| # taz.de -- Neues Album von Rapavatar Marsimoto: Aufstand der Hühner | |
| > Marsimoto, durchgeknallter Avatar von Marteria, legt mit „Verde“ ein | |
| > Freestyle-Rapalbum vor. Von Trap keine Spur, Sound und Reime bringens | |
| > voll. | |
| Bild: Maskenmann mit Herz für Außenseiter: Marsimoto | |
| Marsimoto mag Tiere. Und er hat ein großes Herz für alle Außenseiter, die | |
| es schwer haben, weil niemand sie versteht. In seinen Rapreimen verteidigte | |
| er schon Wale, in die Harpunenpfeile gespießt wurden, kleine Bühnen, die | |
| gegen ihre riesigen Geschwister in den Multifunktionsarenen traurig wirken, | |
| und schmale Skier, die durch breite Snowboards von den Pisten gemobbt | |
| werden. Auf seinem neuen Album [1][„Verde“] fordert Marsimoto in dem | |
| gleichnamigen Song den „Chicken Terror“. | |
| Darin nimmt er die Perspektive eines Huhns ein, das den Menschen lediglich | |
| als Nahrungsquelle dient. „Seit der Geburt ist der Zustand des Gegenteils | |
| vom Leben erreicht / Sie sehn nur das Fleisch / Alles dreht sich im Kreis“, | |
| reimt Marsimoto und fordert den Aufstand der Hühner. | |
| Was klingt wie ein bedröhnter Revoluzzer-Traum, ist es auch. Denn Marsimoto | |
| ist eigentlich ein rappendes Alien, das furchtbar viel Gras raucht und mit | |
| quäkender Stimme aufzählt, was alles falsch auf Erden läuft. Hinter dem | |
| Alias Marsimoto steckt niemand anderes als der 35-jährige Rostocker Marten | |
| Laciny, der wiederum als Marteria einer der erfolgreichsten | |
| deutschsprachigen Rapper zurzeit ist. Seit 2006 existiert sein | |
| außerirdischer Avatar Marsimoto, den er von Zeit zu Zeit neu belebt. | |
| ## Einige Oktaven höher | |
| Damals erschien Marsimotos Debütalbum „Halloziehnation“ und Lacinys tiefes | |
| Timbre verschwamm gelegentlich mit Passagen, in denen seine Stimmhöhe durch | |
| Software ein paar Oktaven höher gedrechselt wurde. Seitdem wechseln sich | |
| Marteria und Marsimoto jeweils mit neuen Alben ab. Der Außerirdische hat | |
| sich längst verselbstständigt, trägt bei Konzerten konsequent Maske und | |
| einen grün schillernden Umhang. Lacinys Stimme ist nicht mehr im | |
| Naturzustand zu hören, so komprimiert er seine Fähigkeit, komplexe Themen | |
| durch kluge Wortspiele aufs Wesentliche zu verknappen. Das Alien ist sein | |
| Experimentierfeld, radikaler als Marteria, auch was den Sound angeht. | |
| So hat Marsimoto früher etwa mit Dubstep experimentiert, als sich das sonst | |
| noch kein Rapper hierzulande traute. Die Frickeleien des | |
| Elektronikproduzenten Robot Koch flossen in seine Songs ein. Das hat sich | |
| inzwischen geändert. Auf „Verde“ spielt Robot Koch keine Rolle, die Sounds | |
| klingen weniger vertrackt. Es dominieren langgezogene Synth-Pads und | |
| langsam darunter versickernde Basslines. Ergänzt werden sie immer wieder | |
| durch Grooves, die in den Neunzigern schon mal amtlich waren und bei | |
| Marsimoto mit aggressivem Percussion-Geklicker verwachsen. | |
| Mit dem derzeit angesagten Trap-Sound hat das wenig zu tun. Gerade deswegen | |
| klingt es erfrischend. Ebenso erfrischend sind die fremden Stimmen, die | |
| sich zum Alien gesellen. Marsimoto kultivierte immer sein Außenseiterimage | |
| und wollte daher mit den (Erfolg-)Reichen nichts zu tun haben. Doch auf | |
| „Verde“ haben sich mit Casper und Trettmann zwei prominente Kollegen der | |
| Rapszene zu ihm gesellt. Der eine schreit, bis er heiser vor Erschöpfung | |
| wirkt, der andere säuselt beseelt vom letzten High. Diese stilistischen | |
| Brüche sind nötig, um die 14 Tracks durchstehen zu können. | |
| ## Unmut wegen Display | |
| Dann ist da noch Audio88, der mit Marsimoto in dem Track [2][„Der beste | |
| Freund des Menschen“] gemeinsam Unmut bekundet: Es geht ihnen um Displays | |
| und alles Negative, was damit verknüpft ist: Macker produzieren sich, um in | |
| Apps toll auszusehen, andere können den Blick nicht vom Bildschirm lösen | |
| und verlieren den Bezug zur Realität. Wieder andere bleiben Tag und Nacht | |
| standby und springen dem Burnout in die Arme. Marsimoto ist sicher kein | |
| Kulturpessimist, aber übersteigerten Leistungsdruck und | |
| Selbstoptimierungswahn mag er nicht. „Verde“ verpackt diese Kritik in | |
| Geschichten, die zuerst nach großer Weltverdunkelung klingen, aber sich bei | |
| genauerem Hinhören als schlaue Gegenwartsbeobachtungen entpuppen. | |
| Was auf Dauer etwas eintönig wirkt, ist Marsimotos ewige Lobpreisung von | |
| Kiffen. Über diese Schwäche und eine Liebeserklärung an „Go Pro“-Kameras, | |
| die verdächtig nach Werbejingle klingt, lässt sich aber hinweghören. Denn | |
| mit „Verde“ liefert er einige wichtige Denkanstöße. | |
| 7 May 2018 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.youtube.com/watch?v=tnnfQPoQhj0 | |
| [2] https://www.youtube.com/watch?v=cPeq_p2JGow | |
| ## AUTOREN | |
| Johann Voigt | |
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