# taz.de -- Bossa-Pop von Moreno Veloso: Der schüchterne Tänzer | |
> Gitarrist und Sänger Moreno Veloso dekonstruiert brasilianischen Pop – | |
> und emanzipiert sich so vom berühmten Vater Caetano Veloso. | |
Bild: Hat seinen eigenen musikalischen Kosmos geschaffen: Moreno Veloso | |
Rio de Janeiro, die „wunderbare Stadt“, gilt gemeinhin als Ort lieblicher | |
Bossa-Nova-Melodien. Als Kolorit, mit dem man Entspannung an der | |
Copacabana, Samba-Rhythmen beim Karneval, relaxte brasilianische | |
Lebenskultur assoziiert. | |
Für so manchen Brasilianer geht es am Zuckerhut aber allzu relaxt zu: So | |
beschweren sich die Paulistanos, die Bewohner des ewigen Konkurrenten São | |
Paulo, gern darüber, dass man in ihrer Stadt arbeiten würde – in Rio | |
dagegen denke man nur ans Vergnügen. | |
Die Cariocas, die Einwohner Rio de Janeiros, sagen dasselbe wiederum über | |
die Brasilianer aus dem Nordosten des Landes: Dass die Menschen dort zu | |
nichts zu gebrauchen seien, zeige sich schon an deren schleppender | |
Sprechweise. In Salvador de Bahia etwa, der alten, schwarzen Hauptstadt, | |
zöge man die Wörter derart in die Länge, dass man das Gefühl habe, die | |
Baianos schliefen schon beim Sprechen ein. | |
Moreno Veloso ist eine Mischung aus Carioca und Baiano. Der Gitarrist und | |
Sänger wurde als Sohn des berühmten Liedermachers Caetano Veloso in | |
Salvador geboren, verbrachte große Teile seiner Jugend in Rio, kehrte aber | |
vor einigen Jahren in seine Geburtsstadt zurück. | |
## Gute Sache | |
Er fühle sich mehr als Baiano, sagt der 44-jährige Veloso im Gespräch via | |
Skype – deren langsame wie gesellige Art entspreche eher seinem Gemüt. Auch | |
sein Output als Künstler spricht für diese Einschätzung: Ganze 13 Jahre hat | |
es gedauert, bis er vor drei Jahren mit „Coisa Boa“ („Gute Sache“) sein | |
erst zweites Solo-Album vorgelegt hat. Am heutigen Samstag kann man Veloso | |
bei einem seiner seltenen Deutschland-Konzerte in Berlin sehen und hören. | |
Seine Karriere hatte 2001 gleich mit einem Überraschungserfolg begonnen: | |
Als er unter dem Alias Moreno + 2 das Album „Máquina de Escrever“ bei David | |
Byrnes Luaka-Bop-Label veröffentlichte, war die Kritik angetan. Zu Recht. | |
Gemeinsam mit dem Bassisten und Multiinstrumentalisten Alexandre Kassin und | |
dem Schlagzeuger Domenico Lancellotti schuf er mal funkelnde, mal spröde, | |
von seiner weichen und hohen Stimme getragene Miniaturen, die sich beim | |
großen Fundus der brasilianischen Musik bedienten. | |
Mit elektronischen Sounds und minimalistischen Gitarrenakkorden im | |
Zeitlupentempo gelang ihm so eine Art Dekonstruktion des brasilianischen | |
Pop. Die lyrischen Songs handelten ebenso von der Aufrichtigkeit von | |
Gefühlen („Deusa do Amor“) wie vom menschlichen Hang zur Überheblichkeit | |
(„Eu sou melhor de Você“) und dem eigentümlichen Verhältnis zwischen | |
Pflanzen und Insekten („Dos Partes“). | |
Nach seinem experimentellen, sprunghaften Debüt nahm er zwei weitere | |
„+2“-Alben auf, bei denen jeweils einer der beiden Mitstreiter in den | |
Vordergrund trat. Doch anschließend wurde es öffentlich ruhig um Moreno. | |
Untätig blieb er dennoch nicht. Oft agierte Moreno, der sich selber als | |
„sehr schüchtern“ beschreibt, im Hintergrund. So hat er in den letzten | |
Jahren unter anderem mit Sängerinnen wie Bebel Gilberto und Gal Costa, | |
seiner Taufpatin, zusammengearbeitet und drei Alben seines Vaters | |
produziert. | |
Dass es Kinder berühmter Eltern oft nicht leicht haben, ist eine Erfahrung, | |
die viele Sprösslinge von Stars machen müssen. Morenos Vater Caetano Veloso | |
gehört mit Gilberto Gil immerhin zu den prägenden Figuren der Tropicália – | |
einer Bewegung, die vor 50 Jahren die brasilianische Popmusik erneuerte. | |
## Der Vater als Ikone des Widerstands | |
Mit seinem unverwechselbaren, manchmal exaltierten Gesang, poetischen | |
Texten und einer expressiven Bühnenshow ist Caetano Veloso bis heute eine | |
