| # taz.de -- Filmkomponist Peter Thomas: Der Meister der Library Music | |
| > Viele kennen die Musik von Peter Thomas aus Titelmelodien legendärer | |
| > TV-Serien wie „Der Alte“. Jetzt wird sein Werk zugänglich gemacht. | |
| Bild: Szene aus der Serie „Raumpatrouille Orion“, 1966 erstausgestrahlt | |
| Seit seiner Wiederentdeckung im Rahmen des Easy-Listening-Hypes in den | |
| 1990ern hat Peter Thomas (1925–2020) einen festen Platz in der deutschen | |
| Pop-Geschichte. Bei Boomern ist der Komponist dank seiner ikonischen | |
| TV-Titelmelodien der 1960er und 1970er Jahre („Raumpatrouille“, „Der Alte… | |
| etlicher Edgar-Wallace-Verfilmungen u. v. a.) ohnehin unlöschbar im | |
| Mediengedächtnis gespeichert – auch wenn nicht alle, die mit seiner Musik | |
| aufwuchsen, seinen Namen parat haben. | |
| Jüngere Generationen schafften sich eher über die Metaebene Zugang, nutzten | |
| Thomas’ Produktionen als einen unerschöpflichen Steinbruch für Samples oder | |
| freuten sich schlicht, dass abseits der pophistorischen Haupterzählung auch | |
| noch Werke geschaffen wurden, die ganz anders, nämlich absichtlich | |
| unauthentisch mit den seinerzeit gängigen und unantastbaren Ingredienzien | |
| aus Jazz, Pop und Rock umgingen. | |
| Peter Thomas war enorm produktiv. Neben den populären Titelmelodien | |
| produzierte er auch [1][unendlich viel Hintergrundmusik für TV und Kino | |
| sowie einen noch kaum zu überblickenden Schatz an sogenannter Library | |
| Music.] Seit 2007 kümmert sich das Peter-Thomas-Archiv um die | |
| Katalogisierung seiner Werke, anfänglich noch unter reger Mitarbeit des | |
| Komponisten persönlich. | |
| 2021 rief Thomas’ Sohn Philip dann das Label MuZikBeater ins Leben, das die | |
| Original-Soundtracks digital zu vertreiben begann und mittlerweile schon | |
| über ein Dutzend Alben veröffentlicht hat. Mit „The Tape Masters Vol. 1 – | |
| Library Music“ erscheint nun eine Compilation mit 25 Stücken als | |
| Doppel-10-Inch, die in das Library-Music-Werk des Maestros einführt. | |
| ## Eher unwillig geduldet | |
| Es ist eigentlich ungerecht, dass Library Music nach wie vor im großen | |
| Fluss der Pop-Geschichtsbeschreibung nur ganz am Rand und eher unwillig | |
| geduldet wird. [2][Library Music – das für diejenigen, die jetzt die Stirn | |
| in Falten legen und sich fragen: „Muss ich wissen, was das ist?“ – ist ei… | |
| Art Gebrauchsmusik, die speziell für die Nutzung in Filmen und im TV | |
| produziert wird.] | |
| Sie ist für gewöhnlich GEMA-frei, das heißt, ihre Urheber verzichten gegen | |
| eine Einmalzahlung seitens einer Produktionsfirma auf Urheberrechte und | |
| etwaige Tantiemenzahlungen. Die Produktionsfirma bietet sie wiederum Film- | |
| und TV-Produktionen an, die bei Interesse ebenfalls nur eine Einmalzahlung | |
| leisten und so ihre Zahlungen an Urheberrechtsgesellschaften minimieren | |
| können. | |
| Am gewöhnlichen Musikmarkt geht diese Gebrauchsmusik völlig vorbei. Der | |
| gemeine Endverbraucher kommt nur in ihren Genuss, wenn er einen Film sieht, | |
| in dem sie eingesetzt wird. Dabei werden im Normalfall keine Credits | |
