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# taz.de -- Rap und Islam: Mutterficker und Dschihadisten
> Es sollte eine Diskussion sein. Doch während das Podium in der Berliner
> Berghain-Kantine nur Klischees reproduzierte, war das Publikum
> unterfordert.
Bild: Denis Cuspert alias Deso Dogg posiert 2005 in Berlin. Heute soll er beim …
BERLIN taz | Nach eineinhalb Stunden hat das Publikum genug. Das Mikrofon
geht herum. „Wer hat bitteschön so ein schlechtes Podium
zusammengestellt?“, fragt eine Frau und erntet Applaus. Auf der Bühne:
betroffene Gesichter von Diskussionsteilnehmern, die im Thema des Abends
nicht annähernd so bewandert sind wie ihre Zuhörer.
Dabei hatte die Veranstaltung am Mittwochabend durchaus Potenzial. Die
Polit-Rap-Show [1][Raputation.tv] lud in die Berliner Berghain-Kantine,
volles Haus. Junge Frauen in Baggypants und Turban saßen zwischen Jungs mit
Hornbrille und Bierflasche. Das Thema: „Rap und Islam“ – ein diskursives
Minenfeld, auf das sich nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo unter anderem
das Feuilleton der Zeit gestürzt hatte.
Es könne ja kein Zufall sein, so die Zeit-Argumentation, dass der
islamistische Attentäter Chérif Kouachi zu Jugendzeiten Rapper war.
Außerdem gebe es da auch noch den Berliner Rapper Denis Cuspert alias Deso
Dogg, der inzwischen in Syrien zum Pressesprecher des Islamischen Staats
aufgestiegen ist. Überhöhte Männlichkeit, Gewalt, Abkehr von den Werten der
Mehrheitsgesellschaft – so viele Gemeinsamkeiten zwischen Gangsta-Rap und
Dschihad. Da müsse doch eine Verbindung bestehen.
„Wenn die beiden Bäcker gewesen wären“, sagt ein smarter Kollege, der neb…
mir sitzt, „würden die heute über Islam und Backwaren sprechen?“ Auf dem
Podium kommen solche Überlegungen nicht zur Sprache. Überhaupt wird der
Islam erst sehr spät und auch nur ganz vorsichtig als Randnote erwähnt.
Moderator Ekrem Senol, Herausgeber des Migazin und selbsternannter „Otto
Normalverbraucher“, will erst mal völlig wertfrei wissen, ob HipHop
imstande sei, Jugendliche zu beeinflussen. Gähnen im Publikum.
## Ein eindimensionales Lebewesen
Immerhin haben zwei von sechs Diskutanten etwas mit Rap am Hut. Marcus
Staiger, Gründer des Plattenlabels Royal Bunker und Bushido-Biograf, nutzt
den Auftritt, um sich über die kleinbürgerlichen Ambitionen von
Gangsta-Rappern zu mokieren: „Da wird gehustlet, um am Ende der Mama ein
Haus im Grünen zu kaufen.“ Aha.
Jens „Spaiche“ Ihlenfeldt, Gründer von Aggro Berlin, darf beantworten,
warum die Künstler auf seinem einst so erfolgreichen Label häufig
frauenfeindliche und gewaltverherrlichende Texte schrieben. Er zuckt mit
den Schultern. „Weil’s Spaß gemacht hat.“ Klar, was soll er sagen.
Sineb El Masrar wiederum, Herausgeberin der Frauenzeitschrift Gazelle, gibt
offen zu, dass sie keine Ahnung hat. Aber vor dem Event habe sie ein paar
Videos des Rappers Farid Bang gesehen und dabei Grenzwertigkeiten
festgestellt, die sie nicht gerade stolz auf die gemeinsamen marokkanischen
Wurzeln machten: „In dem einen Lied geht es um das Begatten diverser
Mütter. Im anderen um den Traum, seiner Mama ein Ticket nach Mekka zu
finanzieren. Da frage ich mich schon, wie das zusammenpasst.“
Spätestens an dieser Stelle hätte sich eine Diskussion entfalten können,
über Widersprüche, Selbstinszenierungen, vielleicht sogar die Nation of
Islam. Aber nein. Begriffe wie „Kunstfigur“ fallen gar nicht erst. Der
Gangsta-Rapper ist am Mittwoch ein eindimensionales Lebewesen ohne
rhetorische Brechung. Der Dschihadist dagegen bleibt freundlicherweise
komplett abwesend. Migrantische Rapper werden zu muslimischen Rappern,
Unterschiede zwischen politischem Islam und Glaubensgemeinschaft spielen
keine Rolle.
„Ist denn jemand im Raum, der sich gleichzeitig als Muslim und als Rapper
identifiziert?“, fragt das überforderte Podium. Einer springt auf die
Bühne. Er spricht vom bösen Kapitalismus und seiner Dankbarkeit, Teil der
Schöpfung sein zu dürfen. Mutterfickende Straßenrapper sowie Dschihadisten,
das seien alles traurige Menschen, die sich auf dem falschen Weg befänden.
Eine fragwürdige Wortmeldung, doch immerhin wird kapiert, worum es geht.
Die geladenen Sprecher tun das bis zuletzt nicht.
9 Apr 2015
## LINKS
[1] http://raputation.tv/
## AUTOREN
Fatma Aydemir
## TAGS
Rap
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Neues Album
Juden
Schwerpunkt Rassismus
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Feuilleton
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