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# taz.de -- HipHop und Terror: Der Western von gestern
> Komplexitätsreduktion: Feuilletonisten erfinden einen „Pop-Jihad“ und
> damit eine allzu simple Erklärung für jugendliche Lust an der Gewalt.
Bild: Sieht aus wie im Knast, ist aber nur Pop: Wu-Tang Clan beim Musizieren.
Ein Gespenst geht um im deutschsprachigen Feuilleton. Es ist das Gespenst
des „Pop-Jihad“, der seit geraumer Zeit als Zuschreibung für islamistisch
geprägte Gewalt fungiert. Der Begriff wird einer Wirkmächtigkeit
aufgepfropft, die von grausamen Enthauptungsvideos ausgeht und den Fotos
von Klabautermännern, die in Tarnklamotten auf Pick-up-Trucks durch die
Wüste heizen.
Und weil solche Inszenierungen Jugendlichen auf der ganzen Welt das Gehirn
waschen, muss es mit Pop und seinem empirisch nicht näher bestimmten Wesen
zu tun haben, das die Attraktivität solcher Gewaltdarstellungen erklärt.
„Syrien als letzter Kick, das härteste Pop-Ding“, schreibt Moritz von Uslar
im Unteroffizierston in einer Titelstory im Feuilleton der Zeit. Er
bezeichnet „Krieg als cooles und romantisches Pop-Abenteuer.“ Wo sind
eigentlich die Poptheoretiker, wenn man sie braucht, um diesem
Bindestrich-Bullshit zu widersprechen?
Denn von Uslar setzt nicht nur die Vorstellungswelten aus aktuellen
HipHop-Videos in eins zum IS, er leitet auch eine Beziehung zwischen Pop
und Islamismus her, die es so nie gegeben hat, indem er sich zu der
Behauptung versteigt, es existiere „eine lange Geschichte zwischen
schwarzer Popkultur und dem radikalen Islamismus“. Dafür führt er wahllos
Namen von US-HipHop-Crews wie Public Enemy, Brand Nubian und Wu-Tang Clan
an, die in den Neunzigern den Black Muslims nahegestanden haben.
Das erste Missverständnis: Die Black Muslims sind keine Freischärler,
sondern eine minoritäre Graswurzelbewegung, die vor allem in Großstädten an
der US-Ostküste als Wohlfahrtsorganisation tätig ist. Von Uslar verwechselt
die Ästhetik und Militanz von Black Power nach 1968 mit der teils
kitschigen Spiritualität der Black Muslims.
## Black Muslims mit Räucherstäbchen
Zweitens, keiner der genannten HipHop-Künstler hat jemals kriegerische
Propaganda im Namen einer Sekte verbreitet. Ohnehin waren und sind die
Black Muslims von radikalen Auslegungen des Koran ungefähr soweit entfernt
wie südamerikanische Befreiungstheologen vom Alten Testament. In New York
beschränkt sich der Einfluss der Black Muslims bis heute auf den Verkauf
von Räucherstäbchen an U-Bahn-Stationen. Es geht bei den Black Muslims um
die Steigerung von Selbstbewusstsein, das als Spätfolge der Sklaverei in
den USA bei den Afroamerikanern verkrüppelt war.
Weder haben die Black Muslims bis jetzt Kämpfer für Kriege im Mittleren
Osten rekrutiert, noch wollen sie ein Kalifat auf amerikanischem Boden
errichten oder gar Frauen und Kinder versklaven. Der US-HipHop-Kritiker
William „Upski“ Wimsatt hat schon in den Neunzigern unter dem Eindruck
einer Rede des kontroversen Black Muslim Louis Farrakhan in Chicago
geschrieben, wenn Ideologen wie dieser antiweiße Ressentiments pflegen,
verstehen ihre schwarzen Zuhörer sehr wohl diese Bemerkungen als
unzulässige Zuspitzung.
Von Uslar aber verknüpft die Eskalation der Gewalt direkt mit einer
angeblich gesteigerten Gewaltbereitschaft, die bei Punk anfing und via
Rechtsrock direkt im Gangsta-HipHop unserer Tage münde. Dass
Vorstellungswelten und drastische Darstellungen im Pop von Anfang an
auftauchen, wird niemand bestreiten. Dass man aber für jede
Sekten-Gehirnwäsche HipHop-Videos und ihre Images verantwortlich machen
kann, ist grundsätzlich falsch.
Am Ende entsagt der Pop-Adlige vorsichtshalber auch seiner Lust am
Bindestrich. Von Uslars „Pop-Ästhetik von Kriegsbildern“ schmilzt
angesichts einer mit IS-Propagandamaterial aus Syrien angereicherten
Reportage des Boulevardmagazins Vice zu Bildern, die „schlicht unerträglich
sind“. Vielleicht hat das Spielerische des Pop als konstituierendes Element
der Freizeitgestaltung im Kinderzimmer angesichts des Reizes, den Terror
auf Jugendliche ausübt, einfach nur komplett versagt.
Denn eines ist sicher: In der prekären Existenz der malischen Band
Tinariwen, die von Salafisten bedroht wird, oder der drei marokkanischen
Teenager, denen fundamentalistische Landsleute den Tod wünschen, weil sie
auf Facebook Fotos eines Kiss-in gepostet haben, steckt empirisch
nachweisbar mehr Coolness als in jeder barbarischen Gewalttat des IS.
6 Feb 2015
## AUTOREN
Julian Weber
## TAGS
Feuilleton
Terrorismus
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„Islamischer Staat“ (IS)
IS-Miliz
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