| genannt: Im Bereich der Library Music ist Anonymität der Regelfall. Es hat | |
| deswegen auch lange gedauert, bis die Liga der Musik-Connaisseure auf diese | |
| Unterwelt aufmerksam wurde. | |
| Das geschah einerseits, weil die meisten der dort aktiven Musiker*innen | |
| auch noch ein Leben im frei zugänglichen Bereich der Musik haben, gerne als | |
| Soundtrack-Komponist*in und/oder als ausübende*r Musiker*in. Zum anderen | |
| begannen durch die Ausbreitung der CD speziell in Großbritannien sich immer | |
| mehr Produktionsfirmen von ihren Vinylbeständen zu trennen, so dass ihre | |
| Objekte nun doch auf einmal zwischen den normalen | |
| Industrieveröffentlichungen zu finden waren. | |
| ## Eine Wiederentdeckung | |
| Allerdings geschah das im zweiten Markt, bei den Secondhand-Dealern und auf | |
| Flohmärkten, wo diese merkwürdig nüchtern gestalteten Platten dann bald das | |
| Interesse der Crate Digger weckten. | |
| [3][Einer von ihnen war der britische Autor, Musiker, DJ und Radiomoderator | |
| Jonny Trunk], der 1995 das Label Trunk Records in London gründete, das sich | |
| außer auf Soundtracks und frühe elektronische Musik besonders auf Library | |
| Music spezialisierte. | |
| Die Wiederentdeckung von Library-Komponist und Jazz-Experimentator Basil | |
| Kirchin und die Veröffentlichung [4][der Library-Produktionen von | |
| Elektronik-Pionierinnen wie Delia Derbyshire und Daphne Oram] brachten | |
| Trunk Records und Library Music schließlich in den Fokus der musikliebenden | |
| Öffentlichkeit im Vereinigten Königreich. 2005 veröffentlichte Trunk den | |
| Bildband „The Music Library“, der sich vor allem der ganz eigenen Ästhetik | |
| der Covergestaltung des Genres widmet und schnell zum Standardwerk | |
| avancierte. | |
| Es gibt in diesem Bereich noch viel zu entdecken, denn Library Music gibt | |
| es seit der Stummfilmzeit. Der niederländische Musiker Meyer de Wolfe | |
| gründete 1909 das Unternehmen De Wolfe Ltd., das an Kinos Noten von Stücken | |
| vertrieb, die eigens zur Untermalung von Filmvorführungen komponiert worden | |
| waren. | |
| ## Willkommenes Zubrot | |
| Mit Beginn der Tonfilmzeit ab 1927 fing die Firma De Wolfe Ltd. an, Musik | |
| auf Schellackplatten und auf 35-mm-Nitratfilm aufzuzeichnen und an Kinos | |
| und Produktionsfirmen zu vertreiben. In den 1930er Jahren wurde vor allem | |
| die musikalische Untermalung von Kino-Nachrichtenshows ein wichtiger neuer | |
| Markt. | |
| Nach dem Zweiten Weltkrieg expandierte De Wolfe mit großem Erfolg in die | |
| USA und stieg in die Produktion von Werbemusik ein. Ab 1962 verschickte die | |
| Firma an ihre Kunden ihre neuesten Produktionen im Format 10-inch LP. Es | |
| waren diese Veröffentlichungen, die zunächst die Aufmerksamkeit von Jonny | |
| Trunk erhielten. | |
| Library Music war für viele Musiker*innen ein willkommenes Zubrot. Die | |
| Elite des britischen Free Jazz etwa oder auch die britische Rockband The | |
| Pretty Things waren sich nicht zu schade, mit solchen Jobs an einem | |
| Nachmittag mehr Geld als auf einer kompletten Club-Tour zu verdienen. In | |
| Deutschland war es nicht anders. | |
| Auf Golden Ring Records etwa, dem Library-Music-Label des Musikverlags Ring | |
