# taz.de -- Die Wiener Künstlerin Eva Jantschitsch alias Gustav: Die Welt als … | |
> Gustav veröffentlicht mit "Verlass die Stadt" ihr zweites Album. Nach | |
> "Rettet die Wale" wagt sie einen Postpop-Blick auf das Leben im Unterholz | |
> unter erschwerten Bedingungen. | |
Bild: Die Sängerin Gustav mit dem Schauspieler Christoph Zadra während einer … | |
Wenn es einen Mythos gibt, dem selbst die Ortlosigkeit der elektronischen | |
Medien wenig anhaben kann, dann der Ruf der Großstadt als | |
Vergnügungszentrale und Glamourstandort, Warenumschlagplatz und | |
Durchlauferhitzer von Glücksversprechen. In dieser affirmativen Sichtweise | |
überlagern sich Räume, Zeiten und Möglichkeiten der Stadt, in denen | |
Individuen ständig versuchen, sich ökonomisch, sozial oder kulturell anders | |
zu positionieren. "Die Stadt ist der Ort von Lust und Gefahr, von Chance | |
und Bedrohung. Sie zieht an und stößt ab und kann das eine nicht ohne das | |
andere", postulierte der Soziologe Zygmunt Baumann. | |
"Verlass die Stadt, die keine ist/ Ein neuer Wundbrand in Athen/ Sist an | |
der Zeit/Endlich zu gehen", singt die Wiener Künstlerin Eva Jantschitsch | |
alias Gustav im Titeltrack ihres neuen Albums "Verlass die Stadt", quasi | |
als Schlaflied für den ewigen Mythos Großstadt. Gustav möchte lieber nicht, | |
dass uns in der griechischen Polis bei lebendigem Leibe Körperteile | |
abfallen. Und trotzdem kann sie der Stadt auch nicht einfach entkommen, | |
zumindest nicht in ihrer Fantasie. Obwohl Wien, ihr Heimatbahnhof, gar kein | |
Ort für Müßiggang ist: "Es ist Sommer in Wien / Und nicht Stalingrad, sagt | |
er / Ich weiß / sag ich / Und trotzdem ist mir kalt." Bei Jantschitsch | |
steht die Stadt demnach als Metapher für die Zustände, in denen wir uns | |
eingerichtet haben und die es zu verlassen gilt. "Jede Stadt ist ein | |
Seelenzustand", wie der belgische Literat Georges Rodenbach einmal schrieb. | |
Die Stadt führt immer auch die Nichtigkeit der menschlichen Existenz vor | |
Augen, sie ist das gnadenlose, alles verschlingende Betonmonster, das einen | |
trotz aller guten Vorsätze scheitern lässt, wie Franz Biberkopf. | |
Eva Jantschitsch erinnert sich daran von heute aus und singt über Orte "an | |
die die Trambahn nicht mehr hinfährt" und "Menschen auf den Asphalt | |
knallen". In dem Song "Soldatin oder Veteran" setzt sie sich mit den | |
Auswirkungen von Minijobs und befristeten Arbeitsverträgen auseinander. | |
"Ich erzähle von der Unmöglichkeit, in den Städten ein lebenswertes Leben | |
zu führen. Mich interessieren Gated Communities, Gentrification, Banlieues, | |
die tägliche Demütigung durch Behörden und ganz allgemein die Vereinsamung | |
im Kapitalismus", sagt Jantschitsch. "Aber gleichzeitig suche ich nach | |
einem Leben außerhalb der Architektur, nach einem ,life in the woods', nach | |
einer Essenz, die in dieser komplexen Umwelt nicht mehr zu finden ist." | |
Wie schon das Debüt ist auch ihr neues Album weitgehend im Alleingang | |
aufgenommen. Jantschitsch hat Musik und Texte am Laptop entworfen - aus | |
Kostengründen. Andererseits macht sie diese schlanke Produktionsweise | |
flexibel und autonom. Damit steht die Künstlerin auch abseits der gängigen | |
Formel "singende Frau am Mikrofon - Mann hinter den elektronischen | |
Geräten". Die Texte auf "Verlass die Stadt" klingen weit düsterer, als noch | |
auf ihrem Debütalbum. Im Gegensatz zur oft spröden Textebene schwingt die | |
Musik aber als luftige Patchworkdecke, die die Synapsen zum Glühen bringt. | |
Aus Musical-, Revue- und Swingelementen, Mandolinenzauber und | |
Big-Band-Gesten, die mit elektronischen Beats und digitalen Effekten | |
gegengeschnitten werden, ist ein außergewöhnlicher Postpop-Entwurf | |
entstanden, der aus jeder Spur upliftendes Pathos und verzaubernde Euphorie | |
verströmt - wer immer hofft, stirbt singend. | |
"Was die Musik angeht, kenne ich kaum Berührungsängste. Als Kind hab ich | |
gern Schlager und Musicals gehört, als Teenager die Lassie Singers und | |
