Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Neues Album von den Beginnern: „Alles ein einziger Melting Pot“
> Die Hamburger HipHop-Band veröffentlicht nach 13 Jahren Pause ihr neues
> Album „Advanced Chemistry“. Und kommt damit ganz groß raus.
Bild: Gehen bald auch wieder auf Tour: Die Beginner Jan Delay, Denyo und DJ Mad
Schon 1993 waren die Hamburger Rapper Jan Eißfeldt alias Jan Delay und
Dennis „Denyo“ Lisk in der ZDF-Dokumentation „Lost in Music“ zu sehen, …
sich dem jungen Phänomen der deutschen HipHop-Szene widmete. 23 Jahre und
eine 13-jährige Veröffentlichungspause später sind die beiden zusammen mit
Guido „DJ Mad“ Weiss und einem Album zurück, das in seinem Titel eine
Referenz an diese Frühphase trägt: „Advanced Chemistry“, benannt nach der
legendären Heidelberger Old-School-Kombo. Doch der Titel scheint weniger
auf die politische Agitation dieser Band zu verweisen, die mit Songs wie
„Fremd im eigenen Land“ Anfang der neunziger Jahre wichtige Statements
gegen Rassismus und Neonazis setzte. Stattdessen bezeichnen die Beginner
ihre Musik augenzwinkernd als „fortgeschrittene Chemie“, da ihr Sound
vorwärtsgewandt ist, sich mit zahlreichen Einflüssen von Tanz- und
Clubmusik aus aller Welt verbindet. Die beiden früheren Beginner-Alben
„Bambule“ (1998) und „Blast Action Heroes“ (2003) gelten heute als
Genre-Klassiker. Jan Delay wurde als Solokünstler zum deutschen Popstar und
bot auch ein Rollenvorbild für Peter Fox, Marteria oder Casper.
taz: Die Beginner-Single „Ahnma“ wird millionenfach gestreamt, die
Comeback-Tour ist fast ausverkauft. War mit diesem Interesse zu rechnen?
DJ Mad: Wir waren 13 Jahre weg, das Internet hat die Branche in dieser Zeit
komplett umgemodelt. Was das für uns komische Rap-Helden von früher
bedeutet, dafür gab es keinen Präzedenzfall.
Denyo: Wir waren in den letzten Jahren viel unterwegs, kamen aber nie an
der Frage vorbei, wann die neue Beginner-Platte kommt. Dass wir nun aber
größer einsteigen, als wir aufgehört haben, konnten wir nicht wissen. Wir
müssen fast alle Konzerte hochverlegen. Ein YouTube-Video, ein
Facebook-Post, und die halbe Tour ist ausverkauft.
Der Albumtitel verweist auf die Old-School-HipHop-Crew aus Heidelberg. Was
war die Herangehensweise an „Advanced Chemistry“?
Denyo: Wir haben an keiner Platte so intensiv gearbeitet wie an dieser. Wir
haben uns Zeit gelassen, sie musste reifen. Wie damals bei „Bambule“
wollten wir 12 Hits haben, jeder Song eine potenzielle Single. Die ersten
Gerüste entstanden 2011, doch 2012 haben wir sie nochmal weggelegt und
Soloprojekte vorangestellt. 2015 trafen wir uns erneut. Es kristallisierte
sich heraus, dass wir nicht schnell genug sind. Also haben wir ein paar
Leute dazugeholt, etwa den Produzenten Fiji Chris von der Band Symbiz.
Jan Delay: Der ist auch alter Beginner-Fan. Wenn ich alleine an den Beats
sitze, verliere ich mich in mir selbst. Manchmal bin ich zu stoned, um mich
für eine Snare zu entscheiden. Zu zweit geht das viel schneller.
Symbiz stehen für globale Bass- und Tanzmusiken. Wie passt das zum
HipHop-Sound der Beginner?
Jan Delay: So ist die Zeit gerade. Alles ist ein einziger Melting Pot.
Durch das Internet verschmilzt alles, es gibt keine Genregrenzen mehr. Für
uns als Hamburger ist diese Offenheit normal, uns spielt das in die Karten.
DJ Mad: Das entspricht genau unserer Bandphilosophie. Hör dir mal unser
erstes Album von 1996 an! Das war schon genau das.
