# taz.de -- Pop und Terror in Manchester: Anfang und Ende der Kultur | |
> Das Anschlagsziel in Manchester ist auch symbolisch. Kaum etwas steht so | |
> sehr für Freiheit wie der Pop. | |
Bild: Singender Liam Gallagher: Pop ist Freiheit – daran wird auch der Terror… | |
Die Fotos sind vielsagend. Ein humpelndes Mädchen mit modisch löchrigen | |
Bluejeans wird von Rettungskräften aus dem Gebäude geführt. Ein Bein ihrer | |
Jeans abgeschnitten, die Wunde am Knie musste verbunden werden. Am Oberarm | |
Blut. Dann das junge Mädchen, vielleicht 14, mit den Häschenohren auf dem | |
Kopf. Es ist eines der Insignien, mit denen die Sängerin spielt, deren | |
Konzert sie besucht haben: Ariana Grande, US-Popsängerin und Teen-Idol. | |
Kreischende Teenies, das war mal der Ausgangspunkt von Pop, zum Beispiel | |
mit der Beatlemania. Kreischende Teenies, Heranwachsende, die [1][in Panik | |
und Todesangst aus Konzertsälen rennen], das soll nach dem Willen der | |
Terroristen auch der Endpunkt der Popkultur sein. | |
Wer jemals auf einem Teenie-Konzert gewesen ist mit seinem schier | |
unglaublichen Energielevel, dem Kreischen, wenn die Stars die Bühne | |
betreten, der großen Zuneigung, die ihnen aus dem Publikum von den Mädchen | |
und Jungen entgegengebracht wird, während sie singen und tanzen – der fühlt | |
mit den Menschen in Manchester, die gestern Abend kurz nach Ende des | |
Konzerts [2][von einem Selbstmordattentäter getötet oder verletzt wurden]. | |
In der Logik des Terrors ergibt ein solcher Anschlagsort brutalen Sinn. | |
Nichts ist den Attentätern und dem Totalitarismus, den sie vertreten, ein | |
größerer Dorn im Auge als westliche Pop- und Unterhaltungskultur: Junge | |
Menschen, die ihre Identität anhand von Rollenbildern suchen. Die Konflikte | |
symbolisch austragen. Die sich irren, sich ändern, sich ausprobieren | |
dürfen. Nach dem Bataclan in Paris, nach Orlando, nach Nizza und Berlin | |
handelt es sich auch bei der Manchester Arena und dem Teenpop-Konzert um | |
ein hochsymbolisches Ziel. Dass IS-Anhänger den Anschlag in sozialen | |
Netzwerken feierten, ehe Klarheit über die Täter herrschte, ist kein | |
Wunder. | |
Und auch Manchester, Heimat von Bands wie New Order, The Smiths, den | |
Buzzcocks und Oasis, ist ein symbolträchtiger Ort. Wer jemals in Manchester | |
gewesen ist, weiß, wie wichtig Pop den Mancunians ist. Pop hat dort eine | |
mehr als 70-jährige Tradition, Konzerte und Künstler werden dort wie | |
Feiertage und Aristokraten gefeiert. Liam Gallagher, ehemals Oasis-Sänger, | |
[3][schrieb in den sozialen Netzwerken]: „Total schockiert und absolut am | |
Boden zerstört wegen der Ereignisse in Manchester. Sende Liebe und Licht an | |
alle betroffenen Familien.“ | |
## Pop ist Manchesters Wahrzeichen | |
Die Briten sind generell treue Popfans, Popkultur ist in England | |
Volkskultur. In Manchester ist Pop elementar. Stadt und Umland sind nicht | |
besonders pittoresk, die Ruinen der alten Industriestadt, Eisenbahnviadukte | |
und stillgelegte Fabrikhallen kennzeichnen noch immer das Stadtbild, genau | |
wie Bombenkrater, verursacht durch Hitlers Luftwaffe im Zweiten Weltkrieg. | |
Orte der Popkultur dagegen, wie jene Stelle, an der einst der Club | |
„Hacienda“ lag, gelten heute als Wahrzeichen. | |
Denn Musik und Konzerte garantieren den BewohnerInnen Manchesters auch eine | |
Atempause von der Geschäftigkeit, dem Arbeitsethos, dem bescheidenen | |
Wohlstand. Für Teenies sind sie noch mehr: Orte der Sinnsuche, der | |
sexuellen Annäherung und Selbstwahrnehmung, des Flüggewerdens. Orte | |
freiheitlicher Kultur. | |
23 May 2017 | |
## LINKS | |
[1] /Terror-in-Manchester/!5412304 | |
[2] /Anschlag-in-Manchester/!5412267 | |
[3] https://twitter.com/liamgallagher | |
## AUTOREN | |
Jens Uthoff | |
Julian Weber | |
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