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# taz.de -- Fotos von Anschlagsopfern: Traurige Berühmtheit
> Britische Zeitungen titelten mit dem Bild des jüngsten Opfers. Auch
> manche KommentatorInnen schießen übers Ziel hinaus.
Bild: Die Titelseiten britischer Zeitungen am Tag nach dem Anschlag
Auf den Titelseiten sämtlicher britischen Tageszeitungen – mit Ausnahme der
Financial Times – war am Mittwoch das Foto eines achtjährigen Mädchens zu
sehen, die zu den Todesopfern des Anschlags auf ein Popkonzert am
Montagabend in Manchester gehört.
In Deutschland gilt es als Tabu, Fotos von Opfern abzubilden, auch bei der
taz. Für britische Medien scheint das nicht zu gelten. Liegt es an
kulturellen Unterschieden? An einem anderen Auslegung des Pressekodex?
„Nein“, sagt Fiona Shields, die Fotochefin der britischen Tageszeitung The
Guardian, „aber die Manchester Attacke war ein ungewöhnlicher
Ausnahmefall.“ Am Dienstag, unmittelbar nach dem Anschlag, hätten mehrere
Familien verzweifelt nach ihren Angehörigen und Kindern gesucht, erklärt
Shields. Dabei hätten sie sich an die Medien gewandt, aber auch über
Facebook und Twitter die Bilder ihrer Liebsten veröffentlicht.
“Wir beim Guardian wollten natürlich dabei helfen und verbreiteten diese
Fotos weiter“, sagt Shields. Auch andere Medien taten dies, und auch auf
den Fernsehkanälen sah man Angehörige mit Hilferufen und Fotos.
Zustimmung der Familien
Als sich im Laufe des Tages dann herausgestellt habe, dass einige dieser
Menschen zu den Opfern des Anschlags gehörten, waren die Bilder bereits
öffentlich und wurden auch weiterhin von den Medien verwendet, erklärt
Shields.
Für den Guardian müsse in einem solchen Fall sichergestellt sein, dass die
Veröffentlichung mit der Zustimmung der Familien geschieht. Eine
Veröffentlichung ohne Zustimmung widerspräche der Medienethik – auch in
Großbritannien.
Ob aber auch andere britische Medien so vorsichtig seien, mag Shield nicht
beurteilen. Fest steht aber: Auch nach dem Anschlag von 2005 hatten
britische Zeitungen Bilder von Opfern gezeigt.
Berichten zufolge wurden zudem die Häuser von den Familien und Freunden der
22 Opfer von Reportern belagert. Auch online sei ihnen nachgestellt worden,
heißt es. Ein Journalist der Sun wurde von vier Mädchen bis zu seinem Auto
verfolgt, nachdem er an Haustüren in Manchester geklopft und um Statements
gebeten hatte.
Medien verstärken Trauma
Ein User, der nach eigener Auskunft vor vier Jahren in einen Terroranschlag
verwickelt worden war, twitterte, dass sein Trauma damals durch die Medien
verstärkt worden sei. „Angesichts des Terrors leiden die Menschen, aber sie
sind stark“, schrieb er. „Die Medien könnten helfen, statt zu
traumatisieren.“
Auch Forderungen nach drastischen Maßnahmen ließen nach dem Anschlag nicht
lange auf sich warten. So twitterte die Mail-Kolumnistin Katie Hopkins:
„Wir brauchen eine Endlösung.“ Selbst wenn sie keine Ahnung vom Holocaust
habe, schrieb der Guardian-Journalist Nick Cohen daraufhin, so könne ihre
„Endlösung“ nur „ethnische Säuberung“ bedeuten.
Als die Polizei Ermittlungen gegen Hopkins aufnahm, dämmerte der
Kolumnistin offenbar, was sie geschrieben hatte und schrieb eine Korrektur.
Statt „Endlösung“ heißt es nun „echte Lösung“.
Und Allison Pearson, die Kolumnistin des Daily Telegraph, forderte: „Wir
müssen tausende Terrorverdächtige internieren, um unsere Kinder zu
schützen.“ Das hatte die britische Regierung Anfang der siebziger Jahre in
Nordirland mit mutmaßlichen Mitgliedern der Irisch-Republikanischen Armee
(IRA) gemacht. Die Sache ging nach hinten los, denn die Maßnahme, die
wahllos gegen Katholiken angewendet wurde, bescherte der IRA erheblichen
Zulauf.
Hass und eingeschlagene Köpfe
Ignorieren könne man Hopkins und Pearson dennoch nicht, kommentierte
daraufhin Hugh Muir vom Guardian. „Wir wissen, was passiert, wenn
diejenigen mit dem Megafon die Wut anstacheln und Spannungen schüren“,
schrieb er.
„Nach der giftigen Debatte über das Brexit-Referendum stieg die
Hasskriminalität um 41 Prozent. Es fängt mit denen an, die ihr Recht in
einer freien Gesellschaft missbrauchen und vorsätzliche Hetzkommentare
absondern; es endet mit eingeschüchterten, zersplitterten Gemeinden und
eingeschlagenen Köpfen.“
24 May 2017
## AUTOREN
Daniel Zylbersztajn
Ralf Sotscheck
## TAGS
Manchester
Anschlag
Medienethik
Schwerpunkt Islamistischer Terror
Manchester
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„Islamischer Staat“ (IS)
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