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# taz.de -- Seu-Jorge-Konzert in Berlin: Das Spiel mit dem Tribut
> Der Brasilianer Seu Jorge lernte die Songs von David Bowie erst als
> Schauspieler kennen. Jetzt ehrte er sie mit einem vergnüglichen Konzert
> in Berlin.
Bild: Seu Jorge am Dienstagabend im Berliner Admiralspalast
Rote Wollmützen spenden Wärme auf hoher See. Und sie leuchten. Am
Dienstagabend sind die roten Wollmützen, in den USA „Beanies“ genannt,
Erkennungszeichen für die Fans im Zuschauermeer. Die Fans des
brasilianischen Sängers und Schauspielers Seu Jorge im Berliner
Admiralspalast tragen diese roten Wollmützen, seit ihr Idol mit einer
solchen Kopfbedeckung in dem Spielfilm „Die Tiefseetaucher“ (2004) von Wes
Anderson zu sehen war. In Zeiten täglicher Terrormeldungen wirkt diese
Zurschaustellung von Fanatismus wohltuend deradikalisierend.
Dass die ganze Schiffsbesatzung in Andersons Lustspiel rote Wollmützen
trug, zollte wiederum dem Meeresforscher Jacques Yves Cousteau Tribut. In
seinen Dokumentarfilmen trug der Franzose stets Wollmützen. Seu Jorge
kannte weder acques Cousteau noch David Bowie. Dessen Songs spielte er in
seiner Rolle als Pelé Dos Santos in dem Film „Die Tiefseetaucher“, um die
Besatzung bei Laune zu halten. Keine ehrfürchtigen Covers, er spielte
brasilianisierte Versionen, Bowies Texte hat er dafür ins Portugiesische
übertragen und abgewandelt.
Die Bühne im Admiralspalast ist dunkel, um ein Schiffssteuerrad in der
Mitte sind verknotete Taue, Seemannskisten, ein Anker und eine
Petroleumlampe drapiert. „Willkommen zu einem Abend mit zwei Künstlern“,
verkündet ein Mann mit roter Wollmütze, „einer davon ist spirituell
anwesend, der andere kommt leibhaftig auf die Bühne.“ Seu Jorge trägt auch
eine rote Wollmütze. Er setzt sich und beginnt ohne Umschweife, „Ziggy
Stardust“ zu spielen.
## Der dünne Schwarze und der Thin White Duke
Ein dünner schwarzer Mann interpretiert nur mit Akustikgitarre Songs des
Thin White Duke. Die Zuschauer gehen sofort darauf ein: Sie kennen den
Bowie-Song, Seu Jorges Version und den Film. „Changes“; dem zweiten Song
ist anzumerken, wie Seu Jorge mit seinen minimalistischen Arrangements
Power aus Bowies Gitarrenriffs genommen hat, um seine Baritonstimme stärker
in den Vordergrund zu stellen. Damit sie atemlos klingt, übt Seu Jorge vor
jedem Konzert Querflöte in der Garderobe.
Zwischen den Songs erzählt er wie in einem Making-of-Film, auch das passt
zu diesem kurzweiligen Abend: 2003 daddelte er mit seiner Tochter an der
Playstation, als ihn der Anruf von Wes Anderson erreichte. Ob er David
Bowie kenne? „Let’s Dance“, den Song kenne er. Nein, die Klassiker sollen
es sein, Hits aus Bowies Glamrock-Phase. Dann berichtet Seu Jorge aus Rom,
wo „Die Tiefseetaucher“ in der Cinecittá gedreht wurden. Namen der
Schauspieler kann er sich nicht merken, nur die Filme, in denen seine
Kollegen mitgewirkt haben, „Ghostbusters“ und „Platoon“.
Er blickt suchend in den Himmel, hoffentlich mögen sie seine Arrangements:
Dann hebt Seu Jorge an, „Rebel Rebel“ in einer furztrockenen Bossa-Version
vorzutragen. Die Akkorde zupft er gedämpft, das behutsame
Gesangsarrangement könnte auch von einem João-Gilberto-Song stammen. Damit
hat Seu Jorge das Publikum endgültig auf seiner Seite. Es verzeiht ihm in
der Folge sogar schwächere Songs: Bei „Sufragette City“ haut es mit dem
behutsamen Arrangement nicht hin. Zwischendurch nippt Seu Jorge an einem
Tee, bei „Space Oddity“ und „Life on Mars“ genießt er wieder Bowies
spirituellen Beistand.
Seu Jorge, auf Deutsch „Euer Georg“, ist in Brasilien ein Star. Hierzulande
dagegen wird der 47-Jährige eher ins „Global Pop“-Getto einsortiert. Dabei
ist er ein vielseitiger Popkünstler. Beweis dafür ist das Album, das er mit
der Band Almaz aus São Paulo veröffentlicht hat.
Geboren ist Jorge Mario Da Silva in einer Favela der Stadt Belford Roxo,
nördlich von Rio. Als Kind hat er Reifen repariert. Einer seiner drei
Brüder wurde bei einer Drogenrazzia erschossen. Seu Jorge ist der
Verheerung mit Musik- und Schauspielworkshops entkommen. Nicht nur deshalb
tut „Rebel Rebel“, als Zugabe nochmals gespielt, in seinem friedfertigen
Bossa-Wohlklang so gut.
7 Jun 2017
## AUTOREN
Julian Weber
## TAGS
David Bowie
Brasilien
Glamrock
Konzert
Hamburg
Festival
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