| # taz.de -- Prävention gegen Radikalisierung: Die Frage nach dem Wie | |
| > Die Regierung will verstärkt gegen die Radikalisierung junger Muslime | |
| > vorgehen. Doch wie kommt man an sie ran, bevor es zu spät ist? | |
| Bild: Anhänger jubeln in der Innenstadt von Frankfurt am Main dem salafistisch… | |
| Mainz/Düsseldorf/Berlin taz | Normalerweise gibt Hatice Schmidt | |
| Beauty-Tipps. Fast 100.000 Zuschauerinnen haben ihren YouTube-Kanal | |
| abonniert, in den Videos geht es mal um ein dramatisches Augen-Make up, mal | |
| um den perfekten Einsatz von Puder oder Highlighter. Dieses Mal aber | |
| behandelt sie ein ganz anderes Thema. | |
| „Hi, Leute“, sagt Hatice Schmidt, lange dunkle Haare, große Brille, „heu… | |
| möchte ich mit euch über den Islam sprechen.“ Von Terrorismus, Salafismus | |
| und Dschihad sei derzeit viel die Rede, aber das könne doch nicht alles | |
| sein. Hatice Schmidt, 29 Jahre alt, selbst Muslima, und ihr Comic-Ich | |
| begeben sich auf die Suche nach der Umma, der islamischen Gemeinschaft. Ihr | |
| Fazit nach gut drei Minuten Video: Diese Gemeinschaft sei so vielfältig wie | |
| die Menschheit selbst. | |
| Thomas Krüger hat das Video an die Wand werfen lassen. Der Chef der | |
| Bundeszentrale für politische Bildung steht an einem Pult im großen Saal | |
| des Mainzer Schlosses, das Bundeskriminalamt hat zur Herbsttagung geladen. | |
| 600 Gäste sind gekommen, Polizisten, Justizbeamte, Politiker, auch | |
| Bundesinnenminister Thomas de Maizière ist dabei und Verfassungsschutzchef | |
| Hans-Georg Maaßen. Das Thema: Prävention gegen islamistischen Terrorismus. | |
| Am Morgen hat BKA-Chef Holger Münch eine nationale Präventionsstrategie | |
| gefordert. Es ist der Mittwoch der vergangenen Woche, die Anschläge in | |
| Paris sind gerade fünf Tage her, am Abend zuvor wurde das | |
| Freundschaftsspiel zwischen Deutschland und den Niederlanden in Hannover | |
| kurzfristig abgesagt. Terrorgefahr. | |
| ## Das Gegenangebot zu Pierre Vogel | |
| Die Bundeszentrale hat Schmidts Video finanziert, als Teil einer ganzen | |
| Reihe über „Begriffswelten Islam“. [1][Einen Clip über das Kalifat mit dem | |
| YouTube-Star LeFloid], der fast 3 Millionen Abonnenten hat, gibt es | |
| bereits. „Jugendliche sollen motiviert und befähigt werden, mündig, | |
| kritisch und aktiv an den Debatten zum Thema Islam teilzuhaben und sich | |
| eine eigene Meinung zu bilden“, sagt Krüger. Für ihn ist das eine Maßnahme | |
| gegen die Ausbreitung extremistischer Ideologie. Und damit wohl auch ein | |
| Gegenangebot zu Pierre Vogel und dem Verein „Die wahre Religion“, die die | |
| bekanntesten salafistischen Seiten im Netz betreiben. | |
| Die Täter der Pariser Anschläge sind zum großen Teil Europäer. Junge | |
| Männer, die in Frankreich und Belgien aufgewachsen sind, sich dort | |
| radikalisierten. Einige von ihnen zogen in den Dschihad nach Syrien und | |
| kehrten im Auftrag der Terrormiliz „Islamischer Staat“ zurück. Gemeinsam | |
| töteten sie 130 Menschen und verletzten viele weitere schwer. Ein Anschlag, | |
| da sind sich die Sicherheitsbehörden einig, könnte auch in Deutschland | |
| geschehen. | |
| Deshalb schauen sie mit Sorge auf die sogenannten islamistischen Gefährder, | |
| auf die Ausreisen mit dem heiligen Krieg und die Rückkehrer. Und auf die | |
| salafistische Szene, die stetig wächst. Auch, wenn nicht alle Salafisten | |
| gewaltbereit sind. Dort, wo ein vermeintlich ursprünglicher Islam gepredigt | |
