# taz.de -- „Erobique“ über Filmmusik: „Ein Soundtrack braucht nicht so … | |
> Carsten „Erobique“ Meyer mag popkulturelle Schätze und Understatement als | |
> Haltung. Für den „Tatortreiniger“ hat er einen Meta-Soundtrack | |
> erschaffen. | |
Bild: Carsten „Erobique“ Meyer in seiner natürlichen Umgebung: auf der Bü… | |
taz: Herr Meyer, die Komposition eines Soundtracks ist eine Dienstleistung. | |
Es gilt, Musik zu kreieren, die die Handlung untermalt, diese kommentiert | |
oder aufnimmt. Die Musik, die Sie [1][für die jetzt zu Ende gehende | |
TV-Serie „Der Tatortreiniger“] geschaffen haben, ist uplifting. Es ist eine | |
drastische Handlung, und die Musik arbeitet manchmal dagegen an. | |
Carsten „Erobique“ Meyer: Es geht darum, dass jemand einen undankbaren Job | |
macht. Niemand möchte Leichen vom Boden kratzen, die düstere Atmosphäre | |
wird nur angedeutet. Eigentlich geht es mehr darum, dass der Tatortreiniger | |
Schotty bei der Arbeit Leuten begegnet und der Kommunikation ausgesetzt | |
ist. Das Tolle an ihm ist seine Bereitschaft, mit jedem zu reden. Dadurch | |
wird die Handlung upliftend, weil sie darstellt, was passiert, wenn wir uns | |
im Alltag offen zeigen gegenüber anderen, wenn wir ins Gespräch kommen, | |
außerhalb der Blase. | |
Und die Musik? | |
Upliftende Musik verfolgt durchaus einen Zweck, sie soll uns gut drauf | |
bringen. Ich persönlich höre upliftende Musik auch, wenn es mir nicht so | |
gut geht. Dann, wenn ich einen kleinen Schub gebrauchen kann. | |
Sie haben einen Meta-Soundtrack erschaffen, der andere Soundtracks, | |
Klangatmosphären und Popsongs zitiert. Von Italowestern über Barockpop bis | |
Soul. Sie verneigen sich etwa vor dem Soulsänger Leroy Hutson. Man hört, | |
dass Sie die Instrumentals von Barry White kennen. Ihre Musik funktioniert | |
auch jenseits ihrer Eigenschaft als Soundtrack. | |
Soul ist Teil meiner DNA. Ich liebe die Songs von Leroy Hutson und Barry | |
White und höre sie fleißig, aber ich sitze nicht da und überlege, wie ich | |
sie zitieren kann. Es geht mir nicht darum, Töne zu kopieren oder andere | |
Arbeitsweisen aufzugreifen, ich probiere einfach gerne aus. Für „Der | |
Tatortreiniger“ habe ich oft ins Blaue hinein komponiert. So wie bei | |
Library Music gibt es bei mir einen Fundus an Melodien und Songs, aus dem | |
Regisseur Arne Feldhusen und der Cutter Benjamin Ikes geschöpft haben. | |
Wenn ich mir Soundtracks von dem französischen Komponisten François de | |
Roubaix für Meeresdokumentationen anhöre, habe ich das Gefühl, er macht | |
keine Filmmusik, sondern forscht selbst nach Tonfolgen, gräbt in tiefen | |
Klangschichten. So wie Jacques Cousteau die Unterwasserwelt erkundet, | |
erkundet auch de Roubaix die Welt der Melodien, der Gerätschaften. | |
Gut erkannt, de Roubaix ist eine Inspiration. Das, was ich von Komponisten | |
wie ihm mitgenommen habe, ist die Klangforschung. Es ist der Teil meiner | |
Arbeit, der am meisten Spaß macht: Was passiert eigentlich, wenn ich ein | |
Lineal am Tisch anschlage. Das als Musik erfahrbar zu machen, wanderte | |
nachher auch in den Soundtrack rein. | |
Für den Soundtrack zu „Wonderwall Music“ reiste George Harrison nach | |
Mumbai, sah sich den Film auf der Leinwand an und fertigte ein | |