Jan Delay: Nur war es nicht gut. (lacht)
DJ Mad: Ja, aber das ist HipHop. Du erfindest Musik nicht neu, sondern nur
neue Melangen. Das ist unser Sport: eine Symbiose aus der alten
Produktionsphilosophie mit dem modernen Sound zu finden.
Denyo: „Advanced Chemistry“ ist schon krass bunt geworden. Vor drei, vier
Jahren wäre die Zeit dafür nicht reif gewesen.
Auf die erste Single gab es Kritik von der True-School-Fraktion – vor allem
wegen dem Gastauftritt des Hamburger Gangsta-Rappers Gzuz.
Denyo: Ich kann das nicht nachvollziehen. In den 13 Jahren, in denen wir
nicht da waren, ist viel passiert. Unsere Fans sind erwachsen geworden. Von
manchen werden wir nun in so eine Wohlstandsbürger-Schublade gesteckt. Als
würden wir die Ideale und Werte von privilegierten Mittelständlern
repräsentieren. Aber wir sind Fans von Brüchen und Widersprüchen. Wir
feiern Typen, die sich aus der Scheiße kämpfen mussten. Wir verstehen den
Menschen hinter einer Punchline, die nicht politisch korrekt formuliert
ist. Das macht die Beginner aus – wer damit nicht klarkommt, muss sich
weiter „Bambule“ anhören.
Jan Delay: Wir sind zu dieser Musik durch N.W.A. gekommen. Das ist nichts
anderes als Gzuz heute. Wir standen immer auf solche Musik und haben auch
mit solchen Leuten abgehangen. Hätte es 1997 jemanden mit dem Background
gegeben, der so gut wie Gzuz gerappt hätte, wäre der auf „Bambule“
gelandet. Gab es aber nicht. Der Gefährlichste damals war Ferris MC.
(Gelächter)
Denyo: Wir stehen für eine andere Phase im Deutschrap, aber wir finden
Gangsta-Rap nicht scheiße. Wir finden nur Scheiß-Musik scheiße. Es gibt
technisch sehr guten Straßenrap: Haftbefehl oder Gzuz feiern wir.
Jan Delay: Es ist lustig, weil Gzuz ein extrem toleranter Typ ist, für den
sich solche Fragen gar nicht stellen. Als er im Knast saß, war „Bahnhof
Soul“ eine seiner Lieblingsplatten. Bei einem Festival saß ich mit Peter
Fox und ihm im Backstage herum und machte einen Gag über Marco Reus, weil
der Jay Z und Helene Fischer hört. Gzuz fand das nicht cool. Er meinte,
Helene Fischer mache Musik, die viele Menschen berührt. Wieso sollte man
das nicht feiern dürfen? Das fand ich derbe.
DJ Mad: Man sollte nicht versuchen, Musik konservativ zu bewahren. Warum
sollte man HipHop an einem bestimmten Punkt verbieten, sich
weiterzuentwickeln? HipHop wäre nicht seit 35 Jahren da, wenn er sich nur
um sich selbst drehen würde. Es muss weitergehen, das muss man zulassen.
Wir hoffen, dass wir uns nach dem Vorbild der Beastie Boys freigespielt
haben. Keiner weiß genau, was da kommt, aber wird schon geil sein.
Gab es nach euren Solokarrieren Probleme, sich gleichberechtigt als Band
und auf Augenhöhe zu begegnen?
Denyo: Wir sind seit Jahrzehnten Freunde. Als wir die Band gegründet haben,
war ich 14. Die Beginner sind ein Lebenswerk für uns alle. Die Egos mussten
vor der Studiotür bleiben. Aber klar, wenn man über 10 Jahre sein eigener
Chef ist, muss man sich umstellen. Auf einmal muss man mit den anderen
besprechen, wann man in Urlaub fahren will. Auf der anderen Seite gab es
viel voneinander zu lernen.
DJ Mad: Da sind drei verschiedene Erfahrungswelten entstanden, die in der
Summe immer noch verdammt konkurrenzfähig sind.
Jan Delay: Ich habe mich darauf gefreut, nicht mehr der Boss sein zu
müssen, die Verantwortung teilen zu dürfen, endlich wieder eine Rap-Platte
zu machen. Natürlich geht das nicht von heute auf morgen. Rap ist Sport,
und ich musste trainieren. Ich war aber schon mal da und wusste, was es
bedeutet, dort wieder hinzukommen.
Ihr seid alle um die 40. Was bedeutet es, mit HipHop älter zu werden?