| wird, liegt das Rekrutierungspotenzial der Dschihadisten. Die Frage ist: | |
| Wie kommt man an diese Leute ran, bevor es zu spät ist? | |
| Den Sicherheitsbehörden ist inzwischen klar: Um Anschläge zu verhindern und | |
| den Salafisten ihre Attraktivität für junge Menschen zu nehmen, braucht es | |
| mehr als Polizei und Justiz. Vielleicht können ja Videoclips zumindest | |
| einen kleinen Beitrag leisten, und zwar schon zu einem Zeitpunkt, in dem | |
| der Terror noch weit entfernt scheint. | |
| ## Wie viele Projekte es gibt, kann niemand sagen | |
| Vierzehn Jahre nach 9/11 steht die Prävention gegen islamistische | |
| Radikalisierung in Deutschland noch am Anfang. Eine Gesamtstrategie gibt es | |
| nicht, stattdessen einen Flickenteppich an Angeboten, weitgehend | |
| unkoordiniert, oft schlecht finanziert und überfordert. | |
| Wie viele Projekte es bundesweit gibt, kann niemand sagen. Einige wenige | |
| bekommen Geld vom Bundesinnenministerium, deutlich mehr aus dem | |
| Jugendressort. Die Prävention in Deutschland, urteilt der renommierte | |
| Terrorismusforscher Peter Neumann vom Londoner King’s College, sei „Kraut | |
| und Rüben“. | |
| „Es wurde viel Zeit vertan“, sagt die Kriminalistin Wiebke Steffen. Der | |
| salafistische Prediger Pierre Vogel füllte bereits öffentliche Plätze, | |
| junge Männer zogen von Deutschland aus in den Dschihad, aber viele | |
| Politiker verkannten oder ignorierten die Gefahr. Bei den Ursachen der | |
| Radikalisierung stochere man noch immer im Nebel, so Steffen, und die | |
| Arbeit sei oft „wenig professionell“. Dabei ist in der Prävention die | |
| Gefahr groß, durch Fehler das Problem zuzuspitzen. | |
| Erst im vergangenen Jahr haben die ersten Bundesländer Präventionsprogramme | |
| aufgelegt, Hessen etwa und Nordrhein-Westfalen. Einige Kommunen engagieren | |
| sich, manche erst, nachdem viele junge Männer und Frauen von dort nach | |
| Syrien ausreisten. | |
| ## Drei Stufen der Prävention | |
| Prävention findet auf unterschiedlichen Ebenen statt. Experten | |
| unterscheiden zwischen der universellen Prävention, die sich wie die Videos | |
| der Bundeszentrale an keine bestimmte Gruppe richtet. Das Ziel: sie | |
| gegenüber radikalen Ideologien zu sensibilisieren. Die zweite Stufe, die | |
| selektive Prävention, zielt auf jene, die bereits ein Risiko aufweisen, bei | |
| der dritten Stufe spricht man von Deradikalisierung. | |
| Ufuq ist ein Träger aus Berlin-Neukölln, den zwei Islamwissenschaftler 2007 | |
| gegründet haben. Sein Ziel: nicht mehr über die „Einbürgerung des Islam“ | |
| diskutieren, sondern diese gestalten. Inzwischen wird Ufuq – „Horizont“ a… | |
| Arabisch – bundesweit als Ansprechpartner für die pädagogische Arbeit zu | |
| den Themen Islam, Islamfeindlichkeit und Islamismus geschätzt – und rege | |
| angefragt. Meist kommen die E-Mails oder klingelt das Telefon, wenn es | |
| Probleme gibt. | |
| Wie wollen wir leben?, lautet die Leitfrage, mit der Ufuq-TeamerInnen, oft | |
| selbst mit muslimischem Hintergrund, in Schulklassen oder | |
| Jugendeinrichtungen gehen. Je nach Zusammensetzung der Jugendlichengruppe | |
| wird das Konzept modifiziert. Filme zu Themen wie Scharia und Grundgesetz, | |
| Islamfeindlichkeit oder Geschlechterrollen stoßen die Diskussion an. Wie | |
| wollen Mädchen und Jungen zusammenleben? Ist es richtig, dass Mädchen | |
