# taz.de -- Schweizer Musiker Guz gestorben: Nicht aufhören | |
> Der Schweizer Songwriter Oliver Maurmann, genannt Guz, ist an einem | |
> Herzleiden gestorben. Er wurde nur 52 Jahre alt. Ein Nachruf von einer | |
> Freundin. | |
Bild: Die Zukunft 2008: Knarf Rellöm, Bernadette La Hengst und Olifr. M Guz (v… | |
Ich will keinen Nachruf schreiben. Aber ich will auch nicht, dass du weg | |
bist. So viele todessehnsüchtige Lieder hast du bereits komponiert, | |
angefangen mit „Bettina, ich wünschte, ich wär tot“ bis zu „Das Ende ist | |
nah“. Wenn ich jetzt wieder deine Lieder höre, weiß ich sofort, warum ich | |
dich so mochte. | |
Du warst einfach ein einzigartiger Mensch und ein ganz besonderer | |
Songschreiber. Deine Sehnsucht an den schwarzen Fluss gerichtet haute mich | |
einfach um: „Die einen fahren auf der Autobahn zur Hölle, doch ich geh zu | |
Fuß“. Und deine Songs über die Schweizer Stadt Schaffhausen, die eigentlich | |
eine Illusion ist, oder über die „Geheime Weltregierung“ waren universell | |
verstehbare Lieder über das Verlorensein. | |
Deine Stimme klang immer, als stündest du am Rand des Zusammenbruchs. Sie | |
war punk-geschult, aber hatte nichts von Fußball-Gröl-Ästhetik. Höchstens | |
schlugst du sie an, um einen Witz darüber zu machen. Die Stimme schien | |
einfach so aus dir rauszukommen, weil du ein heiseres Inneres hattest. | |
Wir trafen uns Mitte der 90er bei einem Konzert deiner Band Die Aeronauten | |
in Hamburg. Als ich zum ersten Mal deine Stimme hörte, dachte ich, wow, | |
Oliver hat was zu erzählen. Und er klingt ganz anders als die Sänger der | |
[1][Hamburger Schule], nicht so aufgesetzt, sondern eher im Blues und im | |
Garagerock zu Hause. Und außerdem, du kamst gar nicht aus Hamburg, sondern | |
aus Schaffhausen, einer kleinen Grenzstadt an der schweizerisch-deutschen | |
Grenze mit dem großen Rheinfall. | |
Wenn ich dich besuchte oder mit einer meiner Bands in Schaffhausen spielte, | |
konnte ich spüren, wie verloren du dich dort gefühlt haben musst, und | |
gleichzeitig warst du so sicher, in deinem Kosmos, deinem Startrack Studio, | |
in dem du unendlich viel Musik produziert hast. Du warst ein Maniac, | |
rastlos, du konntest nicht aufhören, egal wie spät es war, wenn eine | |
Aufnahme noch nicht fertig war, dann verbrachtest du die Nacht im Studio, | |
bevor du mit einer guten Flasche Wein nach Hause gingst. Da ging es dann | |
noch weiter bis zum nächsten Morgen, obskure Punkplatten wurden | |
vorgespielt, über alles Mögliche diskutiert, immer unterlegt mit deinem | |
trockenen Humor, der mich oft so zum Lachen brachte, dass ich | |
Bauchschmerzen bekam. | |
Und dann gründeten wir irgendwann eine Band. Die Zukunft. Die Idee kam von | |
Ingo, der mit seinem Label Ritchie Records in Freiburg seit Jahren unsere | |
Alben auf Vinyl rausbrachte. Sein Wunsch war es, zu seinem 40. Geburtstag | |
mit seinen drei Lieblingsmusikern, Knarf Rellöm, Guz und mir zusammen ein | |
Konzert zu veranstalten. Aber nicht nacheinander, wir sollten miteinander | |
spielen. Er buchte dann auch gleich drei Tage in einem Freiburger Studio, | |
damit wir gemeinsam entwickelte Songs aufnehmen konnten. Aus einem | |
Wochenende wurden dann viele weitere und wir nahmen ein ganzes Album für | |
Ritchie Records auf, das Trikont auch auf CD veröffentlichte. | |
Eine Band aus drei Frontsäuen mit drei unterschiedlichen Egos, die es | |
gewohnt waren, die Chefs zu sein. Wie sollte das funktionieren? Ich glaube, | |
ohne „Olifr“ hätte es nicht geklappt, denn er wusste genau, wie man aus | |
Dreck Gold macht. Und er wusste, wie man Humor, obskure Texte und Sehnsucht | |
zusammenbringt. Wir hatten viel Spaß im Studio und auf der Bühne, wir | |
konnten einander Platz lassen, jede/r konnte glänzen und gleichzeitig die | |
anderen unterstützen. | |
Die Zukunft wurde zur Traumband voller Spielfreude und Improvisation, | |
unsere langjährige Bühnenerfahrung von zusammengenommen 75 Jahren half | |
dabei, und immer auch eine gute Flasche Wein. | |
Die einzige Regel war, dass die Songs nicht fertig sein durften, so dass | |
die anderen immer noch was dazugeben konnten. Zum zweiten Studiotermin kam | |
Oliver mit einem Song, den er unterwegs im Zug geschrieben hatte. Er war | |
schon fertig, also ein Bruch der Regel. Aber es war so ein toller Song, | |
dass wir eine Ausnahme machten. Er heißt „Drogen nehmen und rumfahren“. | |
Sein Titel traf genau Olivers Sinn für Humor und Romantik. Wir nahmen ihn | |
an einem Tag auf und hatten dem später auch nichts mehr hinzuzufügen. Dass | |
dies Olivers (und auch ein bischen unserer) größter Hit werden würde, | |
konnten wir nicht ahnen. | |
Mittlerweile hat der Videoclip fast eine Million Klicks und die Kommentare | |
auf Youtube brechen nicht ab. Finanziell hat Olfr dieser Erfolg leider gar | |
nichts gebracht. Er stand immer kurz vor dem Bankrott, immer am Rand, wurde | |
immer heiserer, glaubte immer weniger, dass er mit der Musik noch einmal | |
berühmt werden würde. | |
Seine Band Die Aeronauten pausierten oft, machten dann aber doch wieder | |
weiter. „Too big too fail“ hieß eins der späteren Alben, das diesen | |
Widerspruch zwischen Erfolg und Punk thematisierte. Mit seinen vielen | |
ebenso fantastischen Soloalben als Guz und mit den Aufträgen als | |
Theatermusiker tourte er weiterhin durch die Welt, rastlos und ohne | |
auszuruhen. | |
Die einzigen Pausen, die er genoss, waren lange Spaziergänge und | |
Wanderungen, etwa im Appenzell, wo die Aeronauten sich oft in einem Älpli | |
in den Bergen trafen, um an neuen Songs zu arbeiten. | |
Der erste Herzinfarkt kam schon vor zehn Jahren. Danach hat er keine | |
Zigarette mehr angerührt, und dennoch kam vor zwei Jahren der zweite und | |
der dritte Infarkt. Seitdem wartete er auf ein neues Herz. Vielleicht war | |
sein Herz einfach nur heiser? Wie jetzt bekannt wurde, hat es am Montag | |
aufgehört zu schlagen. | |
23 Jan 2020 | |
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## AUTOREN | |
Bernadette Hengst | |
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