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# taz.de -- Knarf Rellöm über Musik und Verschwörung: „Unendlich viele Pla…
> Der Musiker Knarf Rellöm liebt die Freiheit. Blöd allerdings, wenn die
> Freiheit in Verschwörungstheorien mündet und die Leute nur noch verbohrt
> sind.
Bild: Knarf Rellöm hatte schon 2006 voll den Durchblick
taz: Knarf Rellöm, warum machen Sie Musik?
Knarf Rellöm: Das ist eine freche Frage! Aber Sun Ra wurde das auch
gefragt. Er antwortete: weil Musik Treibstoff für Raumschiffe ist, und wir
sehr viel davon herstellen müssen, um weite Reisen im All unternehmen zu
können.
Sie sprechen vom US-Jazzmusiker [1][Sun Ra], der seine Band einst
„Arkestra“ nannte und behauptete, er wäre vom Saturn angereist, um den
Menschen Frieden zu bringen.
Ehrlich gesagt: Seine Musik finde ich manchmal echt anstrengend. Ich bin
eher ein Anhänger des Philosophen Sun Ra. Musik als Raumschiff-Antrieb –
das ist doch interessant! Da tun sich Fragen auf, die ans Eingemachte
gehen. Ist Musik von Miley Cyrus guter Treibstoff für Raumschiffe? Und wer
sollte den herstellen?
Gute Frage. Aber warum heißt Ihr neues Projekt nun „Knarf Rellöm Arkestra�…
Nun, wer das hört, denkt natürlich an Jazz. Damit haben wir wenig zu tun.
Ich orientiere mich eher am Philosophen Sun Ra. Unsere Musik ist
eklektisch, wir bedienen uns überall. Wir benutzen vor allem Funk, aber das
wäre etwas zu eng als Korsett. Der Autor Martin Büsser hat unsere Musik
einmal „Message Dancefloor“ genannt. Das hat mir gefallen.
Weil Ihre Musik politisch ist?
Genau. Und weil House, Techno und Dub große Einflüsse sind. Aber am besten
sind die, wenn sie ihre Grenzen überschreiten. So wie beim Punk.
Einer der Schlachtrufe auf dem Album ist „Soulpunk“. Was ist das?
Das ist das Beste aus zwei Welten. Soul und Punk, da denke ich an Dexys
Midnight Runners. Oder in Hamburg an die Liga der Gewöhnlichen Gentlemen.
Punk ist immer der Anfang. Selbstermächtigung! Wenn du was zu sagen hast,
kann du es machen, auch wenn du keine Noten lesen kannst. Ich habe einst
versucht, komplizierte Jazzrock-Soli nachzuspielen, und bin gescheitert.
Für Punk braucht es nur drei Akkorde, los geht’s! Hab keine Angst, wenn’s
einfach klingt!
Punk prägte auch Ihre Zeit als Roadie der [2][Goldenen Zitronen] um 1990
herum.
Eigentlich mochte ich Hip-Hop lieber. Ich habe mir dann meinen
Trainingsanzug unten aufgeschnitten, so wurde es eine Mischung aus Punk und
Hip-Hop. Mit dem Zitronen-Sänger Schorsch Kamerun habe ich dann auf der
Bühne einen Battle gemacht, wer mehr Zuschauer*innen für sich gewinnen
konnte: er für Punk oder ich für Hip-Hop? Das Publikum bestand natürlich
zum großen Teil aus Punks, also habe ich immer viel Hass abbekommen. Das
war herrlich.
Was Sie schon mit Ihrer Band „Huah!“ Ende der Achtziger drauf hatten: die
Dialektik aus Diskurs und Party. Sie galten damals als Vorreiter der
[3][Hamburger Schule]. Waren Sie damit glücklich?
In den Neunzigern gab es auf der einen Seite die Intellektuellen und auf
der anderen die Punks. Die haben einander gehasst – man musste sich erst
einmal näher kommen. Aus dieser Melange aus Liebe und Hass zu
Intellektualität entstand eigentlich erst die Hamburger Schule. Anfangs
habe ich mich immer gegen diesen Begriff gewehrt. Ich hatte das Gefühl:
Wenn ich mich der Hamburger Schule zurechne, denken alle nur an „Blumfeld“
oder „Die Sterne“. Ich dachte, ich verschwinde im Nichts, wenn ich mich
dazu zähle. Aber mittlerweile habe ich nichts mehr gegen den Begriff. Es
ist schon ein Phänomen, das beschreibt, was in den 90ern in Hamburg
passiert ist.