| weniger dürfen als Jungen? Und welche Rolle spielt dabei die Religion? Über | |
| solche Fragen wird dann diskutiert. | |
| „Wir geben den Jugendlichen Raum, über ihre Vorstellungen von | |
| Zugehörigkeit, Identität und Religion zu sprechen“, sagt Götz Nordbruch, | |
| einer der beiden Ufuq-Gründer. Das seien Fragen, die viele umtreiben – und | |
| auf die sie oft keine Antworten fänden. Weder bei den Eltern noch in der | |
| Moschee oder der Schule. „In Städten wie Berlin, Hamburg oder Bremen sind | |
| viele Lehrer nicht bereit, religiöse Themen aufzugreifen, weil sie eine | |
| klare Trennung zwischen Schule und Religion wollen“, sagt Nordbruch. Doch | |
| die Jugendlichen beschäftige der Islam, und zwar oft gar nicht, weil sie | |
| religiös seien, sondern als Frage ihrer Identität. Jugendliche, die sich | |
| damit auseinandersetzen, sagt Nordbruch, seien weniger anfällig für die | |
| einfachen Weltbilder der Salafisten. | |
| ## Benachteiligung? Diskriminierung? Fehlende Bildung? | |
| Lange musste sich Ufuq von Projekt zu Projekt hangeln, immer in Sorge um | |
| die weitere Finanzierung. Seit diesem Jahr bekommt der Verein – wie 26 | |
| andere Träger – strukturelle Förderung aus dem Bundesjugendministerium. | |
| Fünf Jahre lang. „Ein echte Erleichterung“, sagt Nordbruch. | |
| Insgesamt gibt das Ministerium im Rahmen des Programms „Demokratie leben!“ | |
| in diesem Jahr 5,8 Millionen Euro für Prävention gegen islamistischen | |
| Extremismus aus, in den Jahren zuvor waren es durchschnittlich 2 Millionen. | |
| Im kommenden Jahr werden es 7,5 Millionen Euro sein. | |
| Ufuq, so der Arbeitsauftrag, soll wissenschaftliche Erkenntnisse in die | |
| pädagogische Praxis überführen. Allerdings sind diese rar gesät. Michael | |
| Kiefer ist Islamwissenschaftler an der Uni Osnabrück, seit vielen Jahren | |
| ist er sowohl in der Wissenschaft als auch in der Jugendarbeit aktiv. | |
| Letztlich, sagt er, wisse man wenig darüber, wie islamistische | |
| Radikalisierung wirklich ablaufe – und wo Prävention sinnvoll ansetzen | |
| kann. „Da gibt es viele ungedeckte Behauptungen, nur wenig ist | |
| wissenschaftlich wirklich belegt.“ Dann zählt er auf: soziale | |
| Benachteiligung? Diskriminierung? Fehlende religiöse Bildung? Das könne | |
| alles eine Rolle spielen. Für jeden dieser Faktoren lassen sich aber auch | |
| Gegenbeispiele finden. | |
| Das Jugendministerium fördert jetzt einen Forschungsverbund, an dem das | |
| Institut für Islamische Theologie an der Uni Osnabrück, das Institut für | |
| Interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Uni Bielefeld und | |
| das Deutsche Jugendinstitut beteiligt sind. Wie radikalisieren sich | |
| Menschen? Wie kann dieser Prozess unterbrochen oder gar umgedreht werden? | |
| Solchen Fragen wollen sie nachgehen. Die Bielefelder um Professor Andreas | |
| Zick untersuchen dafür Gerichtsakten. Die Osnabrücker, darunter Kiefer, | |
| befragen Leute aus Dinslaken-Lohberg, die sich entweder selbst | |
| radikalisiert haben oder mit Radikalisierten verwandt oder befreundet sind. | |
| Und das Deutsche Jugendinstitut macht Interviews. Die ersten Ergebnisse | |
| sollen im Frühjahr 2017 vorliegen. | |
| Ufuq hat inzwischen zehn Mitarbeiter auf sechseinhalb Stellen, gerade hat | |
| der Träger ein zweites Büro in Augsburg eröffnet, von dort sollen im | |
| Auftrag der bayerischen Landesregierung Einrichtungen vor Ort beraten und | |
| vernetzt werden: Schulen und Jugendeinrichtungen, aber auch | |
