# taz.de -- Ein Pädagoge über jugendliche ExtremistInnen: „Soziale Arbeit s… | |
> Jugendliche, die sich nicht anerkannt fühlen, sind anfällig für religiöse | |
> Extremisten, sagt der Pädagoge André Taubert. Sie benötigten | |
> Anlaufstellen – und Wertschätzung. | |
Bild: Koran-Verteilaktion auf der Straße: Salafisten versuchen Anhänger zu we… | |
taz: Der Jugendliche, der in Würzburg fünf Menschen verletzte, war ein | |
unbegleiteter minderjähriger Flüchtling. Ist diese Gruppe besonders | |
gefährdet für religiöse Radikalisierung, Herr Taubert? | |
André Taubert: Einerseits ja, weil sie traumatisiert sind und keinen | |
familiären Halt hier haben. Andererseits umso weniger, weil sie oft | |
negative Erfahrungen mit Extremismus gemacht haben. Gleichzeitig wird mit | |
allen unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen pädagogisch gearbeitet. | |
Sie erhalten besondere Aufmerksamkeit. | |
Welche Jugendlichen sind gefährdet? | |
Alle, die jugendtypische Krisen haben: Wenn ein Jugendlicher mit seinem | |
Vater ein Problem hat oder mit seiner ersten großen Liebe, wenn er in der | |
Schule oder beim Sport zu wenig Anerkennung bekommt. Immer dann bietet der | |
sogenannte Salafismus attraktive Antworten, nämlich: Bei uns überwindest du | |
menschliche Fehler, bei uns bist du, so wie du bist, perfekt, wenn du nur | |
ein wahrer Muslim bist. | |
Was sind Anzeichen einer beginnenden Radikalisierung? | |
Man kann die Radikalisierung ganz gut mit einem Isolationsprozess | |
vergleichen. Wenn Jugendliche konfrontativ missionieren und sich damit | |
sozial isolieren, ist das das entscheidende Zeichen. Alles andere, wie | |
Bartwuchs, Beten, oder Tragen eines muslimischen Gewandes, führt uns in die | |
Irre. | |
Was ist das Besondere an religiös begründetem Extremismus? | |
Er richtet sich, anders als der Rechtsextremismus, fast immer gegen das | |
Elternhaus. In kaum einem Fall sind die Eltern religiös oder radikal. Man | |
kann fast sagen, dass religiös konservative Elternhäuser die beste | |
Prävention sind. Diese jungen Menschen lassen sich nicht irreführen. Viele | |
glauben, man ist erst religiös konservativ und wird dann radikal – und | |
genauso ist es eigentlich nie. | |
Wie verläuft der Einstieg in die Szene? | |
Meist geht das über Freunde oder Bekannte. Oft zufällig, etwa bei einer | |
Begegnung zwischen Freunden, wo einer eine Krise hat und der andere eine | |
Antwort für seine Krise kennt. Auch wenn ein junger Mensch hört, er sei gar | |
kein richtiger Muslim, kann das ein Auslöser sein. Er fängt vielleicht an, | |
im Internet zu suchen, wie man ein richtiger Muslim ist. Was er dann aber | |
sieht, kommt oft aus der salafistischen Szene, die im Netz stark vertreten | |
ist. | |
Wie können die Jugendlichen deradikalisiert werden? | |
Wir versuchen in ausgiebigen Analysegesprächen herauszufinden, was den | |
Jugendlichen bewegt. Eltern, Sozialarbeiter und Lehrer sind Experten auf | |
dem Gebiet dieser jungen Menschen. Ihnen sind zwar die eigentlichen Krisen | |
des Jugendlichen bewusst. Doch meistens arbeiten sie sich an theologischen | |
Fragen ab, etwa: Was ist denn nun der wahre Islam? Das führt zu | |
Isolationsprozessen, die wir vermeiden müssen. Wir helfen den Eltern, | |
wegzukommen von konfrontativen Diskussionen und stattdessen Bindungen | |
wiederaufzubauen. Wir nutzen das soziale Umfeld, instrumentalisieren | |
Vertrauenspersonen des Jugendlichen. Wir machen keine Deradikalisierung, | |
der Jugendliche deradikalisiert sich selbst. | |
Also kommt es auf das Verständnis an, das man dem Jugendlichen | |
entgegenbringt? | |
Ganz genau. Wenn ein Mädchen Kopftuch trägt oder überlegt, einen Niqab zu | |
tragen, fällt es oft schwer, das zu akzeptieren und wertzuschätzen. Zu | |
sagen: Ich find das toll, dass du dich so engagierst und fünfmal am Tag | |
