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# taz.de -- Tatortreinigerfirmen auf Instagram: Die Faszination des Schrecklich…
> Ein fragwürdiger Social-Media-Hype: Reinigungsfirmen aus den USA teilen
> Bilder von Blutflecken auf Instagram. Dafür regnet es Likes.
Bild: Das fasziniert auf Instagram: Nach der Spurensicherung kommen die Tatortr…
Eigentlich ist Instagram ein Kosmos, in dem herausgeputzte Influencer*innen
die Hauptrollen spielen. Doch das Sammelsurium aus glänzendem Parkettboden,
weißen Flügeltüren und symmetrisch drapiertem Müsli lässt offenbar auch
Raum für Ekel zu. Wird der Plattform häufig nachgesagt, dort sei zu vieles
inszeniert, zu wenig echt, so liefert ein neuer Trend nun die gehörige
Portion Authentizität – in Form von Blut, Müll und Leichenteilen.
Tatortreinigerfirmen aus den USA stellen Bilder ihrer Arbeit ins Netz,
führen mit Selfiekamera durch die Orte, an denen Menschen gestorben sind.
Zu sehen sind vollkommen verwahrloste, zugemüllte Wohnungen, riesige
Blutflecken auf Teppichen, an Wänden und in Autos. Die Bildbeschreibungen
liefern Informationen zu den Umständen des Todes. Die Kommentare zeigen
eine Mischung aus Ekel und Abscheu. Accounts wie diese haben
Hunderttausende Abonnent*innen, ein Bild von einem Blutfleck kommt auf etwa
6.000 Likes. Wie kommt dieser Hype zustande und wie ist er zu bewerten?
Bei dem Wort Tatortreiniger denken die meisten Deutschen zuerst an die
NDR-Serie mit Bjarne Mädel: Hamburger Dialekt und weißer Pick-up. Michael
Lehmann ist CEO der Studio Hamburg Production Group und Geschäftsführer der
Produktionsfirma Letterbox Filmproduktion, die „Der Tatortreiniger“
produziert hat. Die Serie wurde 2011 das erste Mal ausgestrahlt, [1][Ende
letzten Jahres schrubbte Schotty ein letztes Mal die Flecken aus den
Teppichen].
Persönlich könne sich Lehmann nicht für reale Tatorte faszinieren. „Ich
beschäftige mich als Produzent mit den fiktiven Tatorten. Dafür muss man
aber natürlich das Phänomen der Faszination kennen und verstehen.“ Er
betont, dass jede fiktive Abbildung auch einem „gewissen Realitätscheck der
Zuschauer“ unterliege und auf der „Basis der Realität“ stattfinde.
Den Instagram-Hype kann er sich mit einer „Schlüssellochperspektive“
erklären: „Die Leute sind vermutlich froh, dass sie mit der Sache an sich
nicht in Kontakt kommen und sich das aus einer Distanz heraus anschauen
können.“ Ähnlich wie beim Fernsehen, könnte man hinzufügen. Der
Serienerfolg hänge auch mit einer sehr realistischen Darstellung zusammen,
sei aber vor allem auf einen zurückzuführen: Bjarne Mädel. „Er hat die
Zuschauer mit seiner Emotionalität, seinem Charme, Witz und mit seinen
Haltungen überzeugt.“
## „Der wahre Tatortreiniger“
Dass „Der Tatortreiniger“ den Realitätscheck bestanden hat, dafür ist
Christian Heistermann mitverantwortlich. Bereits vier Jahre bevor Schotty
im Fernsehen mit schwarzem Humor und weißem Overall Wohnungen säuberte,
etablierte Heistermann den Begriff und den Beruf Tatortreiniger in
Deutschland. Er führt eine Gebäudereinigungsfirma in Berlin.
[2][Drehbuchautorin Ingrid Lausund] kam vor der Produktion der Serie auf
ihn zu, um Hintergrundinformationen über seinen Beruf zu erfahren.
Am Eingang von Heistermanns Büro in Berlin-Mahlsdorf hängt ein großes
Schild mit der Aufschrift „Der wahre Tatortreiniger“. Der sitzt mit einer
Zigarette in der Hand an seinem Schreibtisch und erzählt, wie es ist, den
Ort sauber zu machen, an dem ein Mensch gestorben ist. Für ihn ist das
Alltag. Er scheint großen Respekt vor dem Tod und dem Umgang damit zu
haben. Dass Bilder von realen Tatorten im Netz landen, hält er für
respektlos: „Ich würde mich an so einem Ort nicht selbst inszenieren, nur
weil ich da jetzt einen Fleck wegmache.“
Er habe selbst schon darüber nachgedacht, mit einer Kamera durch die
Tatorte zu gehen, „einfach um zu zeigen, was wir da machen“, sich jedoch
dagegen entschieden. „Wie sehen die Leute mich dann und wie sehen mich die
Angehörigen? Bis zu einer gewissen Grenze kann man schon gehen, aber man
muss nicht darüber hinausgehen, nur um nun noch mehr Aufmerksamkeit zu
erhaschen.“
Heistermann scheint sich als Tatortreiniger schon gern selbst zu
inszenieren. Auf Instagram und Facebook finden sich Bilder von ihm im
Overall und mit Atemschutzmaske. Doch auf seinen privaten Profilen und auf
denen seiner Firma sind keine Blutlachen oder vermüllte Wohnungen zu sehen.