| Wohlfahrtsverbände und die Polizei. Dabei gehe es nicht nur um die Arbeit | |
| mit jungen Leuten, sondern auch um Veränderungen in den Institutionen | |
| selbst, sagt Nordbruch. | |
| ## „Ich bin kein Salafist mehr“ | |
| Dominic Schmitz, 28, graues Sweatshirt, gegelte Haare, gestutzter | |
| Backenbart, ist nicht im Auftrag eines staatlich geförderten Trägers | |
| unterwegs, sondern in eigener Mission. Er guckt direkt in die Kamera, | |
| hinter ihm hängt ein schwarz-weißes Fotoposter mit dem immer gleichen | |
| Frauenmund an der Wand, nur die Lippen sind in verschiedenen Knallfarben | |
| geschminkt. [2][“Ich bin kein Salafist mehr“, sagt Schmitz ruhig in dem | |
| YouTube-Video, „aber ich bin immer noch Muslim.“] Seinen Glauben, sein | |
| Denken, sein Handeln, all das wolle er sich nicht mehr von Anderen | |
| vorschreiben lassen. | |
| Schmitz ist mit 17 zum Islam konvertiert und als Musa Almani schnell in die | |
| salafistische Szene gerutscht. Er war die rechte Hand des Predigers Sven | |
| Lau, der wie er aus Mönchengladbach stammt. Mit Pierre Vogel ist Schmitz | |
| nach Mekka gepilgert. Es gibt ein Video, in dem Vogel ihn zu seiner | |
| Konversion befragt, ins Netz gestellt als Beleg der erfolgreichen | |
| Missionsarbeit. Schmitz trägt ein traditionelles Gewand und eine | |
| Gebetsmütze, er ist gerade 18 Jahre alt. „Ich bin so glücklich wie noch nie | |
| in meinem Leben“, sagt er. | |
| „Ich hab Antworten gegeben wie auswendig gelernt“, so sieht es Schmitz | |
| heute. | |
| Er warnt nun mit YouTube-Clips vor seinen alten Gefährten. Seine Videos | |
| sind eine Mischung aus Predigt und Pop. Mal spricht er nüchtern, mal rappt | |
| er, mal verkleidet er sich, um in verschiedene Rollen zu schlüpfen. Er | |
| weiß, was die Salafisten so attraktiv für junge Leute macht: die | |
| Orientierung, die Gemeinschaft, der Sinn, das Gefühl, besser zu sein. „Das | |
| hat mich sehr erhöht“, sagt er. „Ich hatte damals wenig Selbstbewusstsein.… | |
| ## Leute, lasst das sein! | |
| Irgendwann aber habe er sich „wie ein Roboter gefühlt“. Langsam hat er sich | |
| dann von der Szene gelöst. Einer der Schlüsselmomente dabei: als einer | |
| seiner Freunde nach Syrien in den Dschihad zog. Gewalt passt für ihn nicht | |
| zum Islam. Schmitz tritt auch auf Fortbildungen für PädagogInnen und in | |
| Schulklassen auf. Ein Glücksfall für die Prävention. | |
| Ein echter Joker sind Aussteiger, die noch weiter gegangen sind als | |
| Schmitz. Ein verurteilter Extremist etwa, der in der Szene glaubwürdig ist | |
| und sagt: Leute, lasst das sein! Ich hab da einen schweren Fehler gemacht. | |
| In England gibt es solche Aussteiger bereits, in Deutschland hat man mit | |
| Nazi-Aussteigern gute Erfahrungen gemacht, nach einem islamistischen suchen | |
| die Sicherheitsbehörden seit Langem. Ebrahim B., der derzeit in Celle vor | |
| Gericht steht, könnte ein solcher Joker werden. | |
| B., 26, ist einer von mindestens 20 jungen Männern, die seit 2013 von | |
| Wolfsburg nach Syrien ausgereist sind. Ein Anwerber des IS hatte sie | |
| rekrutiert. | |
| B. soll sich laut Anklage von Anfang Juni bis Ende August 2014 dem | |
| „Islamischen Staat“ angeschlossen haben und bereit gewesen sein, als | |
| Selbstmordattentäter zu sterben. Irgendwann aber setzte er sich ab. Direkt | |
| nach seiner Festnahme will B. angeboten haben, gegen den IS auszusagen. | |
| Noch vor Prozessbeginn hat er Journalisten ein Interview gegeben, die ARD | |
