# taz.de -- Rapper Haftbefehl mit neuem Album: Gangstas Offenbach | |
> Musikalisch überzeugt der Rapper Haftbefehl auf seinem neuen Album | |
> „Blockplatin“. Leider bedient er auch unsägliche antisemitische | |
> Klischees. | |
Bild: Nicht ganz koscher: der Offenbacher Rapper Haftbefehl. | |
Gangstarap ist durch in Deutschland. Eigentlich. Es gibt zwar immer noch | |
Rapper, die bei begrenztem musikalischem Horizont in einfältig | |
brutalisierten Reimen ihre Allmachtsfantasien ausleben, aber die Stars der | |
Szene haben in ihren Vorstellungswelten der Gewalt längst abgeschworen. Man | |
denke nur an den Emobezug des wohlerzogenen ehemaligen | |
Sozialpädagogikstudenten Casper oder die schwäbische Plaudertasche Cro mit | |
seiner Kinderzimmer-Niedlichkeit suggerierenden Pandabärmaske. | |
Wie man einem ausgelutschten Genre à la Gangstarap dennoch neue und | |
interessante Aspekte abgewinnen kann, beweist nun Aykut Anhan alias | |
Haftbefehl. Die Welt, die er auf seinem eben erschienenen dritten Album | |
„Blockplatin“ entwirft, ist zwar auch eine, in der sich der rappende | |
Gangsta mit Gewalt behaupten muss, um nach oben zu kommen. Aber Haftbefehl | |
gebraucht dabei die Stilmittel Übertreibung und Selbstironie so | |
zielführend, wie das nicht einmal die Spezialisten für groteske | |
Inszenierungen vom Berliner Label Aggro hinbekommen haben. | |
Der authentische soziale Hintergrund von Haftbefehl als Deutscher mit | |
kurdisch-türkischen Wurzeln und Dealervergangenheit mischt sich mit einem | |
überstilisierten Bild Frankfurts, das dem Offenbacher als Kulisse für seine | |
Erzählungen dient. In diesem hessischen Lokalkolorit entwirft Haftbefehl | |
ein popkulturelles Verweissystem aus Mafia- und Kampfsportfilmen, auf das | |
er immer wieder zurückgreift. Dazu kommt der gekonnte Einsatz einer | |
Kunstsprache aus genuscheltem Straßenslang-Deutsch und allerlei kurdischen | |
und türkischen Begrifflichkeiten. | |
In dieser hyperrealen und doch völlig überzeichnet wirkenden, für | |
Außenstehende nur schwer zu decodierenden Welt, regieren „Azzlacks“, | |
übersetzt „asoziale Kanacken“, „Chabos“ („coole Jungs“) und der �… | |
eine Respektsperson, bei der man an den Paten in Francis Ford Coppolas | |
gleichnamigem Mafiaepos denken darf. | |
## Chabos und Azzlacks | |
„Chabos wissen wer der Babo ist / Hafti Abi ist der, der im Lambo und | |
Ferrari sitzt“, reimt Haftbefehl. In den Videoclips wird die Frankfurter | |
Skyline als glitzerndes Symbol der Finanzwelt und Versprechen des | |
Kapitalismus in Szene gesetzt. Asoziale Kanackster haben in Haftbefehls | |
Reimen ganz offensichtlich Mittel und Wege gefunden, ihre Aufsteigerträume | |
genau hier, wo sie eigentlich unerwünscht sind, zu verwirklichen. Sie | |
fahren dicke Schlitten und werfen mit Geld nur so um sich. | |
Eine im Booklet des neuen Albums abgebildete Folterszene, bei der zwei | |
Schergen ein Opfer mit Hammer und Säge bearbeiten, während Haftbefehl das | |
Treiben gelassen beobachtet, macht klar, dass man unter zweifelhaften | |
Umständen zu Wohlstand gekommen ist. | |
Was Haftbefehl von seinen fußlahmen Gangsta-Kollegen abhebt, ist die | |
Überdrehtheit der Inszenierung: Bei ihm wird es filmreif und sofort | |
verständlich dargestellt. Man hat so das Gefühl, Haftbefehl als Rapper | |
wahrt immer genügend Distanz zu Haftbefehl, der Kunstfigur. Vergleichbar | |
mit dem Berliner Regisseur Jörg Buttgereit, dessen Bizarro-Trashfilme über | |
Nekrophilie rein gar nichts mit dem absolut ausgeglichenen Kiezbewohner | |
Buttgereit zu tun haben. | |
Aykut Anhan hat hörbar Spaß daran, seine Azzlacks mal so richtig ihr | |
Frankfurt aufmischen zu lassen, auch wenn die Realität ganz sicher eine | |
andere ist. | |
## „Ticke Kokain an Juden an der Börse“ | |
Dass sich Haftbefehl nebenbei den Vorwurf eingehandelt hat, Antisemit zu | |
sein, ist allerdings eine ganz andere, ziemlich abgeschmackte Geschichte. | |
So wie Bushido jüngst auf seinem [1][Twitteraccount] unter dem Stichwort | |
„Free Palestine“ ganz Israel von der Landkarte verschwinden lassen wollte, | |
hat sich auch Haftbefehl vor allem wegen seines plakativen Songs „Free | |
Palestine“ und Textzeilen wie „Ticke Kokain an Juden an der Börse“ den | |
Vorwurf eingefangen, mit antisemitischen Klischees zu hantieren. | |
Er selbst redet sich damit raus, als Kurde selbst Angehöriger einer | |
Minderheit zu sein und deswegen nichts gegen Juden haben zu können. Die | |
Wahrheit ist bei Haftbefehl wohl eher, dass in den Kulturkreisen, denen er | |
sich zugehörig fühlt, mit plumpem Antisemitismus durchaus gepunktet werden | |
kann. So reflektiert Haftbefehl bei seiner Selbstinszenierung als Gangsta | |
wirkt, beim Thema Antisemitismus hat er noch reichlich Lernbedarf. | |
Ach so, die Musik, die zeigt, dass Gangstarap nach wie vor seine | |
Daseinsberechtigung hat. Haftbefehl hat sich bei britischer und | |
amerikanischer Bassmusik bedient, dazu kommen Samples weit über dem | |
Durchschnitt, verfremdete Bollywoodsounds und Ähnliches. Was den Sound | |
angeht, wird für die Jungs mit Durchfall-Hosen und Basecaps in Deutschland | |
„Blockplatin“ der neue Maßstab sein. | |
## Haftbefehl: „Blockplatin“ (Thug Life/Groove Attack) | |
1 Feb 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://twitter.com/Bushido78 | |
## AUTOREN | |
Andreas Hartmann | |
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