| Musik aus Frankfurt, erschien ab 1964 die durchnumerierte „Sound Music | |
| Album“-Reihe mit Alben unter der Mitwirkung von renommierten Jazzern wie | |
| Rolf Kühn, Coco Schumann und Dieter Reith. Auch Peter Thomas | |
| veröffentlichte regelmäßig in dieser Reihe. Dabei dürfte neben der | |
| Verdienstmöglichkeit auch die Anonymität eine Rolle dabei gespielt haben, | |
| die Produktion von Library Music reizvoll zu machen. | |
| ## Musikalische Regeln brechen | |
| Egal, ob man eigentlich als Teil einer Band, als Schöpfer von Soundtracks | |
| fürs Mainstream-Kino oder als Avantgarde-Jazzer Karriere machen wollte – | |
| [5][in dieser speziellen Welt durfte man wild herumexperimentieren, | |
| musikalische Regeln brechen, mal einfach nur Quatsch machen oder ganz | |
| ernsthaft in dieser vor den marktüblichen Kommerzialitätsanforderungen | |
| geschützten Nische endlich seine kühnsten avantgardistischen Ideen | |
| verwirklichen.] | |
| Hört man sich „The Tape Masters Vol. 1“ an, denkt man: Bei Peter Thomas war | |
| es von jedem etwas. „Hammond A Lolo“ wirkt zunächst wie ein handelsüblich… | |
| Instrumental an der Hammond-Orgel, wird aber durch gewagten Effekteinsatz | |
| eher zum Fall von uneasy Listening; „Lazer“ ist eigentlich nur ein | |
| mörderisch verzerrtes Gitarrensolo auf einem Schlagzeug-Groove, „Evening | |
| Air A“ ist ein funky Jam auf Basis des „Come Together“-Bass-Riffs der | |
| Beatles. | |
| „Electric Cats“ ist eine Noise-Forschungsreise auf funky Beat, während | |
| „Galaxy Fall Out“ und „Nightmare On LSD“ komplett abstrakte Klangabente… | |
| sind. Man sieht hier auch noch mal, wie in der Popmusik die Komposition | |
| immer mehr zugunsten der Klanggestaltung in den Hintergrund trat. | |
| Bei Längen von um die zwei Minuten (also beste Tiktok-Länge!) lässt sich | |
| eine kompositorische Dramaturgie nur schwer entwickeln, aber ein | |
| ungewöhnlicher Klang wird in dieser Kürze nicht gleich wieder langweilig. | |
| ## Als die Musikszene durchlässig war | |
| Auch interessant, wie durchlässig die Musikszenen der 1960er und 1970er | |
| Jahren offensichtlich waren, denn unter Peter Thomas’ Leitung arbeiteten | |
| Kraut-Rocker wie Lothar Meid (Amon Düül II) und Wolfgang Paap (Embryo, | |
| Brainticket) Hand in Hand mit Jazzern wie Klaus Weiss und Sigi Schwab und | |
| Virtuosen aus der Welt von Schlager und TV-Big-Bands wie Charly Tabor (Bert | |
| Kaempfert) und Josef Hierl (Max Greger). | |
| Nun, diese Zeiten sind unwiederbringlich vorbei. Inzwischen werden diese | |
| Jobs mehr und mehr auf KI übertragen. Mal sehen, was die Urenkel von Jonny | |
| Trunk dereinst von alten Festplatten retten und über welche | |
| Übertragungswege sie die Öffentlichkeit daran teilhaben lassen … | |
| 26 Sep 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Werkschau-der-britischen-Band-Broadcast/!5842909 | |
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| [3] https://www.trunkrecords.com/ | |
| [4] /Elektronikpionierin-Daphne-Oram/!5210764 | |
| [5] /Erobique-ueber-Filmmusik/!5564630 | |
| ## AUTOREN | |
| Detlef Diederichsen | |
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