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# taz.de -- Laurel Halos Album „Dust“: Wunderbar, my ass
> Clicks ’n’ Cuts, queerer Ambient, digitaler R&B: US-Produzentin Laurel
> Halo kann sich auf „Dust“ nicht für einen Stil entscheiden.
Bild: Mag absurden Humor: Laurel Halo
Manchmal sorgen die Veröffentlichungszyklen der Musikindustrie dann doch
für eine Form von poetischer Gerechtigkeit. In der gleichen Woche, in der
ein bärtiger Plattenauflegeunterhalter des Berliner Bescheidwisserlabels
Giegling mit Man-Bun meinte, dass Frauen hinter dem Mischpult
unberechtigterweise zu viel Aufmerksamkeit bekämen, erscheint ein neues
Album der US-Elektronikproduzentin Laurel Halo.
Halo lebt in Berlin und ist dort nicht nur hinter dem Mischpult in ihrem
Studio zu Hause, sondern stellt auch auf Theorieveranstaltungen immer mal
wieder schlaue Fragen. Nur die gerechte Aufmerksamkeit fehlt ihr – noch.
„Dust“, also Staub, lautet der Name von Laurel Halos drittem Album und im
Interview spricht sie dann auch davon, wie sehr sie diesen Staub mit den
Schichten konnotiert, die sich im Laufe eines Lebens anhäufen. Daraus wird
aber kein schlichtes biografisches Bekenntnis – alles ist doppelt und
dreifach kodiert.
Laurel Halo gehört zur Generation von Musikproduzentinnen, die abstrakte
Clicks ’n’ Cuts, queeren Ambient, digitalen R&B oder die kompletten
Diskografien von Techno-Labels aus Detroit auf der Festplatte gehortet
haben.
## Hochnäsige DJ-Jungs
Es ist eine Generation, die mit der Allverfügbarkeit von Musik aufgewachsen
ist, sich aber trotzdem mit den ganzen Blödsinnigkeiten der analogen
Knappheit auseinandersetzen musste: versnobte Plattenverkäufer, hochnäsige
Jungs am DJ-Pult inklusive. Halo synthetisiert diese Schieflage zu
Popsongs, die zwischen der Leichtigkeit der Tumblr-Benutzeroberfläche und
der Unübersichtlichkeit eines zugestickerten Laptops pendeln.
Auch auf „Dust“ will sich Halo stilistisch nicht so wirklich entscheiden.
Muss sie auch nicht. In „Moontalk“ kanalisiert sie das farbenfrohe Chaos
von japanischem Synthie-Pop in einen Brasil-Rhythmus, bevor sie im Refrain
die unterschiedlichen Arten, jemandem auf Japanisch zum Geburtstag zu
gratulieren, durchprobiert. „Jelly“ spielt mit der Breitbeinigkeit eines
Funk-Rhythmus. Trotz dieser Stilanleihen ist „Dust“ kein eklektisches Album
geworden, sondern zeigt Laurel Halos Persönlichkeit durch sein Sounddesign.
Die US-Künstlerin fragmentiert ihre Songs. Ihre Schlagzeugspuren sind mit
Effekten moduliert, die Samples ziehen Schlieren, und die Melodien
verlassen ihre Umlaufbahn in schönster Unregelmäßigkeit und sie werden
dabei auch von der Stimme von Halo und ihrer Gastsängerin Julia Holter nie
wieder eingefangen. Ständiger Begleiter ist das dabei das Saxofon – in
„Arschkriecher“ hat es seinen großen Auftritt. Leicht dissonant scheppert
es durch den Song, während über einem schlurfenden Geräuscherhythmus immer
wieder ein „Wonderful“ ertönt. Wunderbar, my ass.
Dieser absurde Humor ist prominent vertreten im Zeichenvorrat von Laurel
Halo, der ihre – überwiegend männlichen – Kommentatoren immer wieder eine
kühle Intellektualität unterstellt haben. Auf „Dust“ aber stellt sie die
konkrete Dichtung des brasilianischen Schriftstellers Haroldo de Campos
(1929–2003) neben banale Alltagsfragen, die sie mit dem Pathos einer
Kunstinstallation vorträgt. Halo hat erkennbar Freude an der Auflösung
subkultureller Gewissheiten – womit dann auch wieder der Bogen zur Theorie
geschlagen ist. Denn ihre Fragen sind nicht nur schlau, sondern auch ein
wenig unbequem.
27 Jun 2017
## AUTOREN
Christian Werthschulte
## TAGS
elektronische Musik
Popmusik
Krautrock
Mauerpark
Nouvelle Vague
Marteria
Konzert
Techno
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