Niemand führt durch einen Tatort, als sei es eine minimalistisch
eingerichtete Hipsterwohnung.
In Deutschland ist es verboten, natürliche oder verstorbene Personen ohne
Erlaubnis abzubilden. Gegen das Ablichten fremden Bluts spricht rechtlich
jedoch nichts. Richtlinie 8.7 des Pressekodexes verweist jedoch aus gutem
Grund auf Zurückhaltung in Bezug auf die Berichterstattung von Suiziden –
insbesondere in Bezug auf die Veröffentlichung von Fotos. Die
Tatortreiniger-Accounts sind voll davon und nutzen sogar den Hashtag
#suicide.
In den USA gibt es keinen Presserat. Und dort ist bekanntlich erst einmal
alles erlaubt, bis es verboten wird. Man kann mit Paragrafen und ethischen
Richtlinien für die Verwerflichkeit des Trends argumentieren. Man kann auch
mit gesundem Menschenverstand zu dem Schluss kommen, dass das, was die
Tatortreinigerfirmen in den USA machen, absolut nicht cool ist. Und das,
was die Follower machen? Diejenigen, die liken, kommentieren, sich
gegenseitig verlinken und den Hype damit erst zum Hype machen?
## Tod und Schrecken verkaufen sich gut
Dieses Verhalten begründet Peter Walschburger, Professor für Biopsychologie
an der Freien Universität Berlin, mit einem eigentlich gutartigen,
menschlichen Instinkt: der Faszination des Schrecklichen. Die Menschen
schauen, so Walschburger, in gefährlichen Situationen ganz genau hin, um
sich zu schützen. Der Trend im Netz sei vergleichbar mit dem, was passiert,
wenn auf der Straße ein Unfall passiert und die Menschen nicht wegschauen
können. Dieses „faszinierte Starren“, wie er es beschreibt, rühre daher,
dass man sich von aufregenden Dingen anziehen lasse.
Das Problem bei solchen Situationen im Netz sei, dass es einen großen
Wahrnehmungs- aber nur einen kleinen Handlungsraum gebe. Das lasse der
Fantasie freien Lauf. „Man sollte das Ganze jedoch nicht moralisch
erhöhen“, merkt Walschburger an. Film und Fernsehen seien auch voll von den
Motiven Tod und Schrecken. Die Beliebtheit dieser Themen baue auf derselben
Logik auf.
Dass sich Tod und Schrecken gut verkaufen – und zwar noch besser, wenn sie
echt sind – das zeigen Produkte wie Zeit Verbrechen, Stern Crime oder auch
das gute alte „Aktenzeichen XY“. Die Magazine und die Sendung bestehen aus
echten Verbrechen, hübsch aufbereitet für Rezipient*innen, denen der
sonntägliche „Tatort“ und all das andere Krimi- und Thrillermaterial in
Film, Fernsehen und Buchhandlung nicht krass genug ist.
## Rechtfertigung für das Posten fremden Bluts
Eine der Tatortreiniger*innen, die ihre Arbeit auf Instagram dokumentiert,
liefert eine Begründung, eine Rechtfertigung für das Posten fremden Bluts:
Laura Spaulder, auf Instagram @crimescenecleaning. Man wolle die Menschen
dazu auffordern, aufmerksamer zu sein und aufeinander zu achten, wenn man
zum Beispiel ein paar Tage nichts mehr aus der Nachbarwohnung hört,
erklärte sie gegenüber dem [3][Nachrichtenportal The Daily Beast].
Aufmerksamkeit in Form von Hunderttausenden Followern und bares Geld mit
dem Verkaufen von Merchandise werden nicht als Grund angegeben. Die
Menschen, die den Ort, an dem ein Mensch gestorben ist – ob natürlich,
durch Suizid oder Fremdeinwirkung – zu einem Social-Media-Schauplatz
machen, und das auch noch unter dem geheuchelten Vorwand einer guten Tat,
sollten dafür keine Likes, sondern reihenweise Meldungen bekommen oder
selbst auf die Idee kommen, es einfach zu lassen. Spätestens, wenn unter
dem Bild einer Blutlache in Folge eines Suizids der Kommentar auftaucht: „I
wish I had a gun too.“
22 May 2019
## LINKS
[1] /Tatortreiniger-wird-beendet/!5554461/
[2] /!5561410/
[3] https://www.thedailybeast.com/instagrams-new-stars-crime-scene-cleanup-spec…
## AUTOREN
Hanna Lohoff
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