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# taz.de -- Radikalisierung: „Sie fühlten sich abgelehnt“
> Der Bremer Kriminalwissenschaftler Daniel Heinke erforscht, wie
> Terroristen sich in Deutschland radikalisieren.
Bild: Deutscher Dschihadist in einem Propagandavideo von 2009.
taz: Herr Heinke, wie wird jemand, der in Deutschland aufgewachsen ist, zum
islamistischen Terroristen?
Daniel Heinke: Ich würde in aller Vereinfachung drei wesentliche Phasen
ausmachen: Es beginnt mit der Unzufriedenheit, sozial nicht dazuzugehören.
Das kann eingebildet, aber auch eine tatsächliche Ablehnungserfahrung sein.
So empfinden viele ...
... und natürlich wird fast niemand von denen Terrorist. Andererseits
ergeben die bisherigen Auswertungen über Terroristen, dass praktisch alle
eine solche Phase durchmachten – obwohl es manchen materiell sehr gut ging.
Darauf folgt die ideologische Formung: Man sucht eine Erfüllung, die nicht
selten religiösen Charakter hat – ob im Islam, Christentum oder Buddhismus
– um irgendwo dazuzugehören. Islamistische Gruppen nutzen das aus.
Was macht sie erfolgreich?
Das klare Schwarz-Weiß-Denken: Insbesondere beim extremistischen
Salafismus wird ein Abwehrkampf gegen „die Ungläubigen“ und „den Westen�…
gepredigt. Es ist kein Automatismus, aber: Wer diese extreme Überzeugung
angenommen hat, kann zu Gewalttaten mobilisiert werden. Sehr häufig gibt es
einen Anstoß von außen: die Ansage, dass es nun Zeit sei, sich am Kampf zu
beteiligen.
Wo findet der erste Kontakt zu islamistischen Gruppen statt?
Schulen sind dafür ein beliebter Ort, weil Teenager noch beeinflussbarer
sind und zu einer Risikofolgenabschätzung noch nicht so fähig sind. Aber
die Radikalisierung findet auch an vielen anderen Orten statt.
Auch in den Moscheen?
In Deutschland ist das eher die Ausnahme. In Bremen haben wir allerdings am
Beispiel des Kultur- und Familienvereins gesehen, dass ein solcher Ort der
zentrale Nukleus für eine Radikalisierung sein kann.
Bremens Innensenator hat den Verein 2014 verboten. Was hat das gebracht?
Wir hatten davor in sehr kurzer Zeit einen starken Anstieg von
Unterstützern des sogenannten „Islamischen Staates“, die nach Syrien und
den Irak ausgereist sind und die wir diesem Verein zugeordnet haben. Seit
dem Verbot gab es in Bremen nur noch vereinzelte Fälle.
Wie bewerten Sie die islamistische Missionierung vor Flüchtlingsheimen?
Die Menschen, vor allem aus Syrien, flüchten ja teilweise vor dem
„Islamischen Staat“ und sind dann eher wenig empfänglich. Was man aber
nicht unterschätzen sollte: Wenn man den Menschen nicht das Gefühl gibt,
dass sie an der Gesellschaft teilhaben können, werden sie empfänglich für
eine Unzufriedenheit. Die führt bei den allermeisten nicht zu
extremistischem Verhalten, aber ist der Nährboden, auf dem Agitatoren
versuchen, einzelne Personen heranzuziehen. Wir müssen deshalb die
Integration massiv befördern, sie ist auch sicherheitspolitisch von großer
Bedeutung.
Welche Gegenstrategien haben die Sicherheitsbehörden?
Es lohnt sich, extremistische Personen zu beobachten. Gleichzeitig muss man
gegen allgemeine kriminelle Strukturen vorgehen – wer Leute erschießen
möchte, braucht eine Schusswaffe. Extremismus-Bekämpfung ist aber auch ein
Aufgabe von politischer Bildung: Es muss ein Gegennarrativ zum Islamismus
etabliert werden.
Wie meinen Sie das?
Wer sich im Internet über den Islam informieren will, stößt schnell auf
extremistische Inhalte. Vor allem junge Leute, die nicht übernehmen, was
ihre Eltern praktizieren, suchen ihre eigene Glaubensinterpretation. Für
sie gibt es kein entsprechendes Angebot, das den extremistischen
Erklärungen etwas entgegensetzt.
Müssen die Schulen hier einspringen?
Lehrer müssen wachsam sein. Aber das Thema nur bei den Schulen abzugeben,
wäre falsch. Auch das soziale Umfeld und etwa die Moscheegemeinden und die
Islamverbände müssen sich verantwortlich fühlen. Senator Mäurer hat schon
vor einem halben Jahr eine umfassende nationale Präventionsstrategie gegen
gewaltbereiten Extremismus eingefordert.
Bremens Polizei bekommt einen neuen Panzerwagen ...
Ich muss in Prävention investieren, aber auch in die Sicherheitsbehörden.
Deren Schwierigkeit ist die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit: Solange
nichts passiert, sollen sie nicht erforderlich sein, wenn aber etwas
passiert, haben sie versagt.
Haben sie das nicht? Die meisten Täter von Paris standen unter Beobachtung
...
Dass dies nicht immer dazu führt, dass man Anschläge verhindert, liegt in
der Natur der Sache: Die extremistische Ausrichtung einer Person ist für
sich genommen ja noch keine Straftat. Die Eingriffsmöglichkeiten sind daher
begrenzt.
Lassen sich Islamisten überhaupt noch erreichen?
Es ist zu früh, um zu sagen, ob etwa Aussteigerprogramme funktionieren.
Aber manche Rückkehrer aus Syrien sind durch das, was sie erlebt haben,
sehr desillusioniert. Man sollte niemanden aufgeben.
28 Nov 2015
## AUTOREN
Jean-Philipp Baeck
## TAGS
Religion
Schwerpunkt Islamistischer Terror
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