# taz.de -- Neues Album von Knarf Rellöm: Du tanzt den Putin | |
> Northern-Soul, Funk, Dub, House und Krautrock, Knarf Rellöm hat alles | |
> drauf. Auch auf seinem neuen Album „Kritik der Leistungsgesellschaft“. | |
Bild: „Keine Diskussion – Perkussion!“, fordert Knarf Rellöm | |
Der Hamburger Künstler Knarf Rellöm erweist sich auf seinem neuen Album | |
einmal mehr als popkultureller Universalgelehrter: Er schmückt sich wie und | |
benennt sich nach Sun Ra („Knarf Rellöm Arkestra“) und behauptet, erst üb… | |
den Planeten Neptun in seine sehr irdisch anmutende norddeutsche | |
Geburtsregion Dithmarschen gelangt zu sein. | |
Rellöm zitiert DAF, Kraftwerk, Joseph Beuys und Dub-Reggae-Pionier King | |
Tubby gleichermaßen, und in dem Protestsong „Die Mieten sind zu hoch“ | |
schafft er es sogar, Agitprop und Funk miteinander zu versöhnen. | |
„Kritik der Leistungsgesellschaft“ hat Knarf Rellöm sein erstes volles | |
Album seit 2015 ganz postironisch genannt, und es ist dem Werk anzuhören, | |
dass er vor allem angloamerikanische Popkultur aufgesogen hat und nicht | |
erst seit gestern im Geschäft ist. Knarf Rellöm, Jahrgang 1962, wirkte in | |
den Achtzigern bereits in der [1][Hamburger Band Huah!] mit. Er ist von | |
Punk und Außenseiterkunst geprägt, wie in frühen Solosongs wie | |
[2][„Autobiografie einer Heizung“] (1997) zu vernehmen war. | |
Gemeinsam mit Bernadette La Hengst und dem 2020 verstorbenen Schweizer | |
Musiker Guz bildete er später auch die Band Die Zukunft ([3][„Drogen Nehmen | |
Und Rumfahren“], 2010), zusammen mit Manuel Scuzzo bildet er die | |
[4][Umherschweifenden Produzenten]. Seinen Allerweltsnamen Frank Möller hat | |
er als Künstler früh abgelegt und buchstabierte seinen bürgerlichen Namen | |
einfach rückwärts. | |
Funky und tanzbar klingen Knarf Rellöms neue Songs. Vielleicht mehr als je | |
zuvor ist die Musik an Stilen wie Northern-Soul, Dub, House und Krautrock | |
geschult. Während frühere Soloalben musikalisch noch nicht so ausgefuchst | |
waren und eher durch die Slogans glänzten, verbindet Knarf Rellöm | |
inzwischen lustige bis politische Textzeilen mit toll produzierten Beats, | |
Synthie-Schleifen und Saxofon-Einsätzen, die an die Dexy’s Midnight Runners | |
erinnern (gespielt von Torben Wesche). | |
Unterstützung bei der Produktion erhielt Dubby King Knarf, wie er sich in | |
einem seiner vielen Pseudonyme nennt, von dem Berliner Duo Mittekill und | |
dem Hamburger Musiker Ronnie „Alien“ Henseler. Mit den Albumtexten kann man | |
Knarf Rellöms Lebensweg von den 1980ern bis in die Gegenwart verfolgen. | |
## Touren durch die Provinz | |
So dürften die Erlebnisse, die er in dem Spoken-Word-Track „Odysseus, | |
Faust, Ahab und Quasimodo“ schildert, biografischer Natur sein, geschrieben | |
hat er den Text schon zu Huah!-Zeiten. Er erzählt von den lebensveränderten | |
Erfahrungen, die vier junge Männer machen, während sie als Punkband durch | |
die Gegend tingeln. Bei jedem Auftritt – vermutlich in westdeutschen | |
Jugendzentren in der tiefsten Provinz – hoffen sie darauf, mit ihrer | |
Performance bei den örtlichen Punkgirls landen zu können. Dieser Plan geht | |
natürlich meist schief. | |
Die Schlüsselmomente von „Kritik der Leistungsgesellschaft“ liefern eher | |
Songs mit aktuellem politischen Bezug, nicht nur das bereits erwähnte „Die | |
Mieten sind zu hoch“, sondern auch der Anti-AfD-Tanzflächenkracher „Say it | |
loud!“. Knarf Rellöm spielt darin textlich auf DAF an („Du tanzt Alice | |
Weidel / Du tanzt den Putin / Du tanzt Lügenpresse“), musikalisch ist er | |
dabei aber eher in wärmeren Funk- und Soul-Gefilden unterwegs. | |
Joseph Beuys wird dagegen im Auftaktsong mit seinem Slogan [5][„Letzte | |
Warnung an die Deutsche Bank“] zitiert, während das Stück „Staring at the | |
Rude Girls“ den Punk-/Reggae-/Dub-Altmeistern von The Ruts sowie King Tubby | |
gewidmet ist. | |
Als Hommage ist auch der Song mit dem Titel „Keine Diskussion/Perkussion!“ | |
zu verstehen, steigt der Track doch mit Vocodergesang ein, ehe er sich mit | |
geloopten Beats zu einem hypnotischen Clubtrack auswächst. | |
„Wenn Sprache einen Rhythmus hat, könnt ihr dazu tanzen“, heißt es darin, | |
und vielleicht verbirgt sich hinter diesen Zeilen die größte Qualität Knarf | |
Rellöms: Ihm gelingt es, Lässigkeit und Lockerheit, Funk und Flow in | |
deutschsprachige Popmusik zu übertragen. Im hiesigen Mainstream gelingt | |
dieses Kunststück viel zu selten (von Jan Delay und wenigen anderen | |
abgesehen) – wie gut also, dass auf den Hamburger Underground und den Mann, | |
der einst Frank Möller hieß, Verlass ist. | |
12 Mar 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.youtube.com/watch?v=suHTjc_ik7s&list=RDEMiZy1s0RhN2qY-9ldsN… | |
[2] https://www.youtube.com/watch?v=tIwMU1NGVGM | |
[3] https://www.youtube.com/watch?v=71sg-ThOQ6o | |
[4] https://www.facebook.com/umherschweifendeproduzenten/ | |
[5] https://www.van-ham.com/de/kuenstler/joseph-beuys/joseph-beuys-letzte-warnu… | |
## AUTOREN | |
Jens Uthoff | |
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