# taz.de -- Pro & Contra Rapper Casper: Gott oder Schrott? | |
> Am Rock-Rapper Casper scheiden sich die Geister. Ist sein Album | |
> „Hinterland“ der große Emo-Wurf oder doch nur Bierzeltsound ohne Ecken | |
> und Kanten? | |
Bild: „Gröhl“ – Casper auf Berlin Festival 2013. | |
Pro: Neue Protestmusik | |
Die Angriffsfläche ist sicher nicht kleiner geworden. Wenn der Bielefelder | |
Rapper Casper auf seinem neuen Album „Hinterland“ im Song „… nach der D… | |
ging’s bergab“ den Zustand des deutschen Pop besingt, so könnte man ihm | |
vorwerfen, in diesem „Hinterland“ gehe es auch ganz schön | |
befindlichkeitsfixiert und kitschtriefend zu. | |
Casper zieht im besagten Song eine Linie, die von Ton Steine Scherben | |
(„Mach kaputt was dich kaputt macht“), über Die Sterne („Was dich bloß … | |
ruiniert“), bis zu Wir sind Helden („Die haben uns ein Denkmal gebaut“) | |
reicht. Er ist dabei zusehends ratlos, wo die rohe Kraft von Rock und | |
HipHop geblieben ist, einer Kraft, der Casper selbst auf dem Vorgängeralbum | |
„XOXO“ eine kleine Renaissance bescherte. | |
Damals blitzte bei ihm der Sound der Straße auf, minus Chauvinismus und | |
Dummheit. Und nun? Hat er ein Popalbum aufgenommen. Orchestraler Pathos im | |
Referenzfeld von Americana, Folk, Soul und Sprechgesangskunst. Vom Rap | |
bleibt nur noch der Duktus übrig. Überrascht ist man nicht, dass | |
Deutschlands derzeit spannendster Rapper, der bürgerlich Benjamin Griffey | |
heißt, nun mit einem pompösen Sound aufwartet. | |
Unterstützt wird er vor allem durch Konstantin Gropper, den man von der | |
Indieband Get Well Soon kennt. Zu hören sind Westerngitarren, Glockenspiel | |
und viel Klavier. Trotz allem Pathos: Caspers drittes Album ist vor allem | |
musikalisch ein vielfältiges Werk geworden. „… nach der Demo ging’s berg… | |
hat eine Hookline zwischen Iggy Pops „Passenger“ und Arcade Fire, das Stück | |
„Lux Lisbon“, gemeinsam mit Tom Smith von den Editors aufgenommen, ist dann | |
eher bei Bright Eyes angesiedelt. | |
Und „Jamalaya“ mit dem starken Frauenchor könnte auch von Jan Delay und | |
Orchester sein. „Hinterland“ ist eine musikalisch wie textlich große | |
Zitatcollage, wobei Casper auch aus seinem Debütalbum zitiert. Bezüglich | |
der Texte sind auch Ausfälle dabei, etwa das Wiederkäuen von | |
Rockstar-Klischees, bei denen man hoffte, sie gehörten der Vergangenheit | |
an, oder eben auch die Lonesome-Man-Ballade „Lux Lisbon“, deren Text man | |
eher von einem Teen-Rapper erwarten würde. Aber auch was die Reime angeht | |
gibt es große Momente, wenn Casper Slime (und in der Folge Kettcar) | |
zitierend von „ein Drittel Heizöl, zwei Drittel Benzin / Augen und Herzen | |
sind Dynamit“ singt, so bleibt bei all den ausgeträumten Revoluzzerträumen | |
nur noch politische Agonie – die aber wird immerhin artikuliert. | |
Die Angriffsfläche, das weiß Casper, ist auch da draußen nicht kleiner | |
geworden. JENS UTHOFF | |
Contra: Bierzeltmusik | |
Da sprengt einer Genregrenzen. „Wow“ möchte man sagen, klänge das nicht so | |
fürchterlich abgeschmackt. Es gehört doch schon längst zum guten Ton, als | |
halbwegs talentierter Musiker über den Tellerrand der eigenen Komfortzone | |
zu schauen. | |
Insofern kann man nicht behaupten, der Bielefelder Rapper Casper | |
revolutioniere allein mit dem Umstand, dass sich auf seinem neuen Album | |
„Hinterland“ Pop, Folk und Sprechgesang kreuzen, den HipHop oder sonst ein | |
populäres Genre. Bereits Monate im Voraus wurde „Hinterland“ von Fans und | |
Medien herbeigesehnt. Casper zierte zahlreiche Cover. „Deutschlands bester | |
Rapper“, der sich vom Mackertum des migrantisch-deutschen Rap distanziert | |
und den immerzu grübelnden Deutschen wieder das Fühlen beibringen soll, | |
weil er sich traut, über Gefühle zu singen. So energiegeladen, dass man | |
immer schön mitschunkeln kann. | |
Nun ist „Hinterland“ beim besten Willen nicht der heiße Scheiß geworden. | |
Das Album ist gut produziert, keine Frage, voll gepackt mit Gitarren, | |
Bläsern und Glockenklimbim. Mit Arrangements so eingängig, dass jeder Song | |
Hitpotenzial hat. Nur, es gibt keine Ecken und Kanten. Wäre „Hinterland“ so | |
poetisch und feinfühlig wie auf dem Waschzettel gepriesen, wäre es wohl | |
auch nicht so schwierig, einen Song von Anfang bis Ende zu hören. Ist es | |
aber. | |
Wenn nicht gerade wieder zitiert wird (etwa bei Ton Steine Scherben), dann | |
holt der Pathos nämlich kräftig aus und klatscht einem in jeder zweiten | |
Zeile mit voller Wucht gegen die Stirn. Es spricht ja nichts dagegen, dass | |
alles „Ganz schön okay“ ist und Casper davon krächzt, dass er „Endlich | |
angekommen“ sei. | |
Muss man wirklich so eindringlich auf dem Hirnausschalten, Feiern und | |
Verlorensein herumreiten? Ist ein Fingerzeig nicht rührender als das mit | |
leuchtender Neonschrift beworbene Lebensgefühl? Es waren „die falschen | |
Drogen zur richtigen Zeit“, heißt es; es geht um „verlorene Jungs“, die … | |
viel Zeit, zu viel Wein“ haben, und deshalb tollen sie draußen herum „ohne | |
Hoffnung, ohne Sorgen, naseblutend, 6 Uhr morgens“. Bitter ist dabei vor | |
allem, dass es keinen Funken Ironie gibt. Casper meint das alles ernst. Und | |
doch drängt sich der Verdacht auf, dass hier ein zielgruppenorientiertes | |
Produkt entworfen wurde: „Hinterland“, der Soundtrack für den Studienanfang | |
in Marburg. „Das ist kein Abschied, denn ich war nie willkommen“, singt | |
Casper. Wo soll dieser vermeintliche Underdog nicht willkommen sein? Wenn | |
„Hinterland“ wegweisend ist, dann vielleicht als Bierzeltmusik von morgen. | |
FATMA AYDEMIR | |
7 Oct 2013 | |
## AUTOREN | |
Jens Uthoff | |
Fatma Aydemir | |
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