AUTOREN | |
Stefan Hochgesand | |
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