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# taz.de -- Denyo über HipHop, Alter, Arbeit: „Die Opferhaltung ist typisch …
> Das letzte Rap-Album von Denyo ist zehn Jahre her. Nun erscheint „Derbe“.
> Ein Gespräch über unlockere Frauen, besoffene Fans und bekiffte Aliens.
Bild: „Vor drei, vier Jahren habe ich mir die Frage gestellt: Kannst du über…
taz: Denyo, als das erste Album Ihrer Band Absolute Beginner erschien,
waren Sie 19. Heute sind sie 38 und haben nach zehn Jahren Pause wieder
eine Rap-Platte gemacht. Ist Denyo mit „Derbe“ endgültig erwachsen
geworden?
Denyo: Ich glaube, Denyo ist erst erwachsen geworden und dann hat er
„Derbe“ gemacht. Für mich war es auf jeden Fall eine große Herausforderun…
erwachsen zu werden und immer noch guten Rap zu machen. HipHop funktioniert
ja hauptsächlich über diesen Battle-Gedanken, man will beweisen, dass man
in irgendeiner Weise den anderen überlegen ist. Auf die Art: Ich bin geil
und du bist scheiße.
Fühlt man sich mit dem Alter nicht mehr so geil?
Doch schon, aber man lernt mit seinem Ego anders umzugehen. Und auch die
Inhalte fangen an, fragwürdig zu werden. Irgendwann wächst man halt über
all das hinaus, was HipHop einst so attraktiv gemacht hat. Vor drei, vier
Jahren habe ich mir die Frage gestellt: Kannst du überhaupt weitermachen?
Oder ist HipHop vielleicht simpler gestrickt als du?
Was war die Antwort?
Der Anspruch der Hörer ist in den letzten Jahren enorm gewachsen, sodass
immer mehr Kunst im HipHop möglich ist. Das hat mich geflasht. Man muss
sich nur mal das neue Album von Kendrick Lamar anhören, um zu checken, dass
im Rap eigentlich nichts mehr unmöglich ist.
Wovon haben Sie eigentlich die letzten Jahre gelebt?
Ich habe reich geheiratet, mein Schwiegervater ist Millionär (lacht). Nein,
Spaß, leider nicht. Ich hatte bis vor Kurzem eine wöchentliche Radioshow,
„Top of the Blogs“, bei N-Joy. Und ich gebe regelmäßig Gigs mit DJ Mad als
Beginner Soundsystem. Das heißt, ich lebe nach wie vor von der Musik und
das auch ziemlich gut. Man muss aber schon 70 Stunden pro Woche in die
Musik investieren, um niveaumäßig in der Champions League mitzuspielen.
In Ihrem Song „Wrkdhrd“ persiflieren Sie Workaholics, die den ganzen Tag
nur am Machen sind und sich dann abends fett die Kante geben, um
klarzukommen. Steckt da auch was von Ihnen selbst drin?
Klar. Ich bin Workaholic. Ich stehe dazu und ich habe eine Frau, die das
total akzeptiert. Deshalb kann ich mich auch austoben, wie ich will. Aber
dieses Twerken nach dem Worken fällt bei mir eher aus. Wenn ich in einem
Club auflege, dann siehst du mich da nach der Show höchstens zehn Minuten.
Dann geht es gleich ab ins Bett, weil ich am nächsten Tag wieder
funktionieren muss.
Das klingt langweilig.
Ist es aber nicht. Ich finde sowieso, wir müssen ein neues Wort für
„arbeiten“ finden. „Arbeit“ ist irgendwie total negativ belastet. Für
Deutsche bedeutet das in erster Linie: Ich muss etwas machen, dass ich
nicht möchte, um dafür Geld zu bekommen. Für mich ist es anders. Ich mache,
was ich machen möchte, und bekomme noch mehr Geld. Wenn man mit
Leidenschaft bei der Sache ist, dann arbeitet man auch gerne viel.
Was würde wohl eine Kassiererin im Supermarkt dazu sagen?
Weiß ich nicht, aber vielleicht sollte sich dieser Mensch mal Fragen
stellen wie: Warum stehe ich hier an dieser Kasse? Wie ist das passiert?
Die Antwort könnte lauten: Ich mag es gerne, nicht zu viel
Eigenverantwortung zu übernehmen, und ich möchte gerne gesagt bekommen,
wann ich kommen und wann ich gehen soll. Wenn es nicht so ist, kann man ja
aufhören und was anderes tun. Keiner zwingt dich dazu, dort zu arbeiten.
Und wenn du bleibst, kannst du daran auch was Gutes entdecken, dich zum
Manager hocharbeiten. Oder irgendwann deinen eigenen Laden aufmachen, der
ethisch alles richtig macht. Auf jeden Fall mag ich diese Opferhaltung gar
nicht, die ist so typisch deutsch.