| hat es ausgestrahlt. B. ist der erste Rückkehrer, der öffentlich und | |
| ausführlich über seine Zeit bei der Terrorgruppe spricht, von der | |
| Gewalttätigkeit und Grausamkeit des IS berichtet. Er wolle andere davon | |
| abzuhalten, sich dem IS anzuschließen, sagt B. Vermutlich erhofft er sich | |
| auch eine geringere Strafe. Das Urteil soll Ende des Jahres fallen. | |
| ## Dezentrale Organisation der Präventionsarbeit | |
| Kiefer, der Islamwissenschaftler aus Düsseldorf, würde sich freuen, | |
| jemanden wie B. für seine Arbeit zu gewinnen. Wichtiger für ihn ist aber | |
| die Art und Weise, wie die Präventionsarbeit organisiert ist: dezentral, so | |
| wie „Wegweiser“, das nordrhein-westfälische Programm. Kiefer ist im | |
| Vorstand von Wegweiser Düsseldorf, einem der ersten vier Standorte, an vier | |
| weiteren wird derzeit gearbeitet. „Du musst die Akteure vor Ort kennen, | |
| damit es funktioniert“, sagt er. | |
| In Fortbildungen versorgt Wegweiser Lehrer und Sozialarbeiter mit dem | |
| notwendigen Wissen und dem Handwerkszeug. Fällt den Pädagogen bei einem | |
| Jugendlichen etwas auf, können sie sich an die Beratungsstelle wenden. | |
| „Manche Lehrer reagieren lange gar nicht, andere gleich sehr hysterisch“, | |
| sagt Kiefer. | |
| Am Anfang müsse also eine solide Recherche stehen: Was ist wirklich | |
| passiert? Hat sich das Verhalten des Jugendlichen verändert? Ist es eine | |
| besorgniserregende Entwicklung? Kiefer und seine Kollegen beraten, | |
| durchführen müssten den Prozess aber die jeweiligen LehrerInnen und | |
| SozialarbeiterInnen. „Prävention muss Teil des regulären pädagogischen | |
| Handelns werden“, sagt Kiefer. | |
| Liegt bereits eine Radikalisierung vor, steigen die Fachleute von Wegweiser | |
| stärker ein. Einbezogen werden stets alle, die notwendig sind: Eltern und | |
| Geschwister, Lehrer und Sozialarbeiter, Freunde, der Fußballtrainer, der | |
| Imam. Die Sicherheitsbehörden? „Nur, wenn es um Straftaten geht“, so | |
| Kiefer. | |
| ## Alternativen anbieten | |
| Vieles davon sei klassische Sozialarbeit, die von Profis gemacht werden | |
| müsse, sagt Kiefer. „Das ist nichts für Amateure, da hast du schnell viel | |
| falsch gemacht und damit die Entwicklung verstärkt.“ Ein Beispiel: An einer | |
| Schule haben Schüler Flyer verteilt, wie sich muslimische Jungen und | |
| Mädchen zu kleiden und zu verhalten haben. Manchen ihrer MitschülerInnen | |
| passte das nicht. Irgendwann kamen die Schüler im traditionellen Gewand und | |
| mit Gebetsmützen, was die Schulleitung ihnen untersagte. Das Ergebnis: Die | |
| Schüler, die die Jungen vorher kritisiert hatten, unterstützten sie jetzt. | |
| Sie hatten das Gefühl, die Schule wende sich gegen den Islam. Die Schule | |
| erreichte also das Gegenteil von dem, was sie wollte. | |
| „Wenn du jemanden aus der Szene rauslösen willst, musst du Angebote | |
| machen“, sagt Kiefer. „Der verliert mit einem Schlag sein bisheriges Leben | |
| und wahrscheinlich alle seine Freunde.“ Es ist eine intensive Arbeit, bei | |
| der eine Bindung entstehen muss. Der Sozialarbeiter trifft sich über Monate | |
| zwei- bis dreimal in der Woche mit dem Betroffenen, Kollegen helfen bei der | |
| Suche nach einer Wohnung oder einem Ausbildungsplatz. | |
| Das Violence Prevention Network (VPN) ist einer der großen Player in der | |
| Islamismus-Prävention, 50 feste MitarbeiterInnen, dazu freie. Thomas Mücke | |