betest. Stattdessen wird es kritisiert – Wasser auf die Mühlen der | |
salafistischen Propaganda, die immer sagt, hier in unserer westlichen Welt | |
darf man kein Muslim sein. | |
Wie ist die Situation in Hamburg? | |
Wir können dem Bedarf kaum gerecht werden. Bei Legato haben wir zwischen | |
fünf und 15 Neufälle im Monat. Die Szene religiöser Extremisten ist bunter | |
als anderswo in Deutschland. Wenn wir im Endeffekt vermeiden wollen, dass | |
Terroranschläge passieren, dann müssen wir Lücken schließen. Menschen, die | |
nicht wissen, an wen sie sich wenden können oder die Angst haben, sich an | |
jemanden zu wenden, müssen Anlaufstellen finden. | |
Gibt es Unterschiede zwischen Deutschland und Frankreich? | |
In Frankreich und Belgien gibt es wenig Prävention und Jugendarbeit. In | |
bestimmten Gegenden wie den Banlieues oder dem Brüsseler Stadtteil | |
Molenbeek gibt es gar keinen Zugang zu dieser Generation. Dort können sich | |
bestimmte Gruppierungen isoliert entwickeln. Ich glaube, Frankreich müsste | |
Milliarden in Prävention, soziale Arbeit und Integrationsmaßnahmen stecken | |
– statt in Sicherheitsmaßnahmen. | |
3 Aug 2016 | |
## AUTOREN | |
Friederike Mayer | |
## TAGS | |
Radikalisierung | |
Islamismus | |
Extremismus | |
Jugendliche | |
Prävention | |
Salafismus | |
Islam | |
Würzburg | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
Islamismus | |
Schwerpunkt Islamistischer Terror | |
Muslime | |
Schwerpunkt Islamistischer Terror | |
Österreich | |
Charlie Hebdo | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Salafisten werben um Flüchtlinge: Getarnt als humanitäre Hilfe | |
Seit Oktober 2015 haben Salafisten in mindestens 340 Fällen versucht, | |
Kontakt zu Flüchtlingen aufzunehmen. Sie verteilen Gebetsteppiche, | |
Nahrungsmittel und Geld. | |
Schulworkshop über Glauben: Wer Allah nicht leugnet | |
In einem Schulworkshop, der vor Radikalisierung schützen soll, sprechen | |
jugendliche Muslime und Musliminnen über ihren Glauben. Ein Klassenbesuch. | |
Angriff in Zug bei Würzburg: Scheinbar integriert | |
Ein junger, scheinbar bestens integrierter Flüchtling versucht im Namen des | |
IS zu morden. Warum? | |
IS-Rückkehrer Harry S.: Der Kronzeuge des Terrors | |
Vor Gericht wirkt Harry S. wie ein netter Junge. Doch er ist nach Syrien | |
gereist, um für den IS zu kämpfen. Wie kam es dazu? | |
Islamismus in Deutschland: Jugendliche unter Beobachtung | |
Safia S. war 15, als sie in Hannover auf einen Polizisten einstach. Der | |
Verfassungsschutz will deshalb Daten von unter 16-Jährigen speichern | |
dürfen. | |
Details über Hamburger Islamist: Bis der Kontakt abbricht | |
Mit 14 kam er in Hamburg in Kontakt zu Salafisten, mit 17 kämpfte er für | |
den IS in Syrien und starb. Nun werden neue Einzelheiten über „Bilal“ | |
bekannt. | |
Nach den Anschlägen in Brüssel: Nicht jeder trauert | |
Einige Jugendliche befürworten die Terroranschläge. Es sind nur wenige, | |
doch sie stoßen die Diskussion über „Parallelgesellschaften“ wieder an. | |
Junge Muslime in Deutschland: Das Dilemma der anderen | |
Wie werden aus Jugendlichen Extremisten? Warum haben es Muslime in der | |
Diaspora besonders schwer? Beobachtungen eines Sozialarbeiters. | |
Prävention gegen Radikalisierung: Die Frage nach dem Wie | |
Die Regierung will verstärkt gegen die Radikalisierung junger Muslime | |
vorgehen. Doch wie kommt man an sie ran, bevor es zu spät ist? | |
Gerichtsurteil für Teenager in Wien: Knast statt Dschihad | |
Ein 14-Jähriger wollte den Wiener Westbahnhof in die Luft jagen und dann | |
nach Syrien reisen. Ein Gericht verurteilt ihn zu zwei Jahren Haft. | |
Radikalisierung im Gefängnis: „Prävention muss verstärkt werden“ | |
Die Attentäter von Paris hatten sich in der Haft kennengelernt. | |
Sozialpädagoge Thomas Mücke über Ideologien, Gewaltkreisläufe und | |
Vertrauensbildung. |