Ganz schön intellektuell auch: Ihr [4][neues Album] heißt „Kritik der
Leistungsgesellschaft“.
Der Titel stammt vom Künstler Diego Castro. Der hat eine Zeichnung
geschaffen, auf der Superman in einem Buch namens „Kritik der
Leistungsgesellschaft“ blättert und sehr verwirrt guckt. Fand ich super.
Damit war klar: Das Bild muss aufs Cover und die Platte muss so heißen. Ja,
das klingt nach „Dialektik der Aufklärung“, nach Adorno und Co. Aber da
müssen die Leute jetzt durch.
Bleiben wir intellektuell. Im Song „Die Känguru Theorie“ heißt es: „Wen…
keinen Unterschied zwischen Fantasie und Realität gibt, gibt es auch keinen
zwischen Kunst und Wissenschaft.“ Was bedeutet das?
Wenn wir annehmen, dass es unendlich viele Planeten mit intelligentem Leben
gibt, dann gibt es auch unendlich viele Möglichkeiten. Alles, was wir uns
vorstellen können, wäre wahr. Das bedeutet, dass Fantasie und Realität das
Gleiche sind. Das mag nach Verschwörungsgeschwurbel klingen. Aber für mich
bedeutet das zunächst: Freiheit der Kunst.
Dennoch begeben Sie sich damit in gefährliche Gewässer …
Nehmen Sie das Buch „Angela Merkel ist Hitlers Tochter“, das
Verschwörungstheorien behandelt. Die Autoren gehen davon aus, dass neben
anderen die Hippies in den 60ern die Grundlagen für die heutigen
Verschwörungstheorien gelegt haben. Ihr Motto war: Du kannst deine eigene
Wirklichkeit erschaffen. Man versucht, Grundlagen für Freiheit zu erzeugen,
erzeugt aber absolute Unfreiheit.
Sie selbst thematisieren das im neuen Song „Say it Loud!“.
In dem Song gibt es die Zeile: „Du sitzt vorm Computer und willst nichts
wissen.“ Diese Verschwörungstheoretiker forschen ja nicht wirklich. Die
bekommen in ihren Blasen nur die Argumente für ihre eigenen Theorien
serviert. Diese Verbohrtheit kritisiere ich. Ich musste mal abrechnen mit
all den [5][AfD]-Fans. Im Song heißt es: „Du tanzt Donald Trump, du tanzt
Victor Orbán“. Das ist natürlich eine Verneigung vor DAF und ihrem
„Mussolini“. Für den Titel habe ich eine halbe Zeile von James Brown
geklaut und musste dann noch einen deutschen Reim dazu finden: „Say it Loud
– du hast Scheiß gebaut.“
Sollte man denn im Pop überhaupt politische Slogans kreieren?
Warum nicht? Ich kann mir das erlauben. Aber das machen ja auch andere.
„Nie wieder Krieg“ heißt das neue Album von Tocotronic. Toller Slogan, und
wenn man genau hinhört, merkt man, dass es eigentlich ein Liebeslied ist.
Einer Ihrer neuen Slogans ist: „Die Mieten sind zu hoch.“
Solche Schlagwörter machen sich natürlich besonders gut in Refrains. Ich
hätte nichts dagegen, wenn der Song ein Riesenhit wird. Und hoffe, dass er
auf allen Straßen bei jeder Demo gegen Mietexplosionen gespielt wird.
Sie werden im September 60 Jahre alt – eigentlich ist das Alter von
Popkünstler*innen heute kein Thema mehr, oder?
Bei den Soultypen hat es schon immer niemanden interessiert. Es fing erst
mit dem Rock ’n’ Roll an, dass man das als alter Mensch nicht machen darf.
Aber das ist obsolet geworden. Jetzt geben nicht mehr bloß die Alten noch
Konzerte, auch die Uralten.
16 May 2022
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## AUTOREN
Jan Paersch
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