| ist einer der beiden Geschäftsführer. Der 56-Jährige, ein hochgewachsener | |
| Mann mit kahlem Schädel, weiß, wovon er spricht. Seit 1989 arbeitet er mit | |
| radikalisierten Jugendlichen, zunächst mit Rechtsextremen, seit 2007 auch | |
| mit Islamisten. | |
| Bei der bundesweiten Hotline für Angehörige, die seit 2012 beim Bundesamt | |
| für Migration und Flüchtlinge geschaltet ist und vom Innenministerium | |
| bezahlt wird, ist VPN eine der vier Beratungsstellen, an die die | |
| Anruferinnen und Anrufer weitervermittelt werden. | |
| Menschen wie Marlies Peter, die in Wirklichkeit anders heißt. Sie hatte | |
| schon lange Veränderungen bei ihrem 16-jährigen Sohn beobachtet. Erst | |
| konvertierte er zum Islam, dann zog er sich von seinen Freunden zurück, | |
| immer häufiger war er auf islamistischen Websites unterwegs. Mit der Mutter | |
| gab es zunehmend Streit. Als er eines Tages verschwunden war, rief Peter | |
| bei der Hotline an. Sie fürchtete, ihr Sohn könne nach Syrien ausgereist | |
| sein. „Das ist ein ganz typischer Fall“, sagt Mücke, der die Geschichte der | |
| Peters leicht verändert erzählt, damit sie nicht identifizierbar ist. | |
| ## Die Rückkehr ins normale Leben | |
| VPN übernahm die Betreuung der Familie. Irgendwann meldete sich der Sohn | |
| aus Syrien, er war fertig, wollte zurück. Gemeinsam mit den Eltern plante | |
| VPN jeden Schritt. Der Junge floh schließlich in die Türkei, wo die Eltern | |
| ihn abholten. Jetzt arbeitet VPN daran, ihn von extremistischer Ideologie | |
| und Gewaltbereitschaft abzubringen, seine Zweifel an dem geschlossenen | |
| Weltbild der Salafisten zu verstärken. Das Ziel: die Rückkehr ins normale | |
| Leben. | |
| Eine Stelle für die Angehörigenarbeit wird vom Bundesinnenministerium | |
| finanziert, sie soll von Frankfurt aus den ganzen Südwesten der Republik | |
| abdecken. Der Bremer Verein Kitab ist mit zwei halben Stellen für ganz ganz | |
| Norddeutschland zuständig. | |
| Insgesamt 136 Angehörige hat VPN in diesem Jahr betreut, jede Woche kommen | |
| neue Fälle hinzu. Machbar sei das nur, sagt Mücke, weil VPN seit dem | |
| vergangenen Jahr in Hessen zugleich das „Präventionsnetzwerk gegen | |
| Salafismus“ betreibe. | |
| Seitdem machen die Mitarbeiter alles vom Schulworkshop bis zur | |
| Deradikalisierungsarbeit mit verurteilten Syrienrückkehrern im Gefängnis. | |
| In diesem Jahr hat VPN auch das Berliner Landesprogramm übernommen, Bayern | |
| und Baden-Württemberg könnten bald folgen. Findet man bei einer so | |
| schnellen Expansion überhaupt genug geeignetes Personal? Mücke nickt. Dank | |
| der langjährigen Erfahrung sei VPN gut vernetzt. Andere sind da | |
| skeptischer. Beim Verein Ufuq etwa heißt es, es sei derzeit schwierig, | |
| geeignete BewerberInnen für eine freie Stelle zu finden. | |
| Wie Kiefer und Nordbruch hält auch Mücke von einer nationalen | |
| Präventionsstrategie nicht viel, notwendig aber sei ein Fachaustausch auf | |
| Bundesebene. Und zwar dringend. Mücke weiß: Beim Kampf gegen den | |
| Rechtsextremismus dauerte es über zehn Jahre, bis man von einer | |
| funktionierenden Prävention sprechen konnte. Diese Zeit haben wir jetzt | |
| nicht. | |
| 29 Nov 2015 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.youtube.com/watch?v=1D0j70BwjbM | |
| [2] https://www.youtube.com/watch?v=wDr7CuXwTFY | |
| ## AUTOREN | |
| Sabine am Orde | |
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