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# taz.de -- Vergessene Band „Jetzt!“: Es lebe die Zärtlichkeit
> Jetzt, genau jetzt, ist die Zeit, um „Jetzt!“ zu entdecken. Denn „Liebe
> in großen Städten 1984-1988“ versammelt Songs von der Band selbigen
> Namens.
Bild: So sahen „Jetzt!“ früher aus – Michael Girke ist in der Mitte zu s…
So ist das mit den Zeitläuften. Sie nehmen überraschende Wendungen, viel zu
oft falsche Abbiegungen – und die Geschichte wird von den Siegern
geschrieben. Zu letzteren zählt die Band „Jetzt!“, die sich 1984 in Bad
Salzuflen gründete und Ende der 80er im Berlin der Wendejahre verlor,
sicher nicht.
Die Gruppe um Michael Girke entstammte jenem ostwestfälischen Zirkel um
Jochen Distelmeyer und Frank Spilker, aus dem in den Neunzigern der
Diskurspop der Hamburger Schule entstand. Blumfeld und Bernadette La
Hengst, eine weitere Künstlerin aus diesem Kreis, [1][erinnerten] in
[2][Coverversionen] an „Jetzt!“, ansonsten aber geriet die Band in
Vergessenheit.
Die Geschichte umschreiben kann das Hamburger Label Tapete Records zwar
nicht, aber es kann Wiedergutmachung leisten, und zwar, indem es nun 17
Songs wiederveröffentlicht. Auf „Liebe in großen Städten 1984 – 1988“ …
Aufnahmen von einer Single, drei Samplern und einem Demo zu hören.
berwiegend ist Songwriter-Pop zu hören, der sich an den britischen 80ern
orientiert, einige Stücke sind Mod-mäßig – nicht gerade die schlechtesten
Referenzen.
Entsprechend denkt man mehr als nur einmal, aus Jetzt! hätten im Prinzip
auch die deutschen Smiths, Housemartins oder Wedding Present werden können.
Das schwere Leben, das auf den Schultern lastet – gebeutelt von Liebesleid,
Existenzangst, schlechter Musik und Deutschland -, wird hier cool, hymnisch
und stilsicher weggerockt.
Die Texte Michael Girkes suchen und finden dabei das Geniale im Einfachen.
Zum Beispiel, wenn er Verse einstreut wie „Ich bin lieber ohne Arbeit/ als
ohne dich“ oder „Liebe ist wirklich ziemlich gut/ wenn man was abkriegt“.
Oder wenn er, wie in „Wenn Deutschland träumt“, zeitlose Wahrheiten
verkündet: „Der alte Wunsch frei zu sein/ scheitert an Rechnungen und an
Schecks/ Was übrig bleibt ist Ausgehen nachts/ und ein hungriges Herz (…)
Ich brauch die Zeit wenn Deutschland träumt“.
Großer Pop mit Gespür für die Zeile und die Hookline ist das.
Gebrauchslyrik, die man gern mit in den Alltag nimmt. Und Slogans, die mit
Lippenstift an den Badezimmerspiegel geschrieben gehören: „Nieder mit den
Umständen! Es lebe die Zärtlichkeit!“
Vielleicht wäre die Geschichte anders verlaufen, wenn Girke sich damals
nicht in Berlin angesiedelt hätte, sondern in Hamburg, wo der Rest der
Clique um das „Fast Weltweit“-Label sich niederließ.
Mit der Auflösung von „Jetzt!“ Ende der Achtziger ist der deutschsprachigen
Musik jedenfalls ein Juwel verloren gegangen. Dass es um diese nicht
besonders gut bestellt ist, stellten Jetzt! schon in „Es war einmal in
Deutschland“ fest: „Die deutsche Musik ist tot“, singt Girke da, denn in
ihr „(…) ist nichts über das Glück, das wir suchen (…) und nichts über…
Lügen, die wir finden/ und nichts über das Leben, das wir leben“. Und kurz
darauf: „Peter Hein, wo bist du? Hilde Knef, wo bist du? Rio Reiser, wo
bist du?“
Man möchte hinzufügen: Jetzt!, wo seid Ihr?
5 Aug 2017
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=q_u_VHGqml0
[2] https://www.youtube.com/watch?v=5kAk9c103t8
## AUTOREN
Jens Uthoff
## TAGS
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