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# taz.de -- Neues Album von School of Zuversicht: Zweifeln als Fulltime-Job
> Das neue Album des Hamburger Indie-Kollektivs School of Zuversicht bietet
> Agnostic Pop vom Feinsten. Und verbindet den Dancefloor mit der Wahl.
Bild: Völlig von den Socken: Tillamanda, DJ Patex und Joachim Schütz auf der …
School of Zuversicht ist keine Band, sondern ein offenes, kollektiv
angelegtes Bezugssystem rund um die Künstlerin DJ Patex, die dabei nicht
als Kopf auftritt, sondern Kräfte bündelt.“ Dieser Merksatz über die
Hamburger Musiksippe School of Zuversicht ist einem alten Bandinfo
entnommen, gilt aber noch immer. Denn nun veröffentlicht die Schule der
Confidence endlich ihr zweites Album. Es trägt den schönen – von [1][Karl
Marx] ausgeborgten – Titel „An allem ist zu zweifeln“ und ist ganz sicher
eines der klügsten elektronischen Popalben des Corona-Spätsommers 2021.
Die Hoffnung und Energie spendende Musik ist dabei gerade wegen aller
Zweifel bestens geeignet, um den imaginären Dancefloor zwischen Waldbrand
und Flutkatastrophe zu beschallen. DJ Patex (alias Patricia Wedler) tauchte
Anfang der Nullerjahre in Hamburg auf und stieg bald in die Band von Knarf
Rellöm ein. Die beiden hatten zuvor zusammen kurze Zeit in Zürich gelebt
und der Stadt die schöne Hymne „Little Big City“ vermacht. Seitdem ist DJ
Patex festes Mitglied in Rellöms Bands, die immer wieder den Namen
wechseln: von Shi Sha Shellöm bis zu A Tribe Called Knarf.
Das Debütalbum von DJ Patex’ Solo-not-solo-Projekt School of Zuversicht mit
dem Titel „Randnotizen from Idiot Town“ erschien bereits vor über zehn
Jahren. Somit hat sie also die Hürde des schwierigen zweiten, schnell
hinterhergeschobenen Albums super gelassen umschifft: Einfach so lange zu
warten, bis die Welt das Debüt bereits wieder vergessen hat, so dass das
zweite Werk den Menschen wieder wie ein Debüt vorkommt, das muss man erst
mal bringen.
## Viele Helferinnen und Helfer
Viele Musiker*innen sind an diesem Werk beteiligt, und trotzdem klingt
es wie aus einem Guss: Natürlich Knarf Rellöm sowie der fast schon wieder
vergessene Electro-Wirbelwind Plemo aus dem Stall des befreundeten
Hamburger Indielabels Audiolith, der [2][Pudelclub-Keyboard-Zauberer
Richard von der Schulenburg] und sein Kollege [3][Carsten „Erobique“ Meyer]
(of Tatortreiniger-Soundtrack Fame) ist mit von der Partie. In dem sehr
sehenswerten Video der ersten Singleauskoppelung „Hinter dem Hügel“ können
wir die lebende Discokugel als versierten Bediener der Wasserfontänenorgel
in der Hamburger Parkanlage „Planten un Blomen“ bewundern.
Musikalisch bewegt sich die School of Zuversicht häufig in
Neunziger-Jahre-House-orientierten Popsong-Gefilden, wie etwa in dem
Smasher „Swimmingpool der Empathie“, der sich mühelos zwischen die
Evergreens von Zugpferden wie Whirlpool Productions und Andreas Dorau
einordnen lässt. In diesem Track geht es um den traurigen,
narzisstisch-gestörten weißen Mann.
DJ Patex besingt die Schönheit seiner Wunden, die er auf den Bühnen dieser
Welt seit mehreren Generationen ungerührt zur Schau stellt, um dabei Trost
durch Applaus zu finden. „Im Swimmingpool der Empathie / Ertrinkt man nie“,
heißt es im Refrain zur funky Basslinie. Ja, keine rauschende
Dancefloor-Party ohne einen ordentlichen Schuss Ironie im Longdrinkglas.
## Im Abwasser der urbanen Zivilisation
Sowieso gilt: Wer die furchtbare Welt von draußen im Club nicht irgendwann
ausblenden kann, der ertrinkt beim Ausgehen gedanklich schnell im Abwasser
der urbanen Zivilisation. Das Clubleben ist schließlich gelebte Utopie und
kein bierseliger Stammtisch der lokalen Ortsverbände. Das heißt natürlich
nicht, dass Clubmusik per se unpolitisch ist. Ganz im Gegenteil.
Außer der weißen, männlich geprägten, westlichen Mainstream-Popwelt nimmt
sich die School of Zuversicht auch das nach Weihrauch duftende religiöse
Symbol Kruzifix vor: „Nur weil du mir deine Wunden zeigst, bist du noch
lange nicht mein Heiland“ heißt eine weitere Single-Auskopplung. Ihr Sound
erinnert mit einem markanten Gitarren-Riff an den zackigen
New-Wave-Surfbeat der B-52s.
