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# taz.de -- Neues Album von Marteria: Ein rappendes Alien
> Außenseiter statt Aggro: Marteria veröffentlicht mit „Roswell“ ein Albu…
> das er mit einem irren Spielfilm garniert. Das Album ist gut, der Film
> nicht.
Bild: Ausschnitt des Albumcovers „Roswell“ von Marteria
Deutschrap ist überall, diesen Eindruck zumindest erhält, wer die
Dudelradiosender einschaltet. Marterias Single „Aliens“ aus dem gerade
erschienenen Soloalbum „Roswell“ läuft rauf und runter, vor und nach
Tränendrüsen-Pop Marke Max Giesinger. Überall wird plötzlich gerappt: bei
Rock am Ring, DSDS und sogar in Rekrutierungs-Werbespots der Polizei.
Mit ausgelöst wurde diese Epidemie 2010 von Marten Laciny alias Marteria.
Sich selbst charakterisiert er aber als „gottverdammtes Alien“ (so rappt er
in „Aliens“) der HipHop-Szene. Eine Milieuferne, aus der er mit seinem
kiffenden Außerirdischen-Alter-Ego Marsimoto Geschichten über Sonderlinge
erzählte, sich aber gleichzeitig radiotauglichem Pop annäherte, als HipHop
noch strictly aggro war: Die Sidos, Bushidos und ihre ungezählten Epigonen
vernachlässigten musikalische Ästhetik allerdings zugunsten von Pöbelei,
selbst als dieses hirnlose Gedisse niemand mehr hören wollte.
„Zum Glück in die Zukunft“ wurde 2010 zum Leitfaden von Laciny. 27 Jahre
alt war er damals, hatte bereits eine Fußballkarriere bei Hansa Rostock in
den Sand gesetzt, in New York gemodelt, Schauspiel studiert und vor allem
Musik gemacht, die ob ihrer Sperrigkeit quer zum Mainstreamrap mit
deutschen Reimen lag. Dementsprechend erfolglos blieb sie auch.
Dann trat das Produzententeam The Krauts auf den Plan, lieferte seichte
Synthie-Loops und Melodien, die eingängig klangen. Marteria veränderte
unterdessen seinen Reimstil, war nun bedacht darauf, große Bilder zu
entwerfen, mit denen man sich in Jugendzimmern und Autowerkstätten
gleichermaßen identifizieren kann, und lieh sich dafür die Stimme des
Sängers Yasha in den Hooklines. Ab dann rappte er gerne über Freiheit,
Liebe und – den Weltraum, ohnehin das Pop-Motiv schlechthin.
In dieser Hinsicht nährte sich Marteria dem Affirmativen des Pop an, wirkte
aber auch da wie ein Alien. „Ich will hier weg, weg – jeden Tag das
Gleiche. / Der Punk in mir versteckt, hinter Nadelstreifen“, hieß es auf
der Single „Verstrahlt“. Easy zum Mitsingen, genauso wie „Lila Wolken“,
eine Single, die plakativ den Sonnenaufgang einer hedonistischen Partynacht
romantisiert. Ist der Imagewandel vom Untergrund-Phänomen zum
Stadion-Rapper auch eine Sackgasse?
## Haltung und Hooklines können fusionieren
Marterias neues Album zeigt, dass es einen Mittelweg gibt. Denn „Roswell“
ist als musikalisches Großprojekt angelegt. Jedes Rauschen, jede Silbe
wirkt genau gestylt. Obwohl Marteria mittlerweile zum Popstar avanciert
ist, dem wie selbstverständlich die pathetischen Zeilen „Schreib einen
Scheck – Verwendungszweck: du. / Bezahl mit meinem Leben, hab nichts
Besseres zu tun“ („Das Geld muss weg“) von den Lippen gehen, haften seinem
Sound doch noch Spurenelemente von HipHop an. Reime sind es, die zählen,
nicht nur Zitate fürs Wandtattoo.
So funktioniert „Roswell“ als Popalbum, auf Ohrwurm getrimmte Synthies und
geloopte Vocal-Samples („El Presidente“) stehen neben upfronten Drums mit
HipHop-Groove. Auf Textebene bleibt Marteria der Kumpeltyp, der
Gerechtigkeit will und am Ende in der Kneipe mit denselben Freunden
furchtbar abstürzt, wie immer. Der Carl Spitzweg des Deutschrap?
Nicht ganz! In dem Song „Elfenbein“ rappt er aus der Perspektive eines
Geflüchteten. „Wo ich wohn, lauern Glatzen mit Oberlippenbart. / Ich
will’nen Whiskeycola, werd mit Sojamilch empfangen“, heißt es da. Sein
Wortspielgeklingel hebt das Niveau im Mainstream-Pop. Er zeigt damit
lässig, wie Haltung und Hooklines fusionieren können. Das hätte völlig
gereicht.
Doch dann ist da noch „Antimarteria“, ein fast 60-minütiger Spielfilm, der
begleitend zum Album entstanden ist und [1][seit Freitag auf Marterias
YouTube-Channel zu sehen ist]. Er wirkt wie der Drogentrip eines Musikers,
der unbedingt einen Film machen wollte, aber nicht so richtig weiß, wie’s
geht. Also gerade nicht so, wie Adam Greens Pic „The Wrong Ferrari“. Da
hilft auch kein Frederik Lau, dem die Rolle eines schmierigen Bonzen
ziemlich gut steht.
Der Film wurde in Südafrika gedreht, darin geht es grob um die Ausbeutung
afrikanischer Ressourcen durch den Westen, ins Abstrakte verzerrt
allerdings. Alle sind auf der Jagd nach Elfenstaub. Es wird gemordet und
vergewaltigt, Marteria feiert währenddessen mit seiner Clique auf einer
Yacht und wird von einem übernatürlichen Wesen verfolgt, das ihn
schließlich auf den rechten Weg bringt. Ein surrealer Trip, schlau wird man
aus ihm nicht.
Schnelle Schnitte, Nonsens-Dialoge („Du hast dir von’ner Transe einen
lutschen lassen. – Digger, was für’ne Transe, Alter?“), Pathos und wirr
eingestreute Albumtracks, die Mischung wirkt deplatziert. Und die
Bildsprache will artsy sein, variiert zwischen Hochglanz, körnigen
Wackelbildern und flirrenden blau-roten Sequenzen, die aussehen wie mit
Wärmebildkamera aufgenommen.
Am Ende gibt’s ein großes Gemetzel mit Cartoon-Einschüben, ein müder „Ki…
Bill“-Abklatsch. Trash als Ansatz ist natürlich trotzdem gut. „Die Grenzen
müssen fallen“ und „Das Geld muss weg“, heißt es im Schlussplädoyer des
endgültig zum Alien mutierten Marteria. „Roswell“ thematisiert all das
allerdings um Längen besser. „Antimarteria“ ist der böse Gegenspieler zum
guten Album.
12 Jun 2017
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=t9S4F8aQ9oU
## AUTOREN
Johann Voigt
## TAGS
Marteria
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