Madonna, als Kunststudentin Steve Reich, Le Tigre und Aphex Twin. Alles, | |
was heute zwischen Blumen am Arsch der Hölle und Ennio Morricone Platz hat, | |
darf in meinen Vorbilderkatalog." Zurück zur ländliche Idylle, rein in den | |
romantischen Eskapismus und den Naturzustand will sie mit "Verlass die | |
Stadt" definitiv nicht. "Ich stelle dabei außer Frage, dass eine Flucht ins | |
Ländliche nicht die Lösung ist, da dieser Raum bereits besetzt ist von | |
Heimatfolklore." | |
Und so hat sich Jantschitsch auf dem Albumtrack "Alles renkt sich wieder | |
ein" sogar am Thema der Volksmusik in Gestalt der Wachauer Blaskapelle | |
Dürnstein abgearbeitet. "Die Sehnsucht nach Erdung und Liebe wird im | |
Schlagergenre, speziell beim volkstümlichen Schlager, auf äußerst | |
effiziente Weise befriedigt. Man fühlt sich nie fremd - das ist das | |
Spannende und auch das Gefährliche daran." Und während die Kapelle sich ins | |
Lieblich-Hymnenhafte hochschraubt, besingt Jantschitsch mit Hilfe | |
biblischer Versatzstücke die Sehnsucht nach der nächsten Katastrophe, | |
beschwört die Apokalypse und den Wunsch nach Zerstörung als kathartischen | |
Effekt, der zur Neuinstallation führt. Die Welt als Kinderspiel. | |
Mit ihrem Debütalbum "Rettet die Wale" erschien das Projekt Gustav 2004 | |
überhaupt erst auf der Bildfläche. Ihr Pseudonym war der favorisierte Name | |
ihres Vaters, der sich sehnlichst einen Erstgeborenen wünschte. Vom | |
Geheimtipp stieg Gustav schnell zum Publikums- und Feuilletonliebling auf. | |
Und plötzlich wurde die "Laptop-Liedermacherin" zur "Ikone der | |
feministischen Musikszene" und als "globalisierungskritisches Gewissen | |
ihrer Generation" gehandelt, was sie selbst mit Stirnrunzeln und | |
Schulterzucken quittiert. | |
2005 erhielt Jantschitsch auch den österreichischen Musikpreis Amadeus als | |
"FM-4 Alternative Act des Jahres". Ihre Dankesrede reduzierte sich auf den | |
Tocotronic-Slogan "Aber hier leben, nein danke!" Den Zuschauerpreis | |
abzulehnen, kam für sie nicht infrage, das Ganze unkommentiert zu lassen, | |
aber auch nicht. Jantschitsch arbeitete daraufhin zunächst an diversen | |
Film- und Theaterproduktionen mit, bis sie wieder genug Material für ein | |
"Update im Albumformat" zusammenhatte. | |
"Verlass die Stadt" mäandert zwischen Protest und optimistischen Tönungen, | |
zwischen Zynismus und Ironie und wirkt trotz eindeutig feministischem | |
Ansatz angenehm geschlechtslos: "Wir müssen uns alle mitadressieren in | |
unseren Liedern. Sonst wird das nix mehr mit der aufgeschlossenen, freien | |
Gesellschaft", sagt die Musikerin lapidar. Politische Widerständigkeit und | |
das Unbehagen in der Kultur bettet Gustav in poetische Musikentwürfe und | |
bezieht daraus eine eigenständige Reibungsenergie: Humor. Der war schon | |
immer wirkungsvoll im Einsatz gegen die real existierende Wirklichkeit. | |
"Ich versuche zwar auf ernsthafte Weise, mich mit meiner Lebensrealität | |
auseinanderzusetzen, Positionen zu beziehen und zu hinterfragen, aber ich | |
will dabei auch gut unterhalten. An totale Identifikation und | |
Authentizitätsgeschwurbel glaub ich nicht, weil es meistens nur Selbstzweck | |
ist. Ironie schafft doch immer auch eine angenehme Distanz zu den Dingen, | |
auch zur eigenen Sprechposition." | |
Der Reigen schließt sich mit einer Art Anti-Happy-Birthday-Song: "Heute / | |
Also ein Jahr älter / Lacht nicht / Ihr alle werdet sterben / Im freien | |
Fall und ohne Netz." Darauf wird - wie im Abspann eines Films - eine endlos | |
lange und klangmalerisch anmutende Liste von Vornamen aufgezählt. Wir sind | |
versöhnt: "Das Leben ist kein Wunschkonzert", aber auch: Wir sind nicht | |
allein. | |
Gustav: "Verlass die Stadt" (Chicks On Speed/Indigo); aktuelle Tourdaten | |
unter [1][http://gustav.sonance.net/] | |
17 May 2008 | |
## LINKS | |
[1] http://gustav.sonance.net/ | |
## AUTOREN | |
Patricia Wedler | |
## TAGS | |
Indiepop | |
Hamburg | |
Musical | |
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