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# taz.de -- Brasilianische Musikerin Mariá Portugal: Braunalgen, Monsun, Ebbe
> Die Schlagzeugerin Mariá Portugal ist eine Innovatorin der Improvisierten
> Musik. Beim Jazzfest Berlin tritt sie mit ihrer Band Quartabê auf.
Bild: Besondere Band aus aus São Paulo: Quartabê mit Mariá Portugal (links)
Serielle Musik, Techno, MPB (Musica Popular Brasilieira) und Jazz – all das
vereint Mariá Portugal. Sie gehört zu den derzeit einflussreichsten
Künstlerinnen der Improvisierten Musik. Die brasilianische Schlagzeugerin
studierte zunächst in São Paulo klassische Komposition und besuchte 2007,
im Alter von 23, [1][einen Sommerkurs von Karlheinz Stockhausen], wenige
Monate bevor der Komponist starb.
Während ihres Studiums in Kommunikation und Semiotik untersuchte Portugal
kognitive Beziehungen zwischen Körper und Klang im Kontext von
improvisierter Musik und Tanz. Die Erforschung klanglicher Möglichkeiten
und elektronischer Erweiterungen setzt sie seither fort: in
Eigenkompositionen für Tanztheater und Film – zuletzt für „1976“, ein W…
der chilenischen Regisseurin Manuela Martelli.
Mit ihrer Band Quartabê schließlich erkundet Portugal die
improvisatorischen Möglichkeiten der populären Musik Brasiliens, wie auf
ihrem [2][aktuellen Album „Lição #2: Dorival“ mit Kompositionen des
brasilianischen Gitarristen Dorival Caymmi.] Sie begreift sich als eine
Schülerin der großen Meister, wenn auch als eine aufsässige. „Wir dringen
tief in das Repertoire dieser Lehrmeister ein und bauen Elemente davon in
unsere eigene Formensprache ein“, erklärt Portugal der taz. Sie
dekonstruiert das Material und setzt die Fragmente gemeinsam mit zwei
Klarinettistinnen und einem Keyboarder elektronisch verfremdet und in
seriellen Modulationen neu zusammen.
Für ihr aktuelles Album, das sie nun beim Berliner JazzFest vorstellt, hat
Portugal zehn Kompositionen Dorivals ausgewählt. „Phrasen seines
Gitarrenspiels verwandeln wir in musikalischen Zellen und Passagen einer
Melodie in eine Grundlinie. Wir wandeln die Klangfarben in neues Material
um und schaffen durch Improvisation neue Kompositionen.“ Nachdem ihre
Bassistin wegfiel, hatte sie die Idee, das Keyboard könnte den Bass
ersetzen, dazu kamen zwei Bassklarinetten, sie selbst erzeugt den Bass
durch einen Drumcomputer.
## Aufgewühlte Landschaft
So entstand aus Dorivals Kompositionen eine unruhige, aufgewühlte
ozeanische Landschaft. Vom Auftaktsong „Onda“ (Welle) über „metrischen
Wind“, Braunalgen, Monsun und Ebbe. Das als politisches Statement [3][zur
umweltzerstörerischen Agenda der Regierung Bolsonaro zu sehen] läuft als
Begleitspur mit.
Dass Lula nun als Präsident zurückkehrt, erleichtert die Künstlerin. Aus
ihrer Sicht wird er jedoch die Probleme des Landes nicht sofort lösen
können. „Die zerstörerische Hinterlassenschaft von Bolsonaro zu beseitigen
wird viel Zeit brauchen, um das, was wir in unserer fragilen und sehr
jungen Demokratie hatten, zurückzubekommen: der Armut zu begegnen, die
Abholzung des Regenwaldes zu verringern und Bürgerrechte für alle zu
garantieren.“
Seit ihrem Stipendium als „Improviser in Residence“ beim Moers Festival
2020 lebt Portugal in Köln. „Deutschland fasziniert mich, seit ich [4][bei
Stockhausen studiert] habe. Als junge Frau interessierte mich
Zwölftonmusik, genauso wie Raves. Beides gibt es in Deutschland. Zugleich
bin ich von der heterogenen brasilianischen Musikkultur geprägt.
## Distanziert und freundlich zugleich
Ich habe klassische Musik, Komposition und Dirigieren studiert,
gleichzeitig spielte ich Schlagzeug in einer Popband, die sich auf
brasilianische Musik spezialisierte, und ging auf Techno-Partys. Für mich
kein Widerspruch. Und ja, ich bin froh darüber, dass ich noch bei
Stockhausen studieren konnte. Er war distanziert, aber sehr freundlich und
hat sogar eine Partitur signiert.“
So innovativ Stockhausen in seiner Musik war, so verhaftet war er dem
traditionellen Familienmodell, jedenfalls nach außen, wie seine Geliebte,
die Künstlerin Mary Bauermeister, in ihrem Buch „Stockhausen und die
Frauen“ beschrieb. Aus Sicht Portugals hat die Covid-Pandemie die
Benachteiligung von Frauen erneut gezeigt. „Ich bin mit einer Frau
verheiratet.
Also war ich zu Hause nicht damit konfrontiert, wie man Familie und Beruf
koordinieren kann. Die Pandemie hat die gravierenden Mängel der
patriarchalischen Gesellschaftsstrukturen sichtbar gemacht. Und sie hat
große Unterschiede im Umgang mit dieser existenziellen Situation in den
einzelnen Ländern offenbart. In Brasilien gab es anders als in Deutschland
keinerlei gesundheitspolitische Konzepte. Das war eine sehr schmerzhafte
Lektion.“ Dem Schmerz durch Musik begegnen, auch das eine „Lição“. Für
Resilienz in dunklen Zeiten.
6 Nov 2022
## LINKS
[1] /Biographischer-Comic-ueber-Stockhausen/!5887030
[2] https://www.youtube.com/watch?v=FKzAsuLHGyI
[3] /Rapper-Emicida-ueber-Brasilien/!5880424
[4] /Stockhausens-grosses-Harmonieorchester/!5811870
## AUTOREN
Maxi Broecking
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Jazzfest Berlin
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Brasilien
Rio de Janeiro
Lesestück Meinung und Analyse
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