Denyo: HipHop hat eine naive Kraft, aber ich kann nicht mehr so rappen wie
mit 20, weil ich die Welt nicht mehr so sehe wie mit 20. Man kann aber auch
unterhaltsam darüber rappen, wie man sein Kind in den Kindergarten bringt.
Ich habe irgendwann gecheckt, dass man im Rap alles sagen kann. Deswegen
ist „Advanced Chemistry“ eine echte Platte, weil sie von allem erzählt, was
uns bewegt und interessiert. Sie ist FSK 0 und hat trotzdem Eier.
DJ Mad: Meine Frau hat mich schon zu meinem 30. Geburtstag vor 14 Jahren
gefragt, ob ich in 10 Jahren noch mein Geld verdienen wolle, indem ich für
die Gören im Club auflege. Da habe ich gesagt: Ja, solange ich Spaß daran
habe, werde ich das machen. Das geht aber nur wegen der Technologie, weil
ich mit meinem kaputten Rücken keine Platten mehr rumschleppen muss. Auch
wenn ich das früher nicht geglaubt hätte: Man darf mit HipHop alt werden.
Jan Delay: Jay Z ist weit über 40 und macht immer noch geile Platten. Dr.
Dre ist 80 und macht geile Platten. Russell Simmons ist 100, trägt ein Cap
und es ist okay. Man sieht natürlich auch diejenigen, bei denen es nach
hinten losgeht, und diese Fehler versucht man eben, nicht zu wiederholen.
26 Aug 2016
## AUTOREN
Stephan Szillus
## TAGS
Jan Delay
HipHop
Musik
Gangsta-Rap
Marteria
Konzert
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
Dokumentarfilm
Musik
Jan Delay
Jan Delay
Rapper
## ARTIKEL ZUM THEMA
Peta zeigt Rapper an: Gzuz hat (k)ein Herz für Schwäne
Der Rapper Gzuz von der 187 Straßenbande hat einen Schwan geohrfeigt. Nun
zeigt ihn die Tierschutzorganisation Peta an.
Neues Album von Marteria: Ein rappendes Alien
Außenseiter statt Aggro: Marteria veröffentlicht mit „Roswell“ ein Album,
das er mit einem irren Spielfilm garniert. Das Album ist gut, der Film
nicht.
Beginner in Berlin: Ein Familienfest
Nostalgie und Rap gegen Rechts: Der Tourabschluss der Beginner war nicht
nur eine Retroshow, sondern auch politisch.
Männlichkeitsbilder im HipHop: Drake fällt durch's Raster
Einfühlsamer Lover und Gelegenheitszuhälter: Wie der kanadische Rapper
Drake mit der Hypermaskulinität im HipHop bricht.
Dokumentarfilm über Nick Cave: Schreckliche Gefühle
Nick Cave hautnah: Der Sänger von „The Bad Seeds“ erklärt das neue Album
mit Hilfe eines Films. Trauriger Anlass ist der Unfalltod seines Sohns.
Denyo über HipHop, Alter, Arbeit: „Die Opferhaltung ist typisch deutsch“
Das letzte Rap-Album von Denyo ist zehn Jahre her. Nun erscheint „Derbe“.
Ein Gespräch über unlockere Frauen, besoffene Fans und bekiffte Aliens.
Heino als „Nazi“ beschimpft: Jan Delay bereut seine Wortwahl
Den Volksmusiker Heino als „Nazi“ tituliert zu haben, findet der Hamburger
Künstler jetzt selbst nicht mehr so glücklich. Das beichtete er in der
ZDF-Sendung „Aspekte“.
Jan Delay über sein neues Album: „CDU-Wähler dürfen auch tanzen“
Der Hamburger HipHop-Star Jan Delay über sein neues Album „Hammer &
Michel“, seinen US-Kollegen 50 Cent und Sehnsucht nach dem alten St. Pauli.
Pro & Contra Rapper Casper: Gott oder Schrott?
Am Rock-Rapper Casper scheiden sich die Geister. Ist sein Album
„Hinterland“ der große Emo-Wurf oder doch nur Bierzeltsound ohne Ecken und
Kanten?
Der schwäbische Rapper Cro: So ganz ohne Penis
Platz 1 der iTunes-Charts, vorbei an Silbermond und Toten Hosen: Mit
gnadenlos fröhlichen Texten und Pandamaske erobert der schwäbische Rapper
Cro die Charts.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.