Und typisch Frau ist es, sich einen Versorger zu suchen. Zumindest laut
Ihrem Song „Hübsche Frauen“, auf dem Sie Zeilen rappen wie: „Ich brauch
’nen Kredit / denn ich bin verliebt.“ Echt jetzt? Wird 2015 noch erwartet,
dass beim Date der Mann die Rechnung bezahlt?
Ja, entweder das, oder das genaue Gegenteil wird verlangt. Eigentlich kann
man es als Mann nur falsch machen, weil Frauen bei diesen Dingen total
unlocker sind. Es herrscht eine krasse Unsicherheit zwischen den
Geschlechtern. Ich erwische mich auch ständig dabei, wie ich mir Gedanken
darüber mache, ob ich einer Frau jetzt die Tür aufhalte, oder ob das jetzt
voll machomäßig rüberkommt. Die alten Rollen lösen sich zwar langsam auf,
aber ich sehe schon, dass Frauen noch mehrheitlich erwarten, dass ein Mann
erfolgreich ist und imstande, eine Familie zu ernähren. Überhaupt habe ich
das Gefühl, dass der Feminismus teilweise eine falsche Richtung einschlägt.
Wie meinen Sie das?
Na ja, viele Frauen meinen, sich wie Männer aufführen zu müssen. Sie wollen
sich so durchsetzen, wie Männer sich durchsetzen, dabei ist das total
scheiße. Diese ganze Ellbogengesellschaft, das Konkurrenzdenken –
eigentlich basiert der gesamte Kapitalismus auf den schlechtesten
Eigenschaften, die Männer so an den Tag legen. Nach dem Motto: Hauptsache,
ich, I don’t give a fuck. Und es gibt Frauen, die glauben, diese scheinbare
Stärke des Mannes sei jetzt der richtige Weg für die Frau. Dabei sollte es
umgekehrt laufen. Männer sollten sich an den rollentypischen Eigenschaften
der Frau orientieren. Wir brauchen nicht noch mehr Ellenbogen. Wir brauchen
Empathie, praktisches Mitdenken für andere, eine soziale Ader.
Auf „Kein Bock“ zeigen Sie sich weniger sozial. Da erzählen Sie von
nervigen Leuten, die einen auf Partys immer vollquatschen. Was ist denn der
Spruch, der Sie am meisten nervt?
Was mich momentan am meisten nervt, sind so Sachen wie: „Hey, ich hab
gehört, du machst ’ne neue Platte. Glaubst du, dass die abgeht?“ Das finde
ich echt schlimm. Aber so generell, wenn man im Club herumsteht, dann
kommen schon immer wieder dieselben Sprüche, die ich auch auf dem Song
erwähne. Da kommt dann irgend so ein Typ mit Alkoholfahne, legt seinen Arm
um meine Schulter, spuckt mir beim Reden ins Gesicht und fragt: „Wie geht’s
denn Jan?“ Noch schlimmer ist es, wenn er dann auch noch erzählt, was er
selbst so macht, dass er voll der gute Fotograf sei oder geile Beats mache.
In „Urlaub im Grünen“ wiederum geht es um die Abhängigkeit des Menschen v…
der digitalen Welt …
… nee, eigentlich geht es ums Kiffen.
Ach ja?
Ja, ich sage das an keiner Stelle explizit. Aber die Idee war es, einen
Kiffsong zu machen, ohne dass mein 12-jähriger Sohn darauf kommt, dass ich
kiffe. Das Kiffen ist für mich nämlich so ein Gegenentwurf zu dieser
Laptopwelt, in der wir alle gefangen sind. Überall piepst es andauernd,
ständig schauen wir auf Facebook, telefonieren, schreiben E-Mails und
vergleichen Klickzahlen. Man ist dauernd am Scrollen und kommt nicht zur
Ruhe. Abends fragt man sich dann plötzlich: Was habe ich heute eigentlich
gemacht? Keine Ahnung. Deshalb sollte man sich ab und zu mal gönnen, alles
abzuschalten und „Urlaub im Grünen“ zu machen. Sich auch mal ruhig sich
selbst und dem gegenwärtigen Moment zu widmen.
Der Titel Ihres Albums ist ein klassischer Hamburg-Begriff. Wie würden Sie
denn einem Außerirdischen erklären, was „derbe“ bedeutet?
Gute Frage. Was ist derbe? (Denkt eine Weile nach.) Ich glaube, ich würde
dem Alien einen Joint drehen, ihn kräftig daran ziehen lassen, mit ihm nach
Hamburg in die „Rote Flora“ gehen und richtig fette Bassmusik laufen
lassen. Dann würde ich ihn fragen, wie es ihm geht. Und er würde antworten:
„Derbe.“
Vielen Dank für das Interview.
Wollten wir nicht noch über Gedöns reden?
Haben wir doch: Kiffen, Frauen, Internet, Aliens …
Ach so, das ist alles Gedöns. Alles klar.
15 Apr 2015
## AUTOREN
Fatma Aydemir
## TAGS
Musik
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