# taz.de -- Sophia-Kennedy-Konzert in Berlin: Wie an der Schnur gezogen | |
> Eine eigentümliche Klangmischung aus Vertrautem und Verfremdetem: Sophia | |
> Kennedy zeigt ihr Charisma beim Konzert im Berliner Monarch. | |
Bild: Sophia Kennedy am Freitagabend im Berliner Monarch | |
Die Zigarettenmarke Milde Sorte gibt es längst nicht mehr. Zigaretten | |
„mild“ oder „leicht“ zu taufen ist gerichtlich untersagt. Immerhin dür… | |
die Gäste beim Konzert von Sophia Kennedy im Berliner Monarch so genannt | |
werden: Milde Sorte. Vor Konzertbeginn unterhalten sie sich angeregt, lesen | |
ungestört ein Buch, trinken Bier, Wein, oder Limonade: wie im Labor der | |
Gesellschaft für lebenswertes Miteinander. | |
Während unten vor der Tür der Pegel eines typischen | |
Ballermann-Freitagabends am tosenden U-Bahnhof Kottbusser Tor steigt, | |
bleibt die Atmosphäre im Konzertsaal auf angenehme Weise gedämpft und | |
erwartungsvoll: „The Future is female“ steht auf dem T-Shirt einer | |
freundlichen Tresenkraft; das ist grammatikalisch schon mal korrekt. Gut | |
möglich, dass Frauen die Männer im Publikum des Monarch zahlenmäßig | |
überwiegen. | |
Selbst als der Star des Abends, die junge Hamburger Musikerin Sophia | |
Kennedy, gegen halb zehn auf die Bühne kommt, ist der Beifall höflich und | |
dezent. Kennedy ist in Begleitung ihres Produzenten Mense Reents, den man | |
als Tastenmann der Goldenen Zitronen kennt und als Hälfte des | |
Weirdo-House-Duos Die Vögel, für das Sophia Kennedy auch schon gesungen | |
hat. | |
## Der Fetischcharakter verflüchtigt sich | |
Vor Kurzem hat die gebürtige US-Künstlerin ihr gefeiertes Debütalbum beim | |
Hamburger Elektroniklabel Pampa veröffentlicht. Aus Offenbach und München | |
waren positive Eindrücke von ihren Auftritten zu vernehmen gewesen. Am | |
Freitag in Berlin trägt Kennedy einen knalligen roten Lacksuit. Der | |
Fetischcharakter verflüchtigt sich gleich beim entwaffnenden | |
Begrüßungssatz: „My name is Sophia Kennedy and I will also speak German. | |
Vielleicht.“ Damit hebt sie an zum chansonesken „Foam“, einem Song getrag… | |
von sparsamen Klavierakkorden und Gesangsharmonien, die direkt aus der Ära | |
des „Brill Building Pop“ nach Kreuzberg gebeamt wurden. | |
Von Reents werden einige Partikel geloopt und zersetzt. „I’m the piece of | |
gum / That you have been chewing on.“ Klackernde Beats helfen den absurden | |
Reimen aus dem Mantel, exzellent gesetzte und sacht betonte | |
Gesangsharmonien unterbricht Kennedy manchmal, um mit ihrer Stimme einen | |
Kiekser zu machen, mit dem sie unter den Hooklines wegzieht. Reents spielt | |
derweil einen brummigen Bass. | |
Allmählich entsteht diese eigentümliche Klangmischung aus Vertrautem und | |
Verfremdeten, aus Eingängigem und Unerwartetem, die auch Sophia Kennedys | |
Album so auszeichnet. Die junge Künstlerin macht ihre Ansagen dann | |
tatsächlich auf Deutsch. „Ich schwitz mich weg in dem Anzug.“ Wie sie zur | |
Musik ihren Kopf hin und her bewegt, das hat Charisma, genau wie diese | |
surrealen Popsongs, die sie in leicht geänderten, meditativeren | |
Live-Versionen darbietet, was verblüffend wirkt, aber auch ziemlich | |
routiniert. Wobei die Reihenfolge der Songs vom Album bei diesem Konzert | |
geändert ist. | |
## Echtes Fahrradwetter | |
Das Finale, „Hello I Found You“, bildet die goldene Mitte des Konzerts. | |
Erst am Ende des Sets folgt dagegen das auf ihrem Album relativ am Anfang | |
stehende somnambule Stück „3:05“. Gefolgt vom barock-psychedelischen | |
„Kimono Hill“, in dem es um ein „Tennismädchen“ geht, das die ganze Na… | |
mit einem Fahrrad fährt, so lange, bis sogar das Wetter zum „Fahrradwetter“ | |
wird. | |
Am beeindruckendsten klingt das neue Stück „Chestnut Avenue“, so benannt | |
nach der Kastanienallee in Sankt Pauli. Majestätisch zieht sie dafür | |
Pianoakkorde wie an einer unsichtbaren Schnur auf. So gerade wie die | |
Straße, in der Sophia Kennedy als Erstes gewohnt hat, als sie nach Hamburg | |
gezogen war. Überhaupt scheint die junge Musikerin einem Masterplan zu | |
folgen, der sie sicher weltberühmt machen wird. Bereits jetzt macht sie | |
musikalisch dafür alles richtig. Auch an diesem sommerlichen Freitagabend | |
von der milden Sorte in Berlin. | |
11 Jun 2017 | |
## AUTOREN | |
Julian Weber | |
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