Legende in Brasilien, auch als Ikone des Widerstands gegen die damalige | |
Militärdiktatur. | |
Nachfolgende Musikergenerationen hatten es schwer, sich gegenüber diesen | |
übermächtigen Vorbildern durchzusetzen – und grenzten sich zum Teil bewusst | |
von ihnen ab. So erklärten die Bandmitglieder von Nação Zumbi – wichtige | |
Vertreter der Mangue-Beat-Bewegung aus Recife – einmal, sie könnten die | |
Musik Caetanos nicht leiden (was dieser in Tropicália-Manier jedoch | |
schulterzuckend hinnahm: Wenn das Nação Zumbi helfe, solch tolle Musik zu | |
machen, dann sei das nur gut). | |
Moreno Veloso ist einen anderen Weg gegangen: Es sei ausgesprochen | |
inspirierend gewesen, in einer Familie aufzuwachsen, in der alle Musik | |
machten: „In Brasilien spielt der Bezug zur musikalischen Geschichte, die | |
Traditionen eine große Rolle, und ich schätze das auch sehr.“ | |
Zu seinen Vorbildern zählt er aber nicht nur Größen aus der Generation | |
seines Vaters, sondern auch brasilianische Bands aus seiner Jugend in den | |
1990ern – darunter eben Nação Zumbi, die den lokalen Maracatu-Rhythmus mit | |
Heavy-Metal-Gitarren und funkigen Bässen fusionierten. | |
Statt sich ständig von seinem Vater abzugrenzen, hat sich Moreno Veloso im | |
Laufe der Jahre kontinuierlich seinen eigenen musikalischen Kosmos | |
geschaffen. Alexandre Kassin und Domenico Lancellotti, mit denen er zehn | |
Jahre lang das „+ 2“-Projekt gebildet hatte, kennt er ebenso seit | |
Schulzeiten wie den Gitarristen Pedro Sá, mit dem er bis heute kooperiert. | |
Reminiszenzen an die Kindheit und Jugend sind dann auch das tragende Motiv | |
auf „Coisa Boa“. Moreno spricht von einem „spielerisch-kindlichen | |
Universum“, das er auf dem Album kreieren wollte. Auf dem Cover ist | |
Salvadors Stadtstrand Barra zu sehen, ein Ort, an dem er schon unbeschwerte | |
Kindheitstage verbrachte. | |
Gleich der Einstiegssong „Lá e Cá“ („Da und dort“) ist eines von mehr… | |
Wiegenliedern, die Moreno für seine Kinder geschrieben hat. „Coisa Boa“ ist | |
ein weitgehend ruhiges und unaufgeregtes Elektro-Akustik-Bossa-Pop-Album, | |
dessen Songs Leichtigkeit und Friedfertigkeit transportieren, bei der | |
zugleich aber eine gewisse Nostalgie mitschwingt – vielleicht ist es jene | |
Traurigkeit, die sich fast zwangsläufig mit dem Älterwerden einstellt. | |
## Carioca-Playboy? Nix da | |
Mit seiner nachdenklichen Art und seinen leicht noch vorn hängenden | |
Schultern wirkt Moreno jedenfalls wie das Gegenteil der angeberischen, | |
muskelbepackten Carioca-Playboys aus gutem Hause, mit denen sich sein Vater | |
vor einer Weile öffentlich angelegt hat, weil sie den parlamentarischen | |
Putsch gegen die gewählte Präsidenten Dilma Rousseff feierten. | |
Dass sich der korrupte Michel Temer, der wie andere Populisten in der Welt | |
auch einen Feldzug gegen Kunst und Kultur führt, seither an der Macht | |
halten kann, ist Moreno unbegreiflich: „Wenn ich sehe, was da in der | |
Politik passiert, komme ich mir wie ein verlorenes Kind vor.“ | |
Weil das Leben aber auch unter dem ungeliebten Temer weitergeht, setzt | |
Moreno Veloso das fort, was er am besten kann: Musik produzieren. Sein | |
neues Album, mit dem er im Laufe des Jahres beginnen will, soll dabei | |
„fröhlicher und lebhafter“ werden als die Vorgänger. Ob ihm das gelingen | |
wird, weiß er noch nicht, räumt Moreno selber ein. Auf jeden Fall sei ihm | |
„körperlicher Ausdruck“ wichtig. Für seine Show in Berlin, zu dem er mit | |
seinem Quartett anreist, verspricht er, dass es einige Tanzeinlagen von ihm | |
geben wird. | |
Dass er gerade auf der Bühne zu überzeugen weiß, hat Moreno bereits mit | |
seinem intimen Live-Album „Solo in Tokyo“ (2011) bewiesen: Nur von einer | |
Gitarre begleitet, kommt hier seine eigenwillige Stimme besonders zum | |
Tragen. | |
12 Aug 2017 | |
## AUTOREN | |
Ole Schulz | |
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