# taz.de -- Neues Album von Bérangère Maximin: Feuer im Unterholz | |
> Die französische Klangkünstlerin Bérangère Maximin macht auf ihrem neuen | |
> Album „Land of Waves“ die Stadt als Tropenwald voller Insekten hörbar. | |
Bild: Heute Umsturz, morgen Landpartie: Bérangère Maximin | |
Aus dem Dschungelbuch für Städtebewohner: Das neue Album der französischen | |
Klangkünstlerin Bérangère Maximin geht mit Sounds an den Start, die einem | |
Tropenwald voller [1][Insekten] und Vögel abgelauscht sein könnten. „Land | |
of Waves“ heißt es und lässt im Titel Geografie und Meteorologie | |
assoziieren, beides Disziplinen, die für Unterwegsmenschen von einiger | |
Wichtigkeit sind. | |
Bérangère Maximin ist mit ihrer sechsten Albumveröffentlichung tatsächlich | |
eine Reisende geworden, im Wortsinne eine Passagierin: Im Französischen | |
meint „passagere“ „gehen“ oder „überschreiten“. Auf „Land of Wav… | |
destilliert Maximin über vier LP-Seiten [2][akustische Eindrücke] aus | |
diversen Ecken Europas, aus Vorstädten, aufgelassenen Gebäuden und | |
Stadtparks. Im „Land of Waves“ wird nicht nur gezirpt und gesungen, sondern | |
der Rush Hour einer südlichen oder östlichen Metropole ähnlich gegrollt und | |
rumort. Dabei sind Zeit und Ort des Albums fluide. | |
Der „Day 41“, mit dem die kontinentale Flâneuse Maximin das Logbuch ihrer | |
abenteuerlichen Reisen aufschlägt, kommt wahlweise als gemächlich | |
erwachender Morgen oder langsam raunender Abend daher. Über einem | |
getragenen Streichermotiv deutet sie elektronische Beats an und setzt | |
glockenartige Perkussionsakzente. | |
## Mit einem Fingerschnippen | |
Wie mit einem Fingerschnippen lässt Maximin die Streicherflächen | |
verschwinden und eine Orgel auffahren, um dann wieder die Streicher | |
einzusetzen, nur eine Klangschicht dahinter, wobei auch das eine Frage des | |
Hörstandpunkts ist. „Kalimba Rough“ heißt der zweite Track des Albums, se… | |
Klangraum ist ein dunkler, nicht düsterer Ort mit viel Hall, sein Titel | |
einem traditionellen afrikanischen Zupfinstrument entlehnt. | |
„The Broken Shoe“ spukt daraufhin in einem aufgelassenen Schwimmbad, für | |
dessen Besuch festes Schuhwerk unbedingt empfoh len sei. Bérangère Maximin | |
macht die Stadt zum Radio: Die B-Seite der LP eröffnet sie mit „A Kind of | |
Night Ritual“, es ist das einzige Stück, in dem eine sofort als solche zu | |
erkennende menschliche Stimme zu vernehmen ist. | |
Ein Regen hat eingesetzt, ein Donnern sich ihm beigesellt. Im Unterholz | |
knistert Feuer, und immer wieder pochen Beats auf ihr Recht und werden | |
unterbrochen. Das alles könnte so sein, muss es aber nicht. | |
Wahrnehmungsebenen verschieben sich; Rhythmen und Echos überkreuzen sich in | |
einer angesteckten und glimmenden Atmosphäre. | |
## Wärme und Kälte | |
Die schwüle Unheimlichkeit von „Land of Waves“ verführt zu einem | |
Begriffspaar, dem Bérangère Maximin zustimmt: Tropical Gothic. Die | |
Künstlerin in einer E-Mail: „Das bringt mich zum Lachen, warum also nicht? | |
Eine witzige Assoziation und in dem Sinne passend, dass ich mir meine | |
Texturen immer als Zusammenspiel von Wärme und Kälte vorstelle.“ | |
Tatsächlich ist das Vorgängeralbum von „Land of Waves“ 2017 unter dem Tit… | |
„Frozen Refrains“ erschienen. | |
In Berlin war Maximin vor fünf Jahren zu hören, in einem gut beheizten Juni | |
in der Charlottenburger Friedenskirche, ein Abend, den sie sich mit dem | |
Krautrock-Gitarristen Günter Schickert teilte. Zwei Tage darauf ist sie im | |
Neuköllner Noise-Hinterzimmer Loophole aufgetreten, ebenso wie der New | |
Yorker Musiker und Produzent Martin Bisi, der Alben von Bands wie den | |
Swans, Material und Sonic Youth ihre Ecken und Kanten mitgegeben hat. | |
Bérangère Maximins Debütalbum ist 2008 erschienen, auf Tzadik, dem Label, | |
das der US-amerikanische Komponist und Freejazz-[3][Saxofonist John Zorn] | |
seit Mitte der Neunziger als Heimathafen experimenteller Musik betreibt. | |
„Land of Waves“, verlegt von dem Berliner Label Karlrecords, bringt einen | |
langjährigen Weggefährten Zorns ins Spiel: Der britische Komponist, | |
Improvisator und Gitarrist Fred Frith bildet mit Maximin und den Musikern | |
Colin Johnco, Kirikoo Des und Roméo Poirier auf dem Stück „Walking | |
Barefoot“ ein imaginäres Quintett. | |
Das Irre daran: Plötzlich werden die Beats nicht mehr fragmentiert, jetzt | |
fahren sie hoch und haben deutlich mehr Puste. Davor hat Maximin ein | |
Experimental-Epos geschaltet: „Lá Echaqqe“ nimmt die komplette C-Seite des | |
Albums ein und mündet in ein funkensprühendes Stahlwerks-Ritual. Mit „The | |
Thread“, das zu „Kalimba Rough“ von der A-Seite aufschließt, klappt | |
Bérangère Maximin ihr Album zu. Aus dem Radio ist dann doch noch eine | |
weitere Menschenstimme zu hören, es dürfte die eines Kindes sein. | |
5 Aug 2020 | |
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## AUTOREN | |
Robert Mießner | |
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