Auch die SPD könnte den Song im aktuellen Bundestagswahlkampf gut
gebrauchen, allein schon, um sich in ihren kommenden Wahlwerbespots noch
eindeutiger von der Union und ihren Hardcore-Katholiken wie dem
Laschet-Berater Nathanael Liminski abzugrenzen. Wir erinnern uns: Vor etwa
14 Tagen durften sich Olaf Scholz und seine Genossinnen für einen
Wahlwerbespot entschuldigen, der religiöse Gefühle bei den Vertreterinnen
der Union verletzte. Ja, wie war das noch mal mit der Säkularisierung?!
Egal. Die alten Widersprüche bleiben zweifelsohne auch 2021 verlässlich
bestehen.
## Absolut idiotensicher
So pfeift die School of Zuversicht gemeinsam mit ihren Hörer:Innen auf
das scheinheilige Spiel der wohlanständigen Bürgerlichkeit! Sie lädt
dagegen zum gemeinsamen Schwof im „Salon der Idioten“. Idiot ist ein
zentraler Begriff im Kosmos des zuversichtlichen Kollektivs. Wenn DJ Patex
von Idioten spricht, dann meint sie das nicht abwertend, sondern durchaus
zärtlich und vor allem tituliert sie sich damit selbst. Hat sie neulich in
einem Interview in dem hörenswerten Podcast [4][„Neues aus der Opiumhölle�…
zu ihrem aktuellen Werk gesagt.
Und klar: Von einer gewissen Perspektive aus sind wir fast alle Idioten.
Zumindest was unsere nicht vorhandene Bereitschaft angeht, uns politisch zu
engagieren, ob in Parteien oder sonst wo. Stattdessen raven wir lieber
weiter auf den außerparlamentarischen Dancefloors des Widerstands. Davon
profitiert zwar hauptsächlich der örtliche Getränkevertrieb und am Ende ein
Immobilienunternehmen, aber trotzdem hoffen wir, dass der School of
Zuversicht nie das Feuer ausgehen möge. Wie gesagt: Tanzmusik ist
keinesfalls unpolitisch.
In Zeiten der Zwangsindividualisierung zwischen somnambulen
Schlafzimmerpoppern und berufsjugendlichen HipHop-Angebern sind Kollektive
im Popgeschehen ein rares Gut. Dabei können mehrere Idioten an einem
gemeinsamen Ort jederzeit der Anfang einer neuen Protestbewegung sein. Mehr
Idioten braucht das Land. Die School of Zuversicht lässt uns dabei allen
gedanklichen Spielraum.
## Zwischem Demut und Größenwahn
Wir sollten schließlich immer wieder neue Zweifel hegen können zwischen
Demut und notwendigem Größenwahn, wir müssen gemeinsam abwägen zwischen
notwendigem Aktionsdrang und eleganter Zurückhaltung, zwischen der
Privatsphäre und der öffentlichen Bühne. Zwischen Rock und Pop. Zwischen
Klimazielen und Fuck-up.
Ja, wahrlich: Zweifeln ist ein Fulltime-Job. Im Kollektiv umso
anstrengender. Kein Wunder, dass die Produktion dieses Werks sich über zehn
Jahre erstreckt hat. Warum endet „An allem ist zu zweifeln“ ausgerechnet
mit einer Coverversion von Lana Del Reys Hit „Video Games“? DJ Patex singt
ihre Fassung als bekennender Fan. An ihrer Auswahl kann man
selbstverständlich auch zweifeln. Warum ausgerechnet dieser Schmachtfetzen
über die Liebe zwischen zwei Menschen?! Wo doch die School of Zuversicht
ein offenes Kollektiv ist?!
Wird die Liebe am Ende dieses Albums frei nach Paddy McAloon von der
nordenglischen Band Prefab Sprout zum fünften Reiter der Apokalypse oder
zum Rettungsanker im stürmischen Hafen des Lebens?! DJ Patex lässt uns
zweifelnd an der Jukebox in der Spelunke des Lebens zurück. „Und wenn am
Ende ich nichts wäre / Als ein beschriebenes Papier / Eine Aktie im Handel
/ Ein urbanes Molekül / Und wenn am Ende ich nichts wollte / Als Revolte
und Vision, eine Party ohne Reihe, keine Bilder nur noch Ton“, singt sie in
dem EDM-orientierten Track „Urbanes Molekül“.
Wir wissen es doch auch nicht! Trotzdem wären wir mit ihr heute Nacht
liebend gerne „lost in music“ in unserem Lieblingsclub. Nach überstandenem
Kater, legen wir gleich dann sofort mit dem Zweifeln los. Schließlich
müssen wir Idioten schon bald ins Wahllokal.
26 Aug 2021
## LINKS
[1] /Karl-Marx-Ausstellung-in-Trier/!5500676
[2] /MoodsDances-von-RVDS/!5748677
[3] /Erobique-ueber-Filmmusik/!5564630
[4] https://podcasts.apple.com/us/podcast/folge-9-viel-spa%C3%9F-in-der-zukunft…
## AUTOREN
Maurice Summen
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Sophia Kennedy
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