Sequenz-Protokoll. Waren Sie am Set von „Tatortreiniger“ anwesend? | |
Nein, ich habe die Drehbücher gelesen. Es gab eine Phase, in der ich Musik | |
komponiert habe, davor habe ich mich aber wieder aus der Handlung | |
verabschiedet und einfach drauflos geschrieben. Oft funktioniert bei mir, | |
wenn ich mit Fundstücken arbeite. Ich konnte etwa eine Hammond-Orgel von | |
Freunden ausprobieren. Habe mein Aufnahmegerät mitgenommen. Da war eine | |
Taste kaputt und die Repeat-Funktion klang seltsam, ratacktacktack … das | |
floss ein. Ein Soundtrack braucht gar nicht so viel. Zu Zeiten von George | |
Harrisons „Wonderwall Music“ in den späten Sechzigern haben die Komponisten | |
mit Stoppuhr dagesessen und die Tonspur nachgemessen. Das bleibt mir heute | |
erspart. Ich kann in mein Musikprogramm den Film reinlegen und die Musik | |
sehr genau setzen und drunter editieren. | |
Das „Tatortreiniger“-Titelthema triggert den Italo-Western-Desperado-Sound | |
an. Was braucht eine Titelmelodie, damit sie wiedererkennbar wird? | |
Beim ersten Schauen ist die Titelmelodie noch gar nicht da. Ab der dritten | |
Folge entwickelt sie ein Eigenleben und wird mehr zu einem Weckruf. Meine | |
Titelmelodie für „Der Tatortreiniger“ kam schnell zustande. Sie ist nicht | |
elaboriert, hat sich aber als dankbar erwiesen. Es ist ein Titelthema aus | |
wenigen Tönen, das sofort wiedererkennbar klingt. Wichtig war, dass ich es | |
mit verschiedenen Musikstilen und in verschiedene Tonarten umsetzen kann. | |
Es ist ein robustes Titelthema, ich kann damit spielen und es in andere | |
Kontexte setzen. | |
Ihre Filmmusik ist auch Reminiszenz an die glorreiche Pop-Vergangenheit. | |
Northern-Soul-Songs mit Mundharmonika klingen an. Oder die gepfiffene | |
Melodie, ein klassisches Stilmittel von Spaghettiwestern-Soundtracks. Was | |
zieht Sie in diese Vergangenheit? Hat sie etwas, was in der Gegenwart nicht | |
zu bekommen ist? | |
Ich sammle popkulturelle Schätze. Wenn ich ins Studio gehe, stehen da nicht | |
nur alte Orgeln und ein Schlagzeug, sondern auch Schallplatten. An der Wand | |
hängen Bilder, die ich auf Flohmärkten gefunden habe. Das Bücherregal ist | |
voll mit Werken zu den abseitigsten Popfiguren. Durch diese Materialfülle | |
löst sich dann das Referenzmoment auf und wird zur amorphen Masse. Ich war | |
in der Jugend Mod, das Geschmackvolle bedeutet mir noch was. Bestimmte | |
analoge Aufnahmetechniken sind mir wichtig. Lieber eine Flöte spielen, als | |
eine Midi-Flöte zu benutzen. Es geht ja immer darum, was geschieht, wenn | |
ein Ton physisch erzeugt und durch ein Mikrofon aufgenommen wird. Das | |
gefällt mir besser, als wenn er am Bildschirm berechnet wird. | |
Ihr eigenes Label a sexy Records funktioniert ohne Promotion. Da erscheint | |
auch Ihr Soundtrack und Singles und Alben unter Pseudonym. Was ist das für | |
ein Kosmos? | |
A sexy ist entstanden, weil ich ein Outlet brauchte für die Werke meiner | |
Kunstfigur Babyman. Je weniger Wind ich darum mache, desto besser. Ich habe | |
mich schon geärgert, als auf einmal eine Diskografie aufgetaucht ist und | |
die Personen hinter den Aliasen gelüftet wurden. Ich fand das Geheimnis als | |
Modus Operandi immer praktikabel. | |
Anfang der Nullerjahre waren Sie Teil von International Pony, zusammen mit | |
[2][DJ Koze] und Cosmic DJ, damals beim Majorlabel Sony. Heute arbeiten Sie | |
wieder selbstbestimmt. Warum? | |
Wir waren zwar auf einem Majorlabel, aber Mainstream war International Pony | |
eher nicht. Ein positiver Effekt der Digitalisierung ist es, dass sich die | |
Strukturen des Musikvertriebs gewandelt haben. Heute lässt es sich leichter | |
unabhängig agieren. DJ Koze macht das super mit seinem Label Pampa. Auch | |
mir ermöglicht mein Label, die Zügel selbst in der Hand zu behalten. Das | |
ist viel angenehmer als der Vermarktungszyklus bei einem Majorlabel, der | |
uns ausgesaugt hat. Ich bin froh, dass ich unabhängig sein kann. Ich spiele | |
Musik, absolviere meine Auftritte. Fertig. | |
Ein Popstar braucht Charisma, aber gute Songs und gute Soundtracks sind nie | |
unnötig aufdringlich. Nicht ohne Grund ist Ihr Soundtrack instrumental | |
geblieben. Ihre Musik für „Der Tatorteiniger“ klingt dezent. | |
Es gibt absolut keinen Grund, Musik größer aufzublasen als nötig wäre, für | |
das, was sie sein soll: die musikalische Unterstützung einer TV-Serie. | |
Die Serie ist erkennbar in Norddeutschland angesiedelt, in einer großen | |
Stadt. Der Protagonist spricht mit nordischem Zungenschlag. Was macht für | |
Sie als Zugezogener dieses Wesen aus? | |
Es ist zwar ein Klischee, dass man sich die Herzlichkeit im Norden | |
erarbeiten muss, aber da ist schon was dran. Wenn man mit den Leuten per du | |
ist, dann ist dieser breite Hamburger Slang auf einmal ganz warm, trotz | |
aller Ruppigkeit. Das Ruppige und das Protestantische tut einem alten | |
westfälischen Katholiken wie mir ganz gut. Sie haben ja gesagt, dass mein | |
Soundtrack dezent klingt, daher glaube ich, dass dieses Norddeutsche | |
genauso hörbar ist. Aber kuck mal hier, die goldenen Knöpfe, wie dezent | |
sind die denn? | |
Die erinnern mich an Wim Thoelke, Ihre Jackettknöpfe. Da kommt die | |
bundesdeutsche TV-Vergangenheit wieder zum Vorschein. | |
Ja stimmt, das ist ein klassischer BRD-Look. Understatement ist eine Sache, | |
die ganz okay ist, im Hanseatischen. | |
Definieren Sie bitte Understatement: | |
Understatement ist die Hoffnung, dass die eigenen Fähigkeiten erkannt | |
werden, ohne dass man sich mit Reklame zuhängen muss. Was soll ich denn ein | |
buntes Sweatshirt tragen, wo irgendwas draufsteht. Ein Pullover in Beige | |
reicht aus. | |
Eine besondere Understatement-Melodie ist Ihnen für die Folge | |
„Amtsschimmel“ gelungen. Ein sehr deutsches Wort: Amtsschimmel. Aber Sie | |
garnieren diese Melodie mit Blue Notes. | |
Auf das filigrane Stück „Amtsschimmel“ bin ich richtig stolz. Da habe ich | |
dem Jacques-Tati-artigen Ambiente beim Gang durch die Instanzen sinnhafte | |
Musik hinzugefügt. Natürlich kommen da Blue Notes drin vor, das geht | |
irgendwann auf und ist ja auch der Reiz an der Geschichte. Ich lasse das in | |
ein Henry-Mancini-Motiv aus seinem Soundtrack für „Inspektor Clouseau“ | |
münden. Eine Hommage. Ich habe eigentlich nur meine musikalische Intuition | |
genutzt, um sie dann einer Szene unterzuordnen. Das war befreiend. | |
15 Jan 2019 | |
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## AUTOREN | |